Angesiedelt in einer märchenhaften Steampunk-Welt, ist „Poor Things“ die bislang mit Abstand aufwendigste Produktion in der Karriere des griechischen Filmemachers Giorgos Lanthimos, der mit seinem Durchbruchsfilm „Dogtooth“ das Absurde aus dem Alltäglichen herauskitzelnde und Greek New Wave angeschoben hat. Hauptdarstellerin Emma Stone geht als heiße Favoritin ins diesjährige Oscar-Rennen. Am 18. Januar startet der Film in den deutschen Kinos.
Großbritannien, im 19. Jahrhundert: Eine junge, schwangere Frau ertränkt sich, indem sie von der Londoner Tower Bridge in die Themse springt. Ihr Leichnam gerät in die Hände des brillanten aber exzentrischen Arztes Godwin Baxter, der sie zu retten versucht. Der entstellte Wissenschaftler ersetzt dabei ihr Gehirn durch das des ungeborenen Kindes. Tatsächlich steht die Frau mit Hilfe einer Elektroschockbehandlung von den Toten wieder auf und wird fortan von ihrem Retter Bella genannt. Allerdings hat sie das geistige Alter eines Kindes, gilt als übersexuell und unberechenbar. Bella wird von Dr. Baxter und seiner Haushälterin Mrs. Prim in seinem Stadthaus unterrichtet und betreut. Baxters neuer, junger Assistent Max McCandles verliebt sich unsterblich in sie. Der gutmütige Max erhält daraufhin von seinem Mentor die Erlaubnis, Bella zu heiraten, unter der Bedingung, dass das Paar weiterhin mit Dr. Baxter zusammenwohnt. Als die Hochzeit juristisch vollzogen werden soll, wird Bella von dem zwielichtigen Anwalt Duncan Wedderburn verführt. Zu dieser Zeit lernt sie auch Masturbation kennen. Duncan nimmt sie mit auf eine Reise durch Europa voller sinnlicher Genüsse und Abenteuer. In Lissabon ist Bella vom Fado beeindruckt. Als ihr Gehirn mit der Zeit zu reifen beginnt, entwickelt sie ein soziales Gewissen. Bei einem Aufenthalt in Alexandria spendet sie Duncans Glücksspielgewinne den Armen. Ein Tiefpunkt ihrer Beziehung stellt sich in Paris ein, wo Duncan das Zusammenleben an seine physischen und psychischen Grenzen bringt. Bella erkennt, dass sie durch Sexarbeit finanzielle Unabhängigkeit erreichen kann und heuert in einem Bordell an. Auch wird sie mit sozialistischen Ideen und dem aufkeimenden Feminismus vertraut gemacht. Im viktorianischen Zeitalter entwickelt sie sich zu einer Forscherin, Abenteurerin und Entdeckerin ihres sexuellen Selbst. Am Ende studiert die Autodidaktin Medizin und plant, die Arztpraxis des kranken Dr. Baxter zu übernehmen. Mit Verheerenden Folgen.
„Poor Things“ ist voll von amüsant-skurrilen bis geradeheraus bizarren Einfällen. Die anfänglichen Schwarz-Weiß-Szenen erinnern bisweilen an klassische Hammer-Horrorfilme – nur eben gebrochen durch die kleinkindhafte Unbedarftheit von Bella, die sich auch gar nicht daran stört, wenn God an Körpern seiner Versuchsobjekte herumschnippelt, solange sie nur selbst eine Leiche abbekommt, in deren Kopf sie mit einem Skalpell herumstochern kann. „Poor Things“ hat – wie schon „The Favourite“ – einen hochgradig morbiden, aber dennoch leichtfüßigen Humor! Und wenn dann die Farbe in die Bilder kommt, erweisen sich die verschiedenen Städte von Bellas Rundreise durch Europa als betont künstliche, fast schon theaterhafte Kulissen, die noch am ehesten an das Produktionsdesign der Filme von Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“) erinnern. In gleich mehreren Kategorien gilt Lanthimos‘ bislang ambitioniertester Film als Oscar-Favorit.
Autor: Christian Oita