Munderkingen – Ein Festival für aktuelle Musik in der kleinsten Stadt des Alb-Donau-Kreises? Man darf gespannt sein, was internationale Musikerinnen und Musiker vom 7. bis 9. November an zehn unterschiedlichen Spielorten zum Klingen bringen. Der gebürtige Munderkinger Kontrabassist Meinrad Kneer freut sich auf das Miteinander von zeitgenössischer Musik, Jazz und interkulturellen Klängen – aber vor allem auf die Begegnungen zwischen Musizierenden und Publikum.
Ein niederschwelliges Angebot wollen die drei Kuratoren Susanne Fröhlich, Marc Sinan und Meinrad Kneer machen. Konzerte werden ab 15 Euro angeboten, das Ticket für alle drei Tage kostet nur 60 Euro. Möglich wird das durch die Unterstützung des Regionalentwicklungsprogramms Leader und privater Sponsoren.
Munderkingen, 33 Kilometer südwestlich von Ulm an der oberschwäbischen Barockstraße gelegen, ist eine Hochburg der schwäbisch-alemannischen Fasnet. Mit zeitgenössischer Musik punktete die Fünftausend-Einwohner-Stadt am Donauradweg zwischen Donaueschingen (wo zeitgenössische Kunstmusik schon seit über hundert Jahren gefördert wird) und Wien (einer der Musikhauptstädte der Welt) bisher nicht. Noch nicht.
Meinrad Kneer, 1970 in Munderkingen geboren, hält die Stadt für einen wunderbaren Ort der Begegnung und der Vermittlung anspruchsvoller moderner Musik. Er stammt aus einer Restauratoren-Familie. Im Atelier seiner Schwester Monika Kneer, Diplom-Restauratorin, in der Breslauer Straße konzertiert am 8. November etwa die Marc Sinan Company. Gegründet hat die Firma vor über hundert Jahren der Urgroßvater.
Meinrad hatte schon früh zwei Leidenschaften: Ornithologie und Musik. „Ich konnte mich rausziehen aus der Restaurierungsgeschichte“, lacht er. „Nach dem Abitur studierte ich erst einmal Biologie in Tübingen“, erzählt er im Gespräch mit BLIX. „Ich dachte, Musik kann ja mein Hobby sein.“ Schon als Kind hatte er wie sein Bruder Klavier gespielt und bereits mit 15 Jahren Kontrabass-Unterricht bekommen an der Musikschule Biberach. Ungewöhnlich früh war er Jazz-Fan und hörte zusammen mit seinem drei Jahre älteren Bruder entsprechende Platten. Die Schwester lernte klassischen Gesang. In den späten Achtziger Jahren spielte er im Biberacher Jugendorchester Bass. Nach zwei Semestern Biologie-Studium entschied er sich schließlich für Musik als Beruf und studierte von 1995 bis 1999 in den Niederlanden. Zunächst in Hilversum, der ältesten Jazz-Hochschule Europas. Diese fusionierte mit der Musikhochschule in Amsterdam, wo der Munderkinger 19 Jahre lebte. Natürlich spricht er fließend Niederländisch.
Amsterdam war ihm irgendwann zu klein, er zog nach Berlin, Szene-Hauptstadt für improvisierte Musik. Dort lebt der kinderlose Musiker noch heute und fühlt sich sehr wohl. In der oberschwäbische Heimat kommt er regelmäßig, um seine Mutter und seine Schwester zu besuchen.
Kneer trat seitdem mit renommierten Musikern wie Najma Akhtar, Richard Barrett, Conny und Johannes Bauer, Han Bennink, Iva Bittová, Jaap Blonk, Tony Buck, Tobias Delius, Bill Elgart, Ceylan Ertem, Fred Frith, Tristan Honsinger, Paul Lovens, Roscoe Mitchell, Jon Rose und vielen mehr auf.
Mit Tobias Klein leitete er von 1998 bis 2005 die Gruppe Dalgoo, mit der er 2002 mit dem Jur Naessens Muziek Prijs ausgezeichnet wurde. Er konzertierte in renommierten Häusern wie der Elbphilharmonie/Hamburg, dem Meistersingersaal/Nürnberg der Philharmonie München, dem Konzerthaus Berlin, der Philharmonie Jena und dem Staatstheater Karlsruhe. Mit Albert van Veenendaal gründete er 2006 das Plattenlabel Evil Rabbit Records.
Der vielseitige Kontrabassist, Komponist, Improvisator, Bandleader und Labelbetreiber und jetzt auch Festivalmacher bewegt sich musikalisch auf den Grenzen von Jazz, improvisierter Musik, zeitgenössisch-komponierter Musik und interkultureller Musik. Auch Literaturprojekte hat er immer wieder gemacht, mit Texten von Daniil Charma, Velimir Chebnikov, Christian Morgenstern oder ganz aktuell dadaistischen Künstlern.
Nicht elitär sondern zugänglich
Während der letzten Jahre war er in den meisten Ländern West- und Osteuropas, sowie dem Mittleren Osten, der Türkei, Nordafrika, Australien und Mexiko auf Tour. Er hat schon früh mit indischen, türkischen, syrischen und osteuropäischen Musikern und Musikerinnen gespielt, interkulturelle Musik liegt ihm sehr am Herzen. Deshalb freut er sich auch sehr auf das Festival in Munderkingen, wo viele Einflüsse aufeinandertreffen. Anspruchsvolle zeitgenössische Musik, von manchen als elitär und unzugänglich empfunden, will er allen Interessierten zugänglich machen. Unter anderem durch vermittelnde Künstlergespräche.
Dass derzeit in vielen Ländern an der Kultur gespart wird, vor allem dort, wo ein Rechtsruck stattfindet, macht ihm Sorgen. Zudem würden viele Veranstalter auch altershalber aufhören. Umso gespannter ist er auf das Festival in Munderkingen. Geplant ist, es als Wanderfestival in anderen Regionen Oberschwabens im nächsten Jahr fortzusetzen. Aber nun erst einmal Munderkingen, wo die Stadt Rathaussaal und VHS-Räume zur Verfügung gestellt hat. Was das Kuratoren-Team, die Flötistin Susanne Fröhlich, der Gitarrist Marc Sinan und er, auf die Beine gestellt hat, sei „eine sehr runde Geschichte geworden“.
Autorin: Andrea Reck
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