Skip to main content
Endlich angekommen, glücklich aufgenommen. Nach einer 19-monatigen Odyssee wurde der kleine Mohamad Omar (Mitte) von Pater Alfred zu seinen syrischen Verwandten in Bad Buchau gebracht. Foto: DRS/Waggershauser

Oberschwaben und die Welt – Das Setting oder altdeutsch das Drumherum dieser Geschichte ist ein Durcheinander. Es gibt das Drama der vielen Flüchtlinge, die alle zu uns wollen und dadurch für Aufruhr sorgen. Es gibt die vielen Akteure auf allen Ebenen, die sich redlich mühen, der Probleme – Wo gibt es noch Unterkünfte? – Herr zu werden.  Es gibt die politische Gewitterwand, die sich am Horizont bedrohlich aufbaut und fürchten lässt, dass humanitäre Dämme brechen. Und es gibt einen Pfarrer, der auch Pater ist und einem kleinen syrischen Jungen eine hoffnungsvolle Zukunft erkämpft und sich dabei glücklich wie ein Opa fühlt. Eine Mutmachgeschichte.

Es vergeht kein Tag, an dem die Zuwanderung von Flüchtlingen, unverfänglich Migration genannt, nicht Thema in den Medien ist, was wiederum ein Indiz ist, dass das Phänomen höchst brisant ist. Es herrscht Einigkeit: die „irreguläre“ Zuwanderung muss gestoppt, aber zumindest geordnet werden. Was vermuten lässt, dass es auch reguläre und somit geordnete Zuwanderung gibt. Die eine ist unerwünscht, das sind die Flüchtlinge, die laut Ravensburger Landrat auch noch nach Nützlichkeit zu unterscheiden sind in Alphabeten und Analphabeten. Denn es gibt auch noch die Suche nach Arbeits- und Fachkräften, deren Zuzug häufig an zu viel bürokratischem Gedöns scheitert, beklagen die Unternehmen. Während die Kommunen landauf-landab klagen, dass sie am Limit sind. So im Landkreis Ravensburg, wo Behelfsunterkünfte aufgebaut werden, so auch im Kreis Biberach, wo der Landrat in einer Eilentscheidung 120 Wohncontainer für weitere 240 Geflüchtete, die in den nächsten Monaten kommen werden, orderte. Und das Problem setzt sich in den Gemeinden fort, wo die Geflüchteten im Anschluss untergebracht werden müssen. Erste Kommunen weigern sich, dies zu tun. Der Aufnahmestopp des Ulmer Oberbürgermeisters für eine Woche konnte noch als Wahlkampfgetöse um seinen Rathausposten verbucht werden, aber es gibt weitere Gemeinden, die öffentlichkeitswirksam protestieren und mehr Unterstützung von Land und Bund einfordern. Was wiederum die AfD als Nutznießerin der Misere auf den Plan ruft.

Der AfD-Landtagsabgeordnete und migrationspolitische Fraktionssprecher Ruben Rupp erklärt lakonisch: „Wir brauchen nicht mehr Geld, sondern weniger Flüchtlinge! Daher: Sach- statt Geldleistungen, effektiver Grenzschutz und eine konsequente Abschiebepolitik, und all das sofort. Auf unseren Schultern lastet nicht das Elend dieser Welt.“ Einfache Rezepte, die inzwischen parteiübergreifend mehrheitsfähig sind, serviert mit einem Leck-mich-a-A-Standpunkt bescheren den Populisten berauschende Wahlergebnisse und beängstigende Wahlprognosen.

Landrat Mario Glaser wendet sich entschieden gegen Populismus. Foto: Landratsamt

Das mit der Angst greift der Biberacher Landrat Mario Glaser bei einer Pressekonferenz auf. „Das Bild, das in breiten Schichten der Bevölkerung vorhanden ist, macht mir Angst.“ Er weist darauf hin, dass die Hälfte der Schutzsuchenden, die im Landkreis ankommen, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist, aktuell sind es 2234 Menschen. Ohne diesen Krieg, den keiner außer Putin wollte, gäbe es keine Überlastung bei der Unterbringung und „keine politische Diskussion“ über Migration, erklärt der parteilose Verwaltungsmann. Populismus sei „brandgefährlich“, warnt Glaser, „wir müssen bei den Fakten bleiben“. Zu den Fakten zählt, dass vielerorts die Menschen auf die Barrikaden gehen, wenn in ihrer Nähe Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Und auch das ist Fakt, dass die Unterbringung trotz Proteste erfolgt. Man informiere frühzeitig und umfassend, aber stelle „den Mietvertrag nicht zur Diskussion“, erklärt Petra Alger, Sozialdezernentin im Biberacher Landratsamt. Und ihr Ravensburger Kollege und stellvertretende Landrat Honikel-Günther wird in der Schwäbischen mit der provokanten Frage zitiert: „Gäbe es dann irgendwo in Deutschland die Möglichkeit für eine Flüchtlingsunterkunft?“, wenn darüber abgestimmt würde. „Wir bringen Menschen unter!“, appelliert Mario Glaser und sieht darin „unsere humanitäre Verpflichtung“.

Die Stimmung hat sich geändert

Und dann taucht plötzlich Pater Alfred Tönnis auf, der Bussenpfarrer, und bringt dieser Tage ein dreijähriges Waisenkind aus Syrien zu seinen Verwandten nach Bad Buchau. Viel öffentliche und wohlwollende Aufmerksamkeit ist dem Medienpfarrer sicher. Der 64-Jährige ist seit Jahrzehnten schon mit dem Thema befasst. Er half im Kosovo, im Libanon, in Syrien, war in Griechenland auf der Insel Lesbos und machte sich wie der Papst auf Lampedusa ein Bild vom Grauen. Vor zehn Jahren gründete er in dem kleinen Ort Oggelsbeuren das „Lebens-, Entwicklungs- und Ausbildungszentrum“, wo er mit 75 Kriegsflüchtlingen aus Syrien lebte und arbeitete.

Der Bussenpfarrer Pater Alfred ist heimatverbunden und weltoffen. Foto: privat

BLIX führte im Oktober 2013 ein ausführliches Interview mit dem umtriebigen Priester. Er war voller Tatendrang und Enthusiasmus. Er lebte vor, was Angela Merkel zwei Jahre später 2015 angesichts hunderttausender syrischer Flüchtlinge, die zu Fuß, in Bussen und in Zügen nach Deutschland strömten, sagen wird: „Wir schaffen das!“ Das kommt dem Pater zehn Jahre später so nicht mehr über die Lippen. Er weiß, wie schwer es ist, den einfachen Lösungen à la AfD zu misstrauen und weiß, wie kompliziert es ist, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen sich trotz der Unterschiede „wertschätzen“. Das sei mehr als tolerieren, aber weniger als integrieren. Von letzterem habe er sich verabschiedet. Das habe noch nicht einmal innerhalb der Deutschen geklappt, dazu seien die kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West offensichtlich immer noch zu groß, meint der Seelsorger. Er sieht im Zuspruch zur AfD ein Indiz dafür. Doch genau dieses Indiz scheint sich in diesen Zeiten aufzulösen. Die Zuwendung zum Populismus ist die neue deutsche Einheit jenseits aller Unterschiede. Ja, er habe auch in seiner Verwandtschaft AfD-Wähler, räumt Tönnis ein. Und damit nicht genug: „Es gibt viele Fromme, die AfD wählen“, sagt der Pfarrer. Und es gäbe eben auch die bösen Fälle, wie die in Illerkirchberg, die die Menschen ängstigen. Der Geistliche weiß um die vielen Traumatisierungen unter den Flüchtlingen, fordert aber dennoch die harte Hand und konsequentes Handeln bei Verbrechen, um nicht weiter Vertrauen zu verlieren. „Wir sind im Umgang mit Verbrechern zu lasch“, kritisiert der Pfarrer.

„Die Stimmung hat sich geändert“ in den letzten zehn Jahren, sagt er. Das gilt auch für ihn und für viele andere Engagierte, von denen es eh schon weniger gibt als vor acht Jahren, bedauert Petra Alger. Den Unterschied zu 2015 erklärt die Sozialdezernentin damit, dass damals nach eineinhalb Jahren mit der Schließung der Balkanroute der Zustrom verebbte. Aber die Ruhe nach dem Sturm, war die Ruhe vor dem nächsten. Die Glutnester in Syrien sind noch heiß, und ein Ende des Kriegs in der Ukraine ist nicht abzusehen, genauso wenig wie die Folgen des Terrors im Nahen Osten. Und jeder Krieg verursacht Flüchtlinge, die Klimakrise, unser Krieg gegen die Natur, nicht minder. Die multiplen Krisen machen ohnmächtig und Angst.

Mit der Hilfe für Mohamad Omar, dem Waisenkind aus Syrien, erzählt Pater Alfred eine „Mutmachgeschichte“. Das Ende geht so: „Mit dieser Aktion rette ich ja nicht die Welt, aber für diesen einen dreijährigen Jungen ändert sich seine Welt in eine hoffnungsvollere Welt“, ist der Bussenpfarrer überzeugt. Und er möchte ein Zeichen setzen für den interreligiösen Dialog, wenn ein katholischer Priester von der christlichen Botschaft motiviert einem muslimischen Jungen in seiner neuen Familie eine Perspektive gibt. Eine Ermutigung soll es sein für alle, die sich für Geflüchtete einsetzen, um nicht zu resignieren. 

Autor: Roland Reck



NEUESTE BLIX-BEITRÄGE

Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser, vor einem Jahr war es der Überfall Russlands auf die Ukraine, der mich an dieser Stelle beschäftigte. Krieg und Weihnachten lässt einen schaudern. Und der Krieg in der Ukraine dauert immer noch an. Ein Krieg in Europa. Und am 7. Oktober diesen Jahres überfallen Terroristen der Hamas Israel und provozieren einen weiteren Krieg in Nahost, der uns nicht minder angeht. Weil in beiden Konflikten sehr, sehr viel deutsche Geschichte steckt.

Der große Bruch

Stuttgart – Wie unsicher sich jüdische Menschen seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober fühlen, sei den meisten Deutschen nicht bewusst oder egal, beklagt Alon Bindes. Der 26-jährige Student aus Stuttgart kritisiert nicht nur einen Mangel an Empathie, sondern auch zu wenig Einschreiten gegen Antisemitismus von Seiten der Politik.

Das große Schweigen

Attenweiler / Bad Buchau – Ich klingle ein zweites Mal, es ist später Nachmittag, aber schon dunkel, und ich bin zu früh. Dann höre ich eine fragende Stimme hinter der Metalltür und antworte erfreut. Die Tür öffnet sich und Marlis Glaser steht im Rahmen, den die zierliche Frau in ihrem weißen Maleroverall bei weitem nicht ausfüllt und so einen Blick in ihr beleuchtetes Atelier zulässt. Die nächsten zwei Stunden werde ich der Künstlerin zuhören. Die nur kurz mit den Tränen kämpft, um mich dann…

Daher weht der Wind

Bad Waldsee –  Warum empfiehlt der „Regional-verband Bodensee Oberschwaben“ bisher keine Windtürme in der Adelegg? Nur eine von vielen Fragen, auf die die Planungsfachleute des Verbands am 22. November im „Haus am Stadtsee“ in Bad Waldsee antworteten, bevor beschlossen wurde. Diesen Vorschlägen soll die Verbandsversammlung dann am 8. Dezember zustimmen. Ab Januar 2024 stehen dann Bürger-Informations-Veranstaltungen an. Etwa am 17. Januar in Weingarten. Das Ziel: Rechtsverbindlichkeit der Plan…

Blaupause

Was andernorts noch in der Planung steckt, ist im Röschenwald, nahe Aulendorf, beschlossene Sache. Am 20. November erteilte das Landratsamt Ravensburg im Beisein von Landrat Harald Sievers den Projektbeteiligten die Genehmigung zum Bau von vier Windrädern. Damit wird der Windpark der erste im Schussental sein und neben den Windrädern in Hoßkirch der zweite im Kreis Ravensburg.

Leserbrief BLIX Dezember 2023

Auch für den Monat Dezember erreichten uns wieder interessante Zuschriften.

Vergehen statt verbleiben

Bad Waldsee – Vergängliche Kunst bereichert ein Waldstück bei Bad Waldsee. Die KunstAG überlässt ihre Werke wieder einmal Wind und Wetter.

A Billettle, send’s so guad!

Ich kann auf Kommando das Kfz-Kennzeichen unseres ersten Autos von 1965 nennen, meine Festnetztelefonnummer und mein Geburtsdatum, aber bei meiner Handy- und IBAN-Nummer komme ich schon ins Straucheln und bei meiner Bahnkundennummer muss ich ganz passen. Das wäre mir fast zum Verhängnis geworden…

Mit Lauchsuppe aufs Christkind warten

Wilhelmsdorf – Ich wachse als Jüngste von vier Geschwistern in einer evangelischen Familie auf und kenne von klein an die Weihnachtsgeschichte. Und doch definiert sich Weihnachten nach meinem Empfinden durch mehr als das Geschehen an Heilig Abend. Ohne einen geschmückten Weihnachtsbaum zum Beispiel ist Weihnachten nicht dasselbe. Eine Dorftradition spielt sich bei uns in Wilhelmsdorf an St. Nikolaus ab.

Was lange währt …

wird endlich gut, so die weithin bekannte Redewendung. Soll heißen, dass etwas, das viel Zeit in Anspruch nimmt, letztlich zu einem positiven Ergebnis führt. Ob dies auch für die in Kürze in Kraft tretende Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) gilt, wird sich zeigen. Zumindest hat nun, nach dem Beschluss im Bundestag, am 8. September auch der Bundesrat grünes Licht gegeben. Somit ist es  amtlich: ab dem ersten Januar 2024 dürfen in den meisten Neubauten nur noch Heizungen, die mit mindeste…

Lesen hält fit

Natürlich gibt es jede Menge Bücher, die sich an Ältere richten. Neben Ratgebern wie Geldanlage und Vermögenssicherung für Senioren oder iPad-Ratgeber für Senioren, finden sich zahllose Titel zur Freizeitgestaltung wie Wanderungen in Oberbayern für Senioren aber auch Belletristisches à la Geschichten aus der guten alten Zeit: als Oma noch mit Kohlen heizte, aus Omas Nähkästchen und Opas Geigenkasten oder Lachgeschichten für Senioren. Viele davon zum Vorlesen, manche in lesefreundlichem Großdr…

Weniger Babys mehr Schüler

In diesem Jahr sank die Zahl der Neugeborenen leicht. Die der Erstklässler stieg allerdings an.

Neu im Kino: Maestro

Im neuen Netflix-Biopic „Maestro“ beleuchtet Bradley Cooper als Regisseur und Hauptdarsteller über 30 Jahre hinweg das Leben des legendären Komponisten Leonard Bernstein, sowie dessen Beziehung zu seiner Ehefrau Felicia Montealegre. Am 6. Dezember startet die bildgewaltige Charakterstudie in den deutschen Kinos.

Filmpreview: BlackBerry – Klick einer Generation

Das im kanadischen Waterloo ansässige Unternehmen Research in Motion Inc. wurde durch seine BlackBerry-Smartphones weltberühmt. Diese ersten Geräte ihrer Art konnten sich schnell auf dem Markt durchsetzten. Die Co-CEOs Mike Lazaridis (Jay Baruchel) und Jim Balsillie (Glenn Howerton) waren zwei der berühmtesten Unternehmer Kanadas. Sie machten die Region um Waterloo zu Kanadas Antwort auf das Silicon Valley. 

Neu auf DVD & Blu Ray: Gran Turismo

Jann Mardenborough (Archie Madekwe) hat den großen Traum, Rennfahrer zu werden. Einziges Problem: Er hat nicht die finanziellen Mittel, um Teil des elitären Motorsports zu werden – und drückt lediglich an der PlayStation beim Videospiel „Gran Turismo“ aufs Gaspedal. Doch dann wird Jann, als einer der besten Spieler des Planeten, dazu eingeladen, bei einem großen, internationalen Turnier mitzufahren.

ANZEIGEN

BLIX-NEWSLETTER

VERANSTALTUNGEN

ALLGÄU-OBERSCHWABEN

Anmerkungen zur Unechten Teilortswahl

Wahl heißt Auswahl

Zur Entscheidung des Bad Wurzacher Gemeinderates, es für die im Juni 2024 anstehende Kommunalwahl beim Verfahren der …
Ravensburg – Die Ravensburg Towerstars konnten am Freitagabend nicht an die guten Leistungen der letzten Spiele anknü…
Bad Waldsee (rei) – Annemarie Kunz, geboren 1936 an der Hochstatt, hat in Südafrika und Namibia gelebt. Dort hat sie …
Bad Schussenried – Weihnachtszeit ist Krippenzeit: Unter dem Titel „Zur Krippe her kommet“ präsentieren die Staatlich…
Bad Schussenried – Die Hollywood Hills, neue Star-Wars-Modelle und mittelalterliche Abenteuerwelten: Unter dem Titel …
Cookie Consent mit Real Cookie Banner