Skip to main content
Augsburg/Altdorfer Wald – Wer fürs Klima blockiert, lebt gefährlich. Aber in Bayern reicht es aus, als KlimaaktivistIn die Spezlwirtschaft der CSU zu stören. Zwei AktivistInnen aus Ravensburg haben das erlebt, als sie gegen einen stahlreichen Großspender demonstrierten.

Augsburg/Altdorfer Wald – Wer fürs Klima blockiert, lebt gefährlich. Aber in Bayern reicht es aus, als KlimaaktivistIn die Spezlwirtschaft der CSU zu stören. Zwei AktivistInnen aus Ravensburg haben das erlebt, als sie gegen einen stahlreichen Großspender demonstrierten.

Das kleine Meitingen mit seinen 11.000 Einwohnern, nahe Augsburg gelegen, hat das einzige Stahlwerk Bayerns. Es ist das letzte seiner Art im Freistaat, 800 Mitarbeiter, 1,1 Millionen Tonnen Stahl, 400 Millionen Euro Jahresumsatz, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Gemeinde. Und es hat den Lohwald, einen Bannwald mit großer Artenvielfalt, der vor jedem Einschlag geschützt war und an das Unternehmen grenzt.
Im Oktober vergangenen Jahres befand der Eigentümer der Lech-Stahlwerke, Max Aicher, er müsse den Betrieb, der so viel Strom verbraucht wie Augsburg, erweitern. Am besten um 17 Hektar von diesem Wald. Das trug er dem Gemeinderat vor, verbunden mit dem Versprechen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aus dem 24-köpfigen Gremium stimmten nur die drei GemeinderätInnen der Grünen nicht zu. Die Bürgerinitiative Lech-Schmuttertal, deren Klage gegen die Rodung beim höchsten bayerischen Verwaltungsgericht anhängig war, wurde hier in den 15 Jahren ihres Bestehens noch nicht angehört. Hinzu kam noch eine Sondergenehmigung zum Bäumefällen von der Regierung Schwaben, die in eineinhalb Wochen erteilt war. Die Maschinen konnten kommen. 
Beantragt hatte die Sondergenehmigung der Schlossbesitzer Aicher, einer der Reichsten in Bayern, Eigentümer mehrerer Firmen und drittgrößter Spender für die CSU – 295.500 Euro in den Jahren 2016 bis 2020. Genehmigt wurde sie von Regierungspräsident Erwin Lohner, der sich anschließend über einen Karrieresprung ins Innenministerium von Joachim Herrmann (CSU) freuen durfte.
Die Rodungen beginnen ohne vorherige Ankündigung am Samstag, 22. Oktober 2022. 5,6 Hektar Bannwald werden gefällt, insgesamt 17 sind geplant. Es wird demonstriert. Die lokalen GegnerInnen bekommen Unterstützung. Samuel Bosch, 20, und Charlie Kiehne, 21, die Baumkletterer aus Ravensburg, reisen an, vom Klimacamp aus Augsburg ist ihr Mitstreiter Ingo Blechschmidt dabei. Auf einem Transparent und in Reden wird behauptet, Regierungspräsident Lohner habe den Lohwald für 250 Euro Verwaltungskosten verhökert und sich über das bayerische Verwaltungsgericht hinweggesetzt. Bosch und Kiehne betreten ohne Hindernis das Gebäude der Regierung von Schwaben, Kiehne seilt sich an einem Fenster ab, befestigt weitere Transparente gegen den Klimafrevel der Lech-Stahlwerke. Blechschmidt sagt, der Meitinger CSU-Bürgermeister Michael Higl stelle das Parteisponsoring von Aicher über christliche Werte wie den Erhalt der Schöpfung. Die Polizei nimmt die friedlichen AktivistInnen fest.
Es kommt zur Anklage von Blechschmidt, Kiehne und Bosch vor dem Amtsgericht Augsburg. Zum ersten Termin am 13. Juni ist Anwalt Klaus Schulz aus Ravensburg verhindert. Er bittet um Verlegung des Prozesstermins. Keine Reaktion aus Augsburg. Dann, eine Woche vor Prozessbeginn, der Hinweis, die Angeklagten mögen sich eben einen anderen Anwalt suchen. Eine Zumutung, sagt Schulz, denn auch ein seriöser Pflichtverteidiger würde unter solchen Bedingungen einen Fall nicht übernehmen. Er bittet um Akteneinsicht. Diese wird ihm anfangs verweigert, dann „pflaumt mich die Richterin an, ich solle die Akten in Augsburg lesen“, empört sich Schulz.
Nach einem kurzzeitigen Haftbefehl gegen Bosch und Kiehne kommt es schließlich zu drei Prozessen am Amtsgericht Augsburg. Im März dieses Jahres gegen den 34-jährigen Ingo Blechschmidt wegen Hausfriedensbruch mit der Seilaktion am Sitz der Regierung Schwaben und wegen übler Nachrede, da Regierungspräsident Lohner Korruption unterstellt wurde – ohne Beweise. Für diese beiden Vergehen ohne Sachbeschädigungen, ohne Gewaltanwendungen, für das Betreten eines öffentlichen Gebäudes ohne den Hinweis der Behörde, es zu verlassen, fordert die Staatsanwaltschaft sechs Monate Haft auf Bewährung. Blechschmidt, promovierter Mathematiker, wird zu 140 Tagessätzen je 15 Euro, also zu 2.100 Euro verurteilt.
Auch im Prozess am 27. Juni, in dem sich Kiehne und Bosch selbst verteidigen, lautet die Anklage auf Hausfriedensbruch und öffentliche Beleidigung des damaligen Regierungspräsidenten Lohner. Den Hausfriedensbruch sieht Anwalt Schulz nicht: In ein öffentliches Gebäude konnten die beiden, wie auch Blechschmidt, „ohne Beschädigung von Rechtsgütern reinlaufen“. Und ob ein Politiker verächtlich gemacht würde mit dem Vorwurf, er habe „den Lohwald verkauft“, sei angesichts der erheblich schärferen Sprache unter Politikern doch mehr als fraglich.
Dass ein Staatsanwalt gegen friedliche KlimaaktivistInnen, die mit ungewöhnlichen Mitteln das zentrale Thema der nächsten Generation ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen, sieben Monate Haft ohne Bewährung „für ein paar Popeldelikte“ forderte, ist für Jurist Schulz „mit einem liberalen Verständnis von Strafrecht nicht mehr erklärbar“. Immerhin: Die Jugendrichterin verpasst Samuel Bosch nur drei Wochen Jugendarrest, Charlie Kiehne erhält eine Woche.
„Mangelnde politische Reife“ attestiert die Jugendrichterin den beiden „privilegierten Wohlstandskindern“. Wie kommt sie darauf? Die beiden spielen nicht Tennis, haben kein Pferd und keinen Drittwagen in der Familie, sondern fahren Fahrrad und mit der Bahn, tragen keine Designer-Klamotten, sondern immer dieselben, sie spielen nicht Golf, haben keine Motorjacht und fliegen nicht um die Welt, stattdessen kennen sie die Ursachen für Dürre, Hunger und Klimaflüchtlinge auf den Kontinenten des Südens. Und der Protest dagegen wird kriminalisiert, wie das Urteil in Augsburg zeigt.
Aber es geht auch anders: Das Leipziger Amtsgericht sprach am 4. Juli fünf Aktive der „Letzten Generation“ für eine Straßenblockade frei. Trotz des Staus, den die festgeklebten Aktiven verursachten, habe die Versammlungsfreiheit überwogen, so die Richterin. Der Protest sei nicht „verwerflich“ gewesen. Der Protestforscher Simon Theune sagte im Prozess, Protest müsse stören, um gehört zu werden. Und die angeklagte Maike Grunst (23) meinte zum Freispruch: „Die Klimakatastrophe bedroht unser Überleben, unsere Demokratie und Gesellschaft als Ganzes. Dass es Richter:innen gibt, die den Mut haben, für den Schutz unserer Grundrechte einzustehen und unseren notwendigen Protest zu legitimieren, gibt mir Hoffnung.“

ANZEIGE

Autor: Wolfram Frommlet

Dieser Artikel erschien zuerst in der Online-Wochenzeitung Kontext am 19. Juli 2023.
www.kontextwochenzeitung.de

ANZEIGE


NEUESTE BLIX-BEITRÄGE

Editorial BLIX Mai 2024

Liebe Leserinnen, liebe Leser, Denkmäler sind Orte zum Nachdenken: Denk mal! So also unser Titel, der sich aus dem Inhalt, Nachdenken und dem Zufall entwickelt hat. Denn der „Galgen unterm Kreuz“, ebenfalls ein Denkmal, fand zeitgleich dazu. Aber nicht immer passt die Form zum Inhalt und umgekehrt. Worüber sich trefflich streiten lässt, denn meist ist es Ansichtssache. Was nicht beliebig bedeutet. Denn jede Perspektive sollte begründbar sein. So auch in Weingarten.

Warum „kriegstüchtig“?

Biberach – Lew Tolstois monumentales Werk „Krieg und Frieden“ über Napoleons Eroberungskrieg in Russland war gerade erst erschienen (1868/69), da marschierten ein Jahr später deutsche Truppen in Frankreich ein, um als Sieger in Versailles Wilhelm I. zum deutschen Kaiser zu proklamieren (18. Jan. 1871). Von nun an war auch das Königreich Württemberg Teil des Deutschen Reiches, und in Biberach gründete 1874 ein Schneidergesell’ mit einem Dutzend unerschrockener Männer einen Ortsverband und ware…

Meinung statt üble Nachrede

Ravensburg – Vom Baum in die Jugendarrestanstalt (JAA) und zurück. So könnte die Kurzfassung der Geschichte lauten, die dem Umweltaktivisten Samuel Bosch (21) widerfahren ist, und die er und seine MitstreiterInnen nach seiner nächtlichen Haftentlassung bei einer Open-Air-Pressekonferenz am 5. April auf dem Ravensburger Marienplatz etwas ausführlicher erzählten.

Galgen unterm Kreuz

Bad Wurzach – Ein Kreuz, das an die Galgen der Fürsten von Waldburg-Zeil erinnert, verrottet seit Jahren. Das mag dem Adelshaus recht sein. Aus den Augen aus dem Sinn. Aber eine Bürgermeisterin, eine Bäuerin und ein Holzschnitzer wehren dem Vergessen. 

Denk mal!

Oberschwaben / Weingarten – Um die Sache der Bauern steht es nicht gut im April des Jahres 1525 kurz vor Ostern. Mit der Wut über die erdrückenden Frondienste und der entrechtenden Leibeigenschaft und mit dem Ruf nach Freiheit und Menschenwürde, gestützt auf „die göttliche Gerechtigkeit“, entnommen der Bibel und verfasst in den Zwölf Artikeln in Memmingen, begehrten zig-tausende Bauern nach der Fasnet, die zur Mobilisierung genutzt worden war, gegen ihre Grundherren auf. Und davon gab es viel…

„Es bedarf bisweilen der Unruhe“

Meersburg – Was die Geschichte Oberschwabens anbelangt, ist Elmar L. Kuhn Experte. Insbesondere mit dem Bauernkrieg (1524/25) hat sich der langjährige Kulturamtsleiter und Archivar im Bodenseekreis besonders intensiv beschäftigt und tut dies immer noch. Nicht umsonst hat der 79-Jährige im März beim dreitägigen Symposium zum Bauernkrieg in der Bauernschule in Bad Waldsee ein Eingangsreferat gehalten. Sein Thema: „Bauernkrieg in Oberschwaben. Organisation, Ziele und Akteure“. Veranstalter der W…

Zurück auf Los

Die Elterninitiative „G9 jetzt BW“ will es sofort, aber mit einer Rückkehr zum G9 am Gymnasium sei in Baden-Württemberg frühestens im Schuljahr 2025/26 zu rechen, erklärt die Landesregierung.

Vom Dunklen ins Helle

Ravensburg – Seit dem 13. April sind auf Schloss Achberg die Werke von 14 Künstlerinnen unter dem Titel „Schwäbische Impressionistinnen“ ausgestellt. Der Fokus liegt auf Malerinnen, die in einer Zeit künstlerisch tätig waren, als es für Frauen ungewöhnlich war, eine Karriere in diesem Bereich zu verfolgen. Die Bilder zeigen jedoch eine Qualität, die mit den Kunstwerken von männlichen Vertretern des Impressionismus durchaus mithalten können.

Reduktion und Fülle 

Ravensburg – Zwei sehr gegensätzliche, aber sich auch  ergänzende Ausstellungen im Kunstmuseum Ravensburg: Alberto Giacometti und die COBRA Künstlergruppe. Betrachtungen.

Mondlicht – erhellend

Laupheim – Eine neue Show im Planetarium erzählt, warum der Mond sich anders als die Erde seit Urzeiten kaum veränderte  und welchen Einfluss er auf unser Leben hat. 

Hoch hinaus!

Wangen – Die Landesgartenschau in Wangen im Allgäu überzeugt mit ihrem nachhaltigen Konzept. Ganz innovativ entwickelte man entlang der revitalisierten Argen Industriebrachen zu vorbildlichen Wohn- und Arbeitsquartieren. 

Freut Bienen und Blumenfreunde

Balkonpflanzen sollen das Auge erfreuen mit ihren Farben. Sie können aber auch Insekten erfreuen mit ihrem Futterangebot. Manche Wildbienen sind auf eine bestimmte Blütenart spezialisiert und sind dankbar für den gedeckten Tisch.

Sport in Maßen wirkt positiv

Volleyball oder Tennis sollte frau in der Schwanger-schaft nicht spielen, auch andere Ballsportarten, bei denen sie Stößen und Schlägen ausgesetzt ist, springen oder stark abbremsen muss, sollte sie meiden. Wenn eine Risikoschwangerschaft besteht, zum Beispiel durch Blutungen, Vorerkrankungen, einem erhöhten Fehlgeburtsrisiko, oder andere Schwangerschaftskomplikationen bekannt sind – unbedingt erst den Frauenarzt oder die Ärztin fragen. Aber sonst? Los geht’s!

Zecken: Ein Steckbrief

Sie sind alles andere als die freundliche Spinne von nebenan: Zecken sind weltweit verbreitet und haben sich auf das Blutsaugen spezialisiert: mehr über ihre Merkmale, ihr Verhalten und die Krankheitserreger, die sie übertragen können.

Leserbrief BLIX Mai 2024

Auch für den Monat Mai erreichte uns wieder eine Zuschrift.

ANZEIGEN

BLIX-NEWSLETTER

VERANSTALTUNGEN

ALLGÄU-OBERSCHWABEN

Weingarten / Bad Schussenried – Heute, Freitag, 10. Mai, ist Blutritt in Weingarten. Europas größte Pferdeprozession….
Bad Waldsee – Das Bürgerbüro der Stadtverwaltung hat am morgigen Samstag, 11. Mai, aufgrund des Lauffiebers geschlossen.
Bad Wurzach – Schulleiter Klaus Amann konnte am vergangenen Mittwoch (8. Mai) zahlreiche Gäste beim Festakt zum 100-j…
Ravensburg / Leutkirch – Zum ersten Stammtisch hatten die überparteilich Wählervereinigung Bürger-Bauern-Mittelstand …
Laupheim – Die Suche nach den zwei 14-jährigen Schülerinnen aus Laupheim (Landkreis Biberach) hat sich erledigt. Beid…