In Zeiten des Klimawandels und der Ausbeutung der Natur führt Hermes, der Gott des Geldes, der Kaufleute und der Diebe einen erbitterten Kampf gegen Demeter, die Göttin der Fruchtbarkeit und der Erde, die sich mit Pan, dem Gott des Waldes und der Natur, verbündet hat; Ares, der Kriegsgott, tobt sich an vielen Orten dieser Erde schamlos aus; Athene, die Göttin der Weisheit und der Wissenschaft, steht mit Peitho, der Göttin der Verführung, in erbittertem Streit … Wohin soll das führen? Eine Antwort darauf hoffte ich in Slowenien zu finden: auf einer achttägigen Wanderung im Nationalpark Triglav, in den Julischen Alpen. Wie immer mit meinem Freund Kalle, denn vier Augen sehen mehr als zwei, und der Austausch mit einem Vertrauten rückt manche Eindrücke zurecht.
Mit dem Zug fuhren wir nach Villach – ganz entspannt und durchgehend ab Ulm. Nach einer ruhigen Nacht im Hotel nahmen wir den slowenischen Zug nach Jemenice, dann den Bus nach Mojstrana Dovje, um von dort aus aufzusteigen auf die Hütte namens Aljazev Dom v Vratih. Wie wohl war uns in der Nacht, als draußen ein heftiges Gewitter tobte, und wir in den gemütlichen Räumen der Alpenvereinshütte Schutz fanden!
Die Berghänge sind bis weit hinauf von geschlossenen Wäldern bedeckt, die grün sind und vital, voller Kraft. Unerwartet für uns ist die Buche die dominierende Baumart; die eingesprengten Fichten verabschieden sich zunehmend, denn auch im Nationalpark Triglav gibt es Hitzewellen und Borkenkäfer. Aber der Mischwald aus Buche, Ahorn und Vogelbeere kann den Ausfall der Fichten problemlos verkraften und zeigt eine unglaubliche Regenerationskraft. Unterstützt wird er von kompetenten Förstern, die in Slowenien bereits 1949 ein Kahlschlagverbot durchgesetzt haben. Ja, natürlich spürt man auch hier den Klimawandel: höhere Temperaturen, Trockenperioden, weniger und schlechter verteilter Regen in der Vegetationszeit, trockenfallende Bäche. Aber die Wälder und das gesamte Ökosystem zeigen eine hohe Anpassungsfähigkeit, wenn man ihnen Zeit lässt.

Ja, wir müssen die Verbrennung der fossilen Energieträger deutlich reduzieren, wir müssen mit Energie sparsam und effizient umgehen, wir müssen unsere gesamte Lebens- und Wirtschaftsweise naturverträglicher gestalten. Aber wir Menschen werden es nicht schaffen, das Leben auf diesem Planeten auszurotten – dafür ist die Kraft der Natur zu groß und wir nur ein kleiner Teil davon. Der Klimawandel bedroht nicht das Leben schlechthin, sondern uns Menschen: uns droht der Verlust geeigneter Lebensräume und dadurch ausgelöste heftige Verteilungskämpfe. Es liegt in unserer Hand, ob wir sie kooperativ oder gewaltsam lösen.
Der zweite Tag wird sportlich. Über den Luknja-Pass stiegen wir auf einem alten Militärpfad aus dem 1. Weltkrieg hinauf zur Hütte Koča na Doliču auf 2.150 m. Das ist eine einfache Unterkunft des slowenischen Alpenvereins: kein Funknetz, geschweige denn WLAN, keine Steckdose zum Handy aufladen, für die 60 Übernachtungsgäste steht ein Waschbecken zur Verfügung, gespeist aus der Zisterne. Die Julischen Alpen bestehen weitgehend aus kalkhaltigem Gestein, aus Jura und aus Dolomit, und damit versickert jedes Wasser schnell in dem zerklüfteten Untergrund. Wie auf der Schwäbischen Alb. Frisches Trinkwasser ist deshalb rar, besonders auf den Höhen. Aber die Stimmung auf der Hütte war fröhlich und gelassen, die Verpflegung gut, und geschlafen haben wir in dem Matratzenlager auch bestens. Auf Luxus zu verzichten und sich auf das Wesentliche zu beschränken geht sehr gut, die Gewöhnung erfolgt überraschend schnell. Und es macht den Kopf frei.

Am dritten Tag folgten wir bei herrlichem Sonnenwetter einem Rundweg am Fuße des Triglav (gesprochen: Triglau). Was dem Österreicher der Großglockner, dem Deutschen die Zugspitze und dem Schweizer das Matterhorn, ist dem Slowenen der Triglav, mit 2.864 m der höchste Berg Sloweniens. Entsprechend groß war der Andrang auf den Gipfel, überwältigend war die freie Sicht bis weit nach Süden Richtung Mittelmeer. Der Triglav gibt dem dortigen Nationalpark auch seinen Namen: Triglavski narodni park. Seine Gründung geht auf das Jahr 1924 zurück, heute misst er knapp 84.000 Hektar. 60 Mitarbeiter kümmern sich um den Schutz von Flora und Fauna, um Forschung und Pflege in dem Schutzgebiet von internationaler Bedeutung. Ein fülliger Reichtum von Insekten umschwärmte uns, und weil die Jagd ruht, konnten wir eine Gruppe junger Steinböcke aus allernächster Nähe beobachten.
Nach der Hochgebirgstour stiegen wir am vierten Tag ins Tal der Soča ab, deren Wasserlauf wir die weiteren Tage folgten bis zum Städtchen Most na Soči. Der Soška pot genannte Weitwanderweg besteht aus teils felsigen Saumpfaden am Ufer des wilden Gebirgsbaches, teils aus steilen Pfaden durch unberührte Böschungswälder und teils aus kleinen Sträßchen durch eine liebliche, artenreiche Kulturlandschaft. Er ist gut unterhalten und markiert.

Die Soča ist ein weitgehend natürlich verlaufender Gebirgsfluß. Italienisch heißt er Isonzo, und unter diesem Namen hat er auch traurige Berühmtheit erlangt. Im 1. Weltkrieg lieferten sich Italien und Österreich-Ungarn entlang des Flusses insgesamt zwölf Schlachten, die auf beiden Seiten Verluste von mehr als einer Million Soldaten forderten. Beide Kriegsparteien suchten im niedriger gelegenen Teil der Alpen die militärische Entscheidung – ohne nachhaltigen Erfolg. In dem malerischen slowenischen Städtchen Kobarid (Karfreit) ist ein Museum eingerichtet worden, das die zwölfte und letzte Isonzo-Schlacht aufbereitet: sehr einfühlsam werden die Fakten präsentiert, angereichert von Ausstellungsstücken, welche die unsägliche Brutalität dieses Krieges veranschaulichen. Daneben werden persönliche Schicksale von einfachen Soldaten nachgezeichnet, die im Krieg kämpften und in Gefangenschaft gerieten. Ohne Schuldzuweisung, ohne moralische Überheblichkeit wird an die Schrecken dieser Zeit erinnert. Und wieder einmal wird uns bewusst, welch segenbringende Wirkung die auf Kooperation angelegte Europäische Union entfaltet hat. Nicht nur, dass kein Geldumtausch nötig ist (der Gebühren kosten würde), dass wir problemlos nach Hause telefonieren und Kontakt mit unseren Familien halten können (was ohne Zusatzgebühren ist); nicht nur, dass wir uns ohne Grenzkontrollen frei bewegen können und auch in Slowenien einen mitteleuropäischen Standard in allen Lebenslagen vorfinden. Auch die Verständigung ist gut möglich. Es gibt 2,5 Millionen Slowenen, und sie erwarten nicht unbedingt, dass die Besucher ihre Sprache sprechen. Aber höflich gefragt, kann man sich fast überall mit englisch, deutsch oder italienisch verständigen. Und überall wurden wir freundlich und respektvoll aufgenommen. Unverständlich ist für uns, dass es Kräfte gibt, die dieses Europa in Frage stellen und zurück zu den rivalisierenden Nationalstaaten wollen. Deren Verheerungen sich in dem Museum in Kobarid betrachten lassen.
Eirene, die Göttin des Friedens, und ihre Schwestern Dike und Eunomia, die Göttinnen für Recht und Gerechtigkeit, sie haben in Europa die Chance, mit Zeus‘ Hilfe dem Treiben des Kriegsgottes Ares Einhalt zu gebieten. Nein, trotz aller Krisen ist diese Welt nicht verloren. Es liegt an uns, die guten Kräfte zu stärken und für eine lebenswerte Zukunft zu nutzen.
Die Rückfahrt ging über Nova Gorica und Gorizia – der slowenisch-italienischen Doppelstadt. Sie ist dieses Jahr Kulturhauptstadt Europas und hat ein vielfältiges Programm aufgelegt – grenzüberschreitend. Auch die Bahngesellschaften in der europäischen Union arbeiten gut zusammen, die Fahrpläne sind aufeinander abgestimmt und der Kauf von Fahrkarten in Zeiten von Handy und Internet problemlos. Kooperation statt Konfrontation findet auch hier statt. Übrigens: auch in anderen Ländern haben Züge bisweilen Verspätung. Am Ende unserer Reise kamen wir aber zuverlässig und zu guter Zeit nach Hause.
Autor: Dietrich Knapp
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