Ummendorf – Die „Handwerkliche Brennkunst“ ist in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. Mit dem Erhalt der Brennkunst geht auch der Erhalt der Streuobstwiesen einher. Dazu trägt auch der Traditionsbetrieb Steigmiller-Lutz in Ummendorf bei.
Der Begriff Kulturerbe hat sich in den letzten Jahrzehnten stark erweitert. Das Kulturerbe endet nicht bei Baudenkmälern wie dem indischen Taj Mahal oder Schloss Neuschwanstein. Es umfasst auch Traditionen und lebendige kulturelle Ausdrucksformen, wie mündlich überlieferte Traditionen, darstellende Künste, gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste, Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken. Beispiele aus den UNESCO-Listen des immateriellen Kulturerbes sind so die Handwerkstechnik des Blaudrucks, die Klassische Reitkunst der Spanischen Hofreitschule, das alpine Bergsteigen, die neapolitanische Kunst des Pizzabackens, die Parfumkunst aus Südfrankreich, die reiche Bierkultur Belgiens, die Herstellung von Terrazzo in traditioneller Handwerkstechnik oder der jamaikanische Reggae. Ebenfalls der Erhalt von Sprachen. Auch Capoeira in Brasilien oder Yoga in Indien werden seit 2003 in den internationalen Listen der UNESCO geführt. Seit 2013 ist das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes eine Zusammenstellung von Kulturformen in der Bundesrepublik Deutschland. Hier werden kulturelle Ausdrucksformen wie Tanz, Theater, Musik, Bräuche, Feste und Handwerkskünste aufgenommen, denen lokal, regional und national besondere Bedeutung zukommt. Bereits 2014 wurden neben der Flößerei auch der Rheinische Karneval mit all seinen lokalen Varianten und das Niederdeutsche Theater eingetragen. 2016 wurden im Zuge etwa die Ostfriesische Teekultur, der Poetry-Slam, das Hebammenwesen und die traditionelle Handwerkstechnik des Blaudrucks als immaterielles Kulturerbe anerkannt. 2020 wurden etwa das handwerkliche Bierbrauen und die deutsche Friedhofskultur aufgenommen. Seit März 2025 enthält das Verzeichnis insgesamt 168 Einträge, neu hinzugekommen: die Brennkunst.

Kulturerbe Handwerkliche Brennkunst
Handwerkliche Brennkunst ist vor allem im süddeutschen Raum eine verbreitete und identitätsstiftende Handwerkstechnik. Sie trägt auch zum Erhalt der Streuobstwiesen bei, was einen wichtigen Beitrag zur Sicherung von Kulturlandschaft und Artenvielfalt leistet.
900 Tonnen Streuobst wurden im letzten Jahr bei Steigmiller-Lutz angeliefert. Dieses Jahr werden es bis zum Ende der Saison rund 250 Tonnen sein, schätzt Felix Lutz. „Das liegt an der Alternanz, der Schwankung des Fruchtertrages im zweijährlichen Rhythmus“, erklärt er. Während früher vor allem Bauern mit dem Traktor Äpfel und Birnen anlieferten, die sie zu Most für ihre Fässer im Keller pressen ließen, werden die Früchte heute vor allem in kleineren Mengen im PKW angeliefert.
Im ansprechend gestalteten Verkaufsraum hängt die Küfer-Meister-Urkunde von Großvater Karl Steigmiller. Im Jahr 1951 gründete der Küfermeister das Unternehmen in Ummendorf, ursprünglich zur Herstellung von Holzfässern, Holzsilos und Bottichen. Dieser Schritt legte den Grundstein für das, was sie heute sind: ein Familienbetrieb mit einer langen Tradition im Handwerk und der Fruchtsaftproduktion. Nachdem der Firmengründer eine Apfelpresse angeschafft hatte, begann er 1955 mit der Flaschenabfüllung. Die Fruchtsaftproduktion ist noch heute zentraler Bestandteil des Sortiments.

1959 entstand die Brennerei. Nicht Karl Steigmillers beide Söhne sondern Tochter Martina entschied sich für die Ausbildung zur Fachkraft für Fruchtsafttechnik und wurde 1985 an Deutschlands einziger Schule für diesen männerdominierten Beruf Klassenbeste. 1992 übernahm Martina Steigmiller-Lutz das Unternehmen und benannte es in „Steigmiller-Lutz Fruchtsäfte · Mosterei · Brennerei“ um. Unterstützt wurde sie von ihrem damaligen Mann, Johannes Lutz, seit 2010 Brennmeister. 2018 stieg Anna Lutz, die Schwester von Felix, nach dem Studium in BWL-Foodmanagement ins Unternehmen ein. Im Jahr 2019 übernahm Felix Lutz das Unternehmen in der dritten Generation. Nach seinem Studium zum Mechatroniker stieg er mit technischem Know-how und frischem Blick in den Betrieb ein. Seine Bachelorarbeit widmete er einer eigenen Entwicklung: einer Abfüllanlage für Bag-in-Box, heute fester Produktions-Bestandteil. 2024 wurde an der Fischbacher Straße in moderner Massivholzbauweise eine Lagerhalle auf 350 m² Fläche gebaut. Auch Ehefrau Theresa arbeitet in ihrer Elternzeit im Betrieb. Sie gestaltet unter anderem den professionellen Web-Auftritt und sorgt für Fotos und Videos in den Sozialen Medien. So wird etwa auf Instagram erklärt, wie man Bäume richtig schneidet, schließlich ist Felix Lutz selbst Fachwart für Obst- und Gartenbau.
Auf die Frage, was bei den Spirituosen am besten läuft, antwortet Felix Lutz: „Obstler ist der Klassiker“. Dagegen hat erwartungsgemäß der Zitronengras-Geist wenig Chancen. Generell ist zudem der Essig sehr gefragt: „4000 Liter haben wir davon im letzten Jahr verkauft.“ Sehr viele Stammkunden kommen in den Laden an der Schweinhauser Straße, aber natürlich werden auch Getränkemärkte und die Gastronomie beliefert. Ähnlich wie die ungespritzten Früchte jeden Herbst ab September aus einem Umkreis von rund zwanzig Kilometern angekarrt werden, stammen auch die meisten Kunden aus der Gegend. Regionalität ist hier kein Marketingbegriff sondern gelebte Verantwortung.
Ausdrücklich wird in der Begründung der Deutschen UNESCO-Kommission zur Aufnahme der „Handwerklichen Brennkunst“ die große Tradition von kleinen, familiengeführten Brennereien hervorgehoben, in denen das handwerkliche Wissen zu Herstellung, Konsum, Identität und Wertschöpfung von Generation zu Generation weitergetragen wird. Familie Steigmiller-Lutz ist ein hervorragendes Beispiel dafür.
Autorin: Andrea Reck
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