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1984 in Ravensburg: Die Frauenbewegung war aktiver Teil der Protestkultur – und Gewalt gegen Frauen ist immer noch ein Thema.

Ravensburg – Die neue Ausstellung „7980 Ravensburg – Alltag, Apokalypse, Autonomie“ im Ravensburger Humpis-Museum dokumentiert die 70er und 80er Jahre  in der oberschwäbischen Provinz, mit dem Schwerpunkt auf der Kreisstadt Ravensburg, die damals die Postleitzahl 7980 hatte.

Für den Autor dieses Berichts, gebürtiger Ravensburger des Jahrgangs 1945, eine unbekannte Welt, die er mit großem Interesse und viel Vergnügen sah und hörte. Denn er hatte in diesem Jahrzehnt keinen Kontakt zu seiner Heimatstadt. Er erlebte die Aufbrüche, die Unruhen und Demonstrationen im Ruhrgebiet, in Großstädten wie München und Köln. „Unter den Talaren, der Muff von tausend Jahren“ skandierten Studenten, sie demonstrierten gegen alte Nazis als Professoren und gegen die Notstandsgesetze. Während einer  Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schah aus dem Iran wurde am 2. Juni 1967 in West-Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen. Am 22. Oktober 1983 bildete sich eine Menschenkette gegen Atomwaffen zwischen Stuttgart und Neu-Ulm mit 400.000 Teilnehmern. Was schwappte damals nach Ravensburg über? 

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In der Marktstraße gründete Matthias Bräuning die erste alternative Buchhandlung „Die Wolke“, und im „Welt-Laden“ begann der faire Handel mit Produkten aus der, wie es damals noch hieß, „Dritten Welt“; der Beginn  der Kooperative Weltpartner, die bis heute in Ravensburg ansässig ist. In einem Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm „Es ist falsch, nichts zu tun“ erzählt Maria Ballarin, wie die erste Bürgerinitiative, das „Bürgerforum Altstadt“  sich wehrte gegen den vierspurigen Ausbau der Innenstadt zur „verkehrsgerechten Stadt“ nach dem „Schweizer-Plan“ von Oberbürgermeister Wäschle. Dessen Nachfolger Hermann Vogler nennt  in dem hervorragenden Audio-Guide der Ausstellung das Bürgerforum „eine segensreiche Einrichtung.“ Daraus sei ein Denken gewachsen zu der Frage, „wo geht’s mit der Altstadt hin“. Die Fotos aus dieser Zeit mit dem zugeparkten Marienplatz und der Bachstraße  sieht man heute mit Fassungslosigkeit. Unter Hermann Vogler begann der Abschied von der autogerechten Stadt. Ein anderer Schwerpunkt in seiner Amtszeit war die Jugendförderung, die Schulsozialarbeit. An allen Schulen, auch an den Gymnasien. An denen hieß es, wie er sich im Audio-Guide erinnert, „mir hond koi Problem“. Doch, hatten sie, mit Drogen. 

1987 war der Marienplatz in Ravensburg noch ein großer Parkplatz
Copyright: Stadtarchiv Ravensburg Fotosammlung

Bürgerprotest und alternative Szene

Der nun zunehmend gelebten Basis-Demokratie, dem Bürgerprotest, ist auch der Erhalt und die umfassende Renovierung der mittelalterlichen Zehntscheuer zu heutigen Kleinkunstbühne zu verdanken, wie es einer der Zeitzeugen in herrlichem Schwäbisch in einem Video erinnert. Eine “klassenübergreifende Punkszene“, wie sie ein Zeitzeuge rückblickend nennt, entstand, auch für Lehrlinge, und in einer leerstehenden Fabrikhalle fand im Mai 87 ein „Lärmstrukturfestival“ statt. Köstlich, wenn man dann im Audio-Guide hört: „Wer hört was? Daran hast du damals Freund und Feind erkannt.“ Der Arzt Dieter Hawran, der während des Studiums in Freiburg Erfahrung mit der Hausbesitzer-Szene machte, „da musste man sich hochdienen“, kam nach Ravensburg und fand eine bunt gemischte alternative Szene, in der man offen aufgenommen wurde, „Frauen, Anti-AKW, K-Gruppen, Bio-Nahrung, Antipsychiatrie“. „Die Älteren waren uns richtig feindlich gegenüber“, erinnert sich Manfred Walser, Kriegsdienstverweigerer, heute Mitglied bei „scientists for future“,  an die klaren Freund- und Feindbilder zwischen der alternativen Szene und  der erz-konservativen Ravensburger Ständegesellschaft. „Ja, die Älteren waren uns richtig feindlich gegenüber“, sagt Andreas Farizadeh, der am Albert-Einstein-Gymnasium „ein unverarbeitetes Geschichtsbild über den Faschismus, den Weltkrieg“ typisch für die 70er Jahre findet. Milder ist da der grüne Minister Manfred Lucha im Rückblick: „Es gab auch einen zulassenden Konservativismus“ im Ravensburger Bürgertum. Der war auch im Gemeinderat männlich, bis in der Fraktion der Grünen zwei Frauen die Aufbruchsstimmung der Frauen zu Gehör brachten. 

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Ein Flugblatt, ein Plakat zur Walpurgisnacht sind private Sammlerstücke, die diese Ausstellung so authentisch machen.  „Wir wehren uns gegen die Gewalttätigkeit der Männer“, liest man da in den „Südschwäbischen Nachrichten“, einer Zeitung der Basis, der Gegenöffentlichkeit, wie der „Motzer“, der 14-tägig in einer Auflage von 1900 Stück erschien. Die

„Schwäbische Zeitung“ war damals „eine geschlossene Honoratioren-veranstaltung der CDU“, erinnert einer der Macher, die SPD galt schon fast als kommunistisch. Und da findet sich auch eine geradezu groteske  Auseinandersetzung der „Südschwäbischen Nachrichten“ mit dem damaligen CDU-Landrat von Biberach. Der weigerte sich, dieser Alternativ-Zeitung Presseinformationen zu geben, weil in der Redaktion ein Lehrer mit Berufsverbot arbeitete. Das alternative Blatt zog vor Gericht, das Presserecht war auf dessen Seite, da Presseinformationen für alle Medien gelten, unabhängig von deren politischer Tendenz. 

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Mit der Ausstellung „Ravensburg 7980“ gelingen der Direktorin des Humpis Museums, Sabine Mücke, und der Kuratorin Miriam Kresser ein Novum, eine höchst authentische, eine partizipative Ausstellung, die aus der Beteiligung von Zeitzeugen lebt, aus deren klug edierten, abwechslungsreichen Erinnerungen auf dem Audio-Guide, und aus den Hunderten von Sammlerstücken, die Zeitzeugen aus den 70er und 80er Jahren dem Museum anvertrauten. Das Material dieser Ausstellung, die ein  Seh- und Hörerlebnis ist, sind Menschen aus der Stadt Ravensburg.

Die Ausstellung läuft bis August 2024, Dienstag bis Sonntag 11 – 18 Uhr, Marktstraße 45. 

Autor: Wolfram Frommlet



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