Skip to main content
Der Ravensburger Journalist und Autor Wolfram Frommlet (Jg. 1945) hat lange als Kolumnist in der Schwäbischen Zeitung geschrieben und schreibt immer noch für BLIX. Foto: Bashar Kassou

Ravensburg – Wer reist, braucht einen Koffer. Was aber mitnehmen in die neue Welt, die eine alte ist? Wolfram Frommlet hat sich für Musik und Bücher entschieden. Es ist das Eigene, das ihm viel bedeutet, was er in die Fremde mitnimmt. Das Fremde ist Afrika, von Ost nach West. Lusaka, Hauptstadt von Sambia, dorthin bricht der Ravensburger 1978 mit schwangerer Frau auf ohne Rückflugticket. Es ist der Beginn einer langen Reise, die eine Suche ist. Im Koffer Johann Sebastian Bach, dessen Musik dem Globetrotter Heimat gibt.

Jetzt hat Wolfram Frommlet, kurz vor seinem 80. Geburtstag, sein Leben zwischen Eigenem und Fremdem in einem Buch zusammengefasst. „Johann Sebastian Bach geht über den Sambesi“ umschreibt den persönlichen Teil des Buches; der Untertitel „Reisen in die Schatten Europas“ ist mit Blick auf die vergangenen 60 Jahre die kritische Bilanz über das Erbe des Kolonialismus, wozu die so genannte Entwicklungshilfe ebenso zählt wie der Neokolonialismus in Form eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, das Ausbeutung fortsetzt und nur entwickelt, was Profit verspricht. Die Folge ist Abhängigkeit und Korruption, und das im Wettrennen um Einflusssphären mit russischen Söldnern und chinesischem Kapital inklusive Baubrigaden.

ANZEIGE

Frommlet spannt den großen Bogen vom Eigenen zum Fremden, wobei ihm das Eigene auch fremd wird, je mehr er sich der (eigenen) Geschichte nähert. Wolfram Frommlet kommt kurz vor Kriegsende in Ravensburg zur Welt, ein Ort, der von Bomben verschont bleibt, wohin die Mutter, nur fort von Ulm, flüchtete. Der Krieg endete, die Familie blieb, wo das Einzelkind wohlbehütet auch von Oma und Opa aufwächst und mit viel bürgerlicher Kultur ausgestattet, aber auch mit viel schulisch gewolltem Unwissen über das Grauenhafte, auf eine Welt stößt, in der das Morden millionenfach und industriell geschah und viele der Täter und Helfer unbehelligt blieben und schon wieder das Sagen hatten. Der junge Frommlet erlebte den Aufschrei über den Zivilisationsbruch beim Studium in Tübingen und München, die 68er prägten den Studenten des Schöngeistigen (Kulturwissenschaften und Gesang) nachhaltig. Als Regisseur und Dramaturg lernte er das Theater in München und Kassel kennen, aber nicht die Oper wurde dem in klassischem Gesang Ausgebildeten zur Bühne, sondern das Radio war fürderhin sein Medium, nicht als Sänger sondern als Journalist, der einen Auftrag hatte. Und den sah er nach ersten gelungenen Gehversuchen beim WDR in seinem Engagement als Radiomacher in Afrika, genauer in Sambia, genauer in der Hauptstadt Lusaka. Dorthin reiste er 1978 mit schwangerer Frau im Auftrag der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung: Um was zu tun?

Diese Frage beschäftigt den 80-Jährigen immer noch. Sie ist Antrieb für sein Schreiben, das den Versuch darstellt, auf 350 Seiten zu klären, warum er gelebt hat, wie er gelebt hat im Zeitenwandel, abhängig und unabhängig, aber immer mit dem Risiko: „Ich wage zu scheitern.“

ANZEIGE

Das Buch handelt von Politik, im Besonderen von Entwicklungspolitik, und von Geschichte, im Besonderen vom Kolonialismus, und von Journalismus, im Besonderen vom Radio, und es handelt von Wolfram Frommlet, im Besonderen als intimer Zeitzeuge, der die Sinnfrage stellt.

Und weil ich selbst zu sehr ins Grübeln gerate – als Betroffener, der nur ein Jahr später als Frommlet 1979 als 21-jähriger Forstwirt und „Entwicklungshelfer“ in einem Aufforstungsprojekt in Obervolta, heute Burkina Faso, in Westafrika, tief „im Busch“ mitarbeitete, fernab von oberschwäbischem Komfort, aber dennoch privilegiert – ziehe ich den Verlag zu Rate, um kurz zusammenzufassen, was Wolfram Frommlet in Sambia und in den folgenden 30 Jahren in weiteren afrikanischen Ländern als Auftrag hatte. Es ging ganz modern um Teilhabe, um demokratische Repräsentanz, die im Rahmen von Medienprojekten im Radio denen eine Stimme geben sollte, die keine haben: Frauen, der ländlichen Bevölkerung, den Armen sowie dem Reichtum afrikanischer Kulturen ein Forum zu verschaffen. Das war das Ansinnen.

An dem Frommlet meist scheiterte, wie er einräumt. Nicht weil er es nicht konnte oder wollte, sondern ganz profan, weil kein politisches Interesse bestand, die Stimmen von unten zu hören und erst recht nicht, Demokratie zuzulassen. Das widerspricht zwar dem Begehren der Bevölkerung, wie Frommlet feststellt, aber die Eliten kümmert es nicht. Demokratie ist allenfalls das Mäntelchen, unter dem Korruption und Raubbau grassieren. Für den Autor sind es „die Schatten Europas“, das Erbe des Kolonialismus, in dem sich die afrikanischen Gesellschaften auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch befinden, abhängig von eigenen korrupten Eliten und dem korrumpierenden Wirtschaftssystem (jedweder Couleur). Chinas massives Auftreten wendet nichts zum Besseren. Und die russischen Söldner wirken wie eine kolonialistische Persiflage. Nicht geistreich, sondern brutal.

Wolfram Frommlet erzählt eine persönliche Zeitgeschichte mit profundem und detaillreichem Wissen, das er episodenhaft und damit kurzweilig gliedert. Seine Sinnsuche mutet den LeserInnen einiges zu. Zu dem auch das Fazit beiträgt, dass in dem erlebten Zeitraum von 46 Jahren die Verhältnisse sich noch „einmal dramatisch verschlechtert (haben) – vor allem in den afrikanischen Ländern“. Was das bedeutet, ist ebenfalls eine Zumutung. Aber lesen tut gut.

Wolfram Frommlet: „Johann Sebastian Bach geht über den Sambesi. Reisen in die Schatten Europas“. Kröner Verlag, Stuttgart 2024. 350 Seiten, 28 Euro.

Autor: Roland Reck



NEUESTE BLIX-BEITRÄGE

BLIX Editorial Dezember 2025

Liebe Leserinnen, liebe Leser, es ist nun doch geschehen, was ich für absolut falsch halte: das Aus für das Biosphärengebiet in Oberschwaben. Das muss ich und alle Befürworter eines solchen Gebiets akzeptieren. Die GemeinderätInnen in Bad Wurzach und Bad Waldsee haben in großer Mehrheit dagegen gestimmt und damit die Initiatoren des Projekts zum Aufgeben gezwungen. 

„Oh, mein Gott, ein Gringo“

Rom / Immenried – Nachdem am frühen Abend des 8. Mai 2025 im Vatikan weißer Rauch aufgestiegen war, lag eine unglaubliche Spannung über dem Petersplatz. Hunderte Fernsehteams und tausende Gläubige warteten darauf, dass der nach nur 24 Stunden Konklave neu gewählte Papst endlich auf der Loggia des Petersdoms erscheint. Wen hatten die in der Sixtinischen Kapelle versammelten Kardinäle so rasch zum Nachfolger des wenige Tage zuvor in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore beigesetzten Papst…

Ein Nachruf: Vom Paulus zum Saulus

„A scheene Leich“ ist, wenn Angehörige, Verwandt-schaft, Nachbarn, Kollegen, Freunde und Bekannte, darunter auch Kontrahenten, die den Verstorbenen liebten und wertschätzten und ihm die letzte Ehre erweisen, indem sie an seinem Grab zusammenkommen und ihm beim anschließendem Leichenschmaus gedenken: auf dass er unvergessen in ihrer Mitte bleibt und in seinem Erbe fortlebt. Das ist beim vorzeitigen Tod des Biosphärengebietes Oberschwaben nicht der Fall. Es wurde abgewürgt und in die Gruft gest…

500 Jahre Bauernkrieg: Was bleibt?

Das Jahr des Erinnerns an die Geschehnisse vor 500 Jahren, als die Bauern in Oberschwaben und vielerorts gewaltsam gegen ihre Unterdrückung rebellierten, geht zu Ende. Die Große Landesausstellung 2025 „Uffrur! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25“ in Bad Schussenried wurde von rund 36.000 Besucherinnen und Besuchern gesehen. BLIX sprach mit dem Historiker und ehemaligen Archivar im Landkreis Sigmaringen Dr. Edwin Ernst Weber über das außergewöhnliche Gedenkjahr. Weber ist vielfacher A…

Kult(ur)gebäck

Weihnachtsgebäck hat eine jahrhundertealte Geschichte. Schon seit dem Mittelalter gibt es in Europa allerlei Leckereien zur Weihnachtszeit. Damals waren es vor allem Gewürzgebäck und einfache Brote, die mit Honig und Nüssen verfeinert wurden. Heute gibt es eine riesige Vielfalt – oft generationenübergreifend. 

„Die Meisten wollen Nachschlag“

Biberach – Zusammen einen Teller Suppe löffeln und dabei Gemeinschaft erleben, lässt sich während des Winterhalbjahrs im Stadtteilhaus Gaisental. Die Aktion „Suppenglück“ wärmt bereits im fünften Jahr Herz und Magen. 

„Ich wollte diese schrägen Vögel“

Biberach – Kunst der 1970er Jahre in Oberschwaben präsentiert das Museum Biberach seit dem 21. November in der Ausstellung „Time is on my side“. Höchst überraschend und sehr sehenswert. 

Leitung mit Leidenschaft

Biberach – In den vergangenen Jahren erlebten die Biberacher Filmfestspiele mehr Tiefen als Höhen. Seit dem letzten Jahr erfährt das Festival aber eine positive Weiterentwicklung. Ein gelungener Auftakt für die neue Vorsitzende Carolin Bock.

Im Alter online

Senioren können mit digitalen Medien nicht umgehen? Das stimmt nicht generell, wie eine neue Studie belegt. Zudem gibt es Unterstützung von vielen Seiten. Nicht nur von den Enkeln.

Nur noch neun Monate

Na endlich. Geht doch. Schwanger! Juhu! Sie haben einen positiven Schwangerschaftstest? Es darf gefeiert werden. Natürlich ohne Alkohol. Rauchen ist ebenso tabu. Die Gefühle schlagen Purzelbäume und Frau darf sich erst mal freuen. Und dann, was ist zu erledigen?

Wenig Licht macht dick

Sobald die Tage kürzer werden, können Dunkelheit und Kälte ganz schön auf die Stimmung drücken. Spezielle Tageslichtlampen und Lichttherapien sollen dabei helfen, aus dem Winterblues wieder heraus zu kommen.

Leserbriefe BLIX Dezember 2025

Auch im November erreichten uns wieder viele Leserbriefe. Vor allem das Thema Biosphärengebiet stand bei den zahlreichen Zuschriften im Fokus.

Neu im Kino: Avatar: Fire And Ash

Ganze 16 Jahre ist es her, dass James Cameron uns zum ersten Mal nach Pandora entführt hat. Die faszinierende Welt der Na’vi begeisterte damals Millionen Menschen rund um den Globus und löste eine Renaissance des 3D Kinos aus. Am 17. Dezember startet nun mit „Avatar: Fire And Ash“ bereits der dritte Teil der erfolgreichsten Sci-Fi-Saga des 21. Jahrhunderts in den deutschen Kinos.

Making Of: Spaceballs 2 (2027)

Für welchen heiss erwarteten Blockbuster haben die Dreharbeiten gerade begonnen? Wurde eine berühmte Comicbook-Figur mit einem neuem Schauspieler umbesetzt? In unserer neuen Kino-Rubrik “Making Of” verraten wir worauf sich Cineasten und Superhelden-Fans gleichermaßen freuen dürfen. Wir blicken hinter die Kulissen der kommenden Kassenschlager und wagen eine Erfolgs-Prognose.

Filmpreview: Stromberg – Wieder alles wie immer

Vor 20 Jahren lernte Deutschland Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst) und sein Team von der Schadensregulierung der CAPITOL-Versicherung kennen. Damals gab es noch nichts Veganes in der Kantine, Mobbing war Breitensport im Büro und Bernd Stromberg sagte: „Ich respektiere Frauen… in der Regel“. Seither hat sich die Arbeitswelt enorm verändert. Bernd Stromberg auch?

ANZEIGEN

BLIX-NEWSLETTER

VERANSTALTUNGEN

ALLGÄU-OBERSCHWABEN

Leutkirch  – Am Samstag, 6. Dezember, gastiert das Landestheater Schwaben um 19.30 Uhr mit der musikalische…
Bad Wurzach – Der Kreistag hat am 4. Dezember beschlossen, dass die Bahn und das Land gemeinsam mit finanzieller Unte…
Ravensburg – Für die Ravensburg Towerstars stehen am kommenden Wochenende zwei anspruchsvolle Bewährungsproben auf de…
Wolfegg – Drei Tage lang lädt das Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben in Wolfegg zum Adventsmarkt ein. Auch dieses …
Wolfegg – Es sind Momente, die selbst in der langen Geschichte der Sozialdemokratie äußerst selten sind: Ein Mitglied…