Ulm – Essen ist Alltag, Kultur und Leben. Und sowohl beim Kochen als auch beim Gestalten von Kunst finden kreative Verwandlungen statt. Es erstaunt daher nicht, dass sich zahlreiche KünstlerInnen intensiv mit der Zubereitung von Essen beschäftigen, mit organischem Material arbeiten, Restaurants betreiben und sogar Essensmanifeste verfassen. Das Museum Brot und Kunst in Ulm serviert dazu eine delikate Sonderausstellung.
Beim Betreten der Sonderausstellung fällt gleich eine große Skulptur in einem kühlenden Gehäuse ins Auge. Die Figuren im Kühlschrank tragen barocke Züge. Im Barock waren die Menschen vom Tod umgeben, sie feierten das Leben und das Hier und Jetzt umso mehr, und freuten sich an Augen- und Materialtäuschungen. Hier knüpft die Künstlerin, Sonja Alhäuser mit ihrem Kunstwerk „Das Willkommen, 2009 – 2024, Ziehmagarine“ an. Ihre Figurengruppe aus Margarine ist fragil und flüchtig, und doch verspielt.
Die Sonderausstellung „Delikatessen“ zeigt Werke internationaler KünstlerInnen zu diesem Themenkreis. Vom Konzeptkünstler Piero Manzoni stammt die Uova scultura von 1960, ein mit Fingerabdruck signiertes Ei und wirft die Frage auf, ob man Kunst essen darf?
In der Ausstellung zu sehen ist auch die „Spiegelkantine V, 2000, Chromogener Farbabzug von Candida Höfer. Sie fotografierte die Mitarbeiterkantine im Spiegel-Verlagsgebäude in ihrer üblichen Sachlichkeit, menschenleer. Die Kantine wurde 1969, wie das gesamte Gebäude, vom dänischen Designer Verner Panton gestaltet, der für seine poppig-psychedelischen Innenräume bekannt war. Die Farben sind typisch für die 1960er Jahre. Dreißig Jahre später befanden sich nur noch die Kantine und die Snackbar im Originalzustand und wurden unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2012 ist die Kantine Teil der Dauerausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg.

Daniel Spoerri und Gordon Matta-Clark eröffnen 1968 bzw. 1971 Restaurants als Gesamtkunstwerk. Hier wird Kochen und Essen zur Performance.
Ähnlich radikal geht Dieter Roth mit Lebensmitteln als künstlerischem Material um. Seine Porträts aus Schokolade sind vergänglich, wie alles Lebendige.
Auch Pop Art Künstler, allen voran Andy Warhol, holen Alltägliches in ihre Kunst. Sie beschäftigen sich allerdings mit Massenkonsum und industriellen Produkten. Zu sehen ist „Andy Warhol eating a hamburger“ von Jørgen Leth aus: 66 secenes from America, 1982. Es ist eine schmucklose Bildkomposition, die Andy Warhol zeigt, wie er schüchtern und blass seinen Hamburger verzehrt. Anschließend steckt er die Verpackung wieder in die Tüte, wartet, und verkündet schließlich: „My name is Andy Warhol, and I just finished eating a hamburger“.
In der Ausstellung findet sich auch das Gemälde „Delicatessen, 2023, Öl auf Leinwand“ von Juliane Hundertmark. Die einfühlsame Beobachterin Hundertmark untersucht in ihren Bildern die sozialen und emotionalen Beziehungen zwischen Menschen, die hier zum Essen zusammenkommen. Kleine Geister oder Tiere sitzen den merkwürdigen, teils maskenhaften, teils expressiven Figuren auf dem Schoß, als Ausdruck ihres Unbewussten. Die Szenerie erscheint seltsam und unheimlich, offen für Assoziationen und Erzählungen, eigene Gefühle und Familiengeschichten.
Andere Werke der Ausstellung beschäftigen sich mit märchenhaften Verlockungen, die oft nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Beispiele hierfür sind zwei übergroße Lebkuchenbilder. Sie sind Sehnsuchtsbilder von Kindern, die das weihnachtliche Gebäck lieben und nicht genug davon bekommen können. Der Titel des Werkes „Come here, 2010“ von Claus Richter lässt aber auch an die Hexe im Märchen Hensel und Gretel denken, die die Kinder ruft. Der Name „Lebkuchen“ weckt zusätzlich Hoffnungen. Der süße Kuchen, Inbegriff des Lebens, ist eine Illusion, ein Trugbild, aber ein faszinierendes.
Zu sehen ist auch ein Filmausschnitt von 1972, INA, in dem gezeigt wird, wie Salvador Dalí sein spanisches Buffet bekommt. Dalí wünschte sich ein Schlafzimmer mit Möbeln ganz aus Brot. Hier wird ihm das erste Stück vom Bäcker Lionel Poilâne geliefert. Daneben lässt es sich auch im illustrierten Kochbuch Salvador Dalís „Les diners de Gala, 1973 / 2024 blättern. Das Kochbuch mit von Dalí zusammengetragenen und illustrierten Rezepten zeigt spielerisch, wie verwandt das kreative Wirken in Küche und Atelier in Dalís Augen sind. Alles ist Verwandlung und im Fluss, ist sinnliches Erlebnis, Fest und Drama.
Weitere KünstlerInnen fragen nach kulturellen und individuellen Erinnerungen, die in Lebensmitteln stecken; nach den Emotionen zwischen den Menschen, die sich am Tisch begegnen; nach Küchen und Kantinen; nach märchenhaften Verlockungen und Unverdaulichem.
Zur Finissage erschafft Sonja Alhäuser eins ihrer üppig-wunderschönen Buffets aus essbaren Kunstwerken, die bewundert und gemeinsam verspeist werden dürfen. Die Ausstellung kann noch bis zum 09. November 2025 besichtigt werden.
Autorin: Nicola Gebhart
NEUESTE BLIX-BEITRÄGE
BLIX Editorial Dezember 2025
„Oh, mein Gott, ein Gringo“
Ein Nachruf: Vom Paulus zum Saulus
500 Jahre Bauernkrieg: Was bleibt?
Kult(ur)gebäck
„Die Meisten wollen Nachschlag“
„Ich wollte diese schrägen Vögel“
Leitung mit Leidenschaft
Im Alter online
Nur noch neun Monate
Wenig Licht macht dick
Leserbriefe BLIX Dezember 2025
Neu im Kino: Avatar: Fire And Ash
Making Of: Spaceballs 2 (2027)
Filmpreview: Stromberg – Wieder alles wie immer
BLIX-RUBRIKEN
BLIX-NEWSLETTER
BLIX-ARCHIV
VERANSTALTUNGEN



