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Sturmschäden im Wald nötigen zu Umwegen.

Als Schwabenkinder werden jene sechs- bis 15-jährigen Mädchen und Jungen bezeichnet, die zwischen 1600 und 1921 aus den armen Bergbauernhöfen der Alpenregion nach Oberschwaben kamen, um hier als billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft Lohn und Brot zu finden. Die Kinder wurden meist von einem Erwachsenen begleitet, der sich während der beschwerlichen Reise um sie kümmerte und den Lohn aushandelte. Der Gesindemarkt in der Bachstraße in Ravensburg war einer der bedeutendsten seiner Art; die dortige Skulptur von Peter Lenk nimmt Bezug darauf.

1969 reiste ich den umgekehrten Weg, von Ravensburg nach Tiers in Südtirol. Ich war zwar ein zehnjähriges Kind aus Schwaben, aber kein Schwabenkind im historischen Sinn. Ich wurde – im Gegensatz zu den echten Schwabenkindern – von meinen Arbeitgebern stets gut behandelt. Es war auch nicht die Not, die mich in die Fremde auf einen Bergbauernhof führte, sondern Interesse an der Landwirtschaft und Neugier auf das Landleben. Und das war so ganz anders als das Leben im städtischen Ravensburg.

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Die einzige Maschine auf dem Thalerhof war ein motorbetriebener Balkenmäher. Alle Transportarbeiten wurden mit dem Pferdewagen ausgeführt, der von dem Wallach „Fritz“ gezogen wurde. Das reife Getreide wurde vom Bauer mit der Sense gemäht, während die Frauen und Kinder mit der Sichel hinterherkamen und die Garben banden. Das mühsam mit der Gabel mehrfach gewendete und mit Holzrechen zu Haufen zusammengeraffte Heu wurde in große weiße Leinentücher zu Ballen gebunden, wovon sechs auf den Wagen passten und mit Fritz nach Hause gefahren wurden. Oft saß ich dabei obendrauf und genoss den Fahrtwind und die Aussicht. Die Mittagsmahlzeit wurde uns im Korb aufs Feld gebracht, und morgens saßen wir in der Küche um eine Pfanne Mus, aus der sich jeder mit dem Löffel bedienen durfte. Als Rudi, ein Junge aus dem Dorf, der ebenfalls in den Ferien auf dem Hof mithalf, und ich, als wir den Pferdewagen in die Remise bringen sollten und die Schwerkraft des abschüssigen Weges unterschätzten, da zerbrach die Anz (Schere oder Scherdeichsel eines einspännigen Pferdewagens) an der Außenmauer der Kurve; der Verlust für den Betrieb war groß, weshalb wir Schimpfe und lange Ohren vom Bauer ernteten. Meine Haupttätigkeit aber war das Hüten der etwa 15 Kühe, wobei die ihren eigenen Rhythmus hatten und sehr genau wussten, wann es wieder Zeit für die Heimkehr in den Stall war.

Dietrich Knapp (rechts) als Zehnjähriger bei der Bauersfamilie in Südtirol 1969 und 54 Jahre später an gleicher Stelle.

54 Jahre später, im September 2023, kehre ich auf diesen Hof zurück, diesmal als bergbegeisterter Wanderer. Es hat sich viel verändert. Der Sohn hat das Anwesen übernommen, ein geräumiges Haus mit Gästezimmern war gebaut worden, und die Landwirtschaft wurde vor kurzem aufgegeben. Aber der Bauer von damals und seine Frau begrüßen mich freudig und erinnern sich auch noch an manche Geschichte von früher. Sie erzählen von ihrem arbeitsreichen und bescheidenen Leben auf dem Hof, von den Anfängen des Tourismus, von langsam beginnendem wirtschaftlichem Aufschwung und wie sie jetzt in Wohlstand ihren Lebensabend verbringen dürfen. Sie berichten von den Kindern, von den Enkeln, und wie schön sie es dort oben auf ihrem Hof haben. Mit Zufriedenheit und Demut meint der Altbauer: „Im Alter zählen die Tage, nicht mehr die Jahre.“ Im Januar wird er 90 Jahre alt.

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Die ersten beiden Tage nutzen mein Freund Kalle und ich zum Warmgehen: kleinere Bergtouren auf die Völseggspitze (1.834 m) und die Hammerwand (2.128 m) bereiteten unsere Kondition auf den dritten Tag vor, an dem wir zum Schlernhaus (2.475 m) aufsteigen. Nach 1500 Meter teils steilem Anstieg werden wir oben mit einem herrlichen Anblick des Rosengartens (2.981 m) belohnt. Die anschließenden Tage bringen uns eine abwechslungsreiche Tour rund um diesen sagenumwobenen Berg, verschafft uns herrliche Anblicke, atemberaubende Ausblicke und spannende Überstiege im Welt-Naturerbe der Dolomiten.

Wandern hat für mich etwas Besinnliches. Der gleichmäßige Rhythmus der Schritte, die Stille und Grandiosität der Bergwelt regen zum Nachdenken an. Und so kreisen meine Gedanken um die vielfältigen Krisen und Lebensumstände, die die Menschheit schon erlebt hat. Die Kinder der Bergbauern gingen sicher nicht zum Vergnügen in die Fremde und erlebten dort oft Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. Die alte Bäuerin, aus dem Vinschgau stammend, erzählt mir von ihren Großeltern, wie die Jungen auf dem Gesindemarkt Schaukämpfe abhalten mussten, damit die oberschwäbischen Bauern deren Kräfte besser einschätzen konnten. Sie berichtet, wie die gewieften Schwabenkinder heimlich Kreidekreuze an die Mäntel derjenigen Bauern anbrachten, die als besonders brutal und geizig galten, als Warnung für die anderen.

Lohn des Aufstiegs: der faszinierende Blick auf den „Rosengarten“, Teil des Welt-Naturerbes der Dolomiten. Fotos: privat

Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahre 1815 brachte in den Folgejahren für Nordamerika und Europa eine große Hungersnot und befeuerte so das Schwabengehen. Als ich 1969 in Südtirol war, da gingen dort Bomben hoch und gewaltbereite Gruppen kämpften um das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler; in den 80er Jahren gab es hierzulande die Kämpfe rund um die Atomenergie. Da gab es das Waldsterben durch schwefelverseuchter Luft, einen toten Rhein in Folge eines Chemieunfalls in der Schweiz, und in Tschernobyl flog ein Atomkraftwerk in die Luft.

Auch heute fühlen wir uns wieder in einer krisengeschüttelten Zeit. In der Ukraine herrscht Krieg, der Klimawandel schreitet unerwartet schnell voran, besonders Lebensmittel und Energie sind rasant teurer geworden und alle reden von wirtschaftlichem Abschwung. Ohne diese Krisen schmälern oder kleinreden zu wollen, lohnt vielleicht doch ein Blick in die Vergangenheit. Das Leben der Menschen war schon immer durch wiederkehrende Krisenzeiten geprägt. Niemals ist durch Jammern und Klagen die Lage besser geworden. Immer haben Tatkraft, Erfindungsgeist, Flexibilität und Mut geholfen, die Krisen zu überwinden und eine neue Zukunft zu finden. Gerade uns in Deutschland, und insbesondere uns in Oberschwaben geht es aktuell noch so gut, dass wir genügend Reserven und eine hervorragende Ausgangslage haben, um die Herausforderungen annehmen und meistern zu können. Angst und wegschauen helfen da eher nicht, ebenso wenig wie die Forderung: „Ich will mein altes Leben zurück!“
Freitag, unser letzter Wandertag. Im Regen und scharfen Wind steigen wir ab ins Tal und durchqueren weite Wälder, die vom Sturm des 29. Oktober 2018 gezeichnet sind. Damals fielen allein in der Provinz Südtirol 1,8 Millionen Festmeter Sturmholz an, 6000 Hektar Wald wurden zerstört. Aber die Wälder verjüngen und regenerieren sich zusehends, und Dank des wärmer werdenden Klimas erobern sie immer mehr Lebensraum in den höheren Lagen. Bei klugem Management dieser Flächen könnte uns das bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels helfen, durch die Bindung von CO², als Wasserspeicher anstelle der verschwindenden Gletscher und als Schutz vor Erosion und Lawinen.

Zuerst mit dem Bus, dann mit dem Zug – für Feriengäste kostenlos in ganz Südtirol, im Zwei-Stunden-Takt, eines von vielen Mut machenden Beispielen, wie Nachhaltigkeit aussehen könnte – geht es zurück nach Oberschwaben. Meine Gedanken schweifen zurück zu den Schwabenkindern. Wie sehr viel einfacher ist heute das Reisen über die Alpen. Statt sich mühsam Schritt für Schritt über verschneite Pässe zu quälen, mit schlechtem Schuhwerk und dürftiger Kleidung, sitze ich im warmen Zug, während die wolkenverhangenen Berge an mir vorübergleiten. In wenigen Stunden lege ich eine Strecke zurück, für die sie damals Tage und Wochen brauchten. Bei genauem Hinsehen war es früher gar nicht besser als heute, und ich bin froh, kein Schwabenkind gewesen zu sein.

Autor: Dietrich Knapp



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