Bad Saulgau – „Der Kampf gegen das Artensterben und den Klimawandel ist die größte Herausforderung der Menschheit. Das ist wie eine Damoklesschwert. “ Den Satz wird Thomas Lehenherr (62) nicht müde immer und immer zu wiederholen. Und immer schiebt er nach: „Aber es gibt Lösungen.“ Das Wissen über das Artensterben hat er seit seinem Studium der Agrarwissenschaft in Hohenheim und seinem Aufbaustudium Umweltschutz an der Fachhochschule Nürtingen verinnerlicht. Die Hoffnung, dass noch vieles zu retten ist – motiviert ihn seit 33 Jahren als Umweltbeauftragter der Stadt Bad Saulgau.
Das Nachrichtenmagazin der SPIEGEL hat ihn Anfang des Jahres dafür zu einem von deutschlandweit 100 Hoffnungsträgern erkoren. Zwei Spalten und ein Foto widmete das große Magazin ihm und dem von ihm entwickelte Konzept der Biodiversität in Bad Saulgau. Die gemeinsam mit dem Saulgauer Stadtgärtner Jens Wehner Schritt für Schritt umgesetzte naturnahe Neuausrichtung der Stadt gilt inzwischen bundesweit als beispielhaft, wenn es um ein gedeihliches Miteinander von uns Stadtmenschen mit einer artenreichen Tier- und Pflanzenwelt geht.
In Bad Saulgau blüht es entlang der Einfahrtsstraßen. Auf Verkehrsinseln wachsen und gedeihen insektenfreundlich Stauden, auf städtischen Grünflächen sind Farbtupfer wie die sattrote Kathäusernelke, die lilafarbene Witwenblume, die kelchförmige Wiesenglockenblume, der Wiesenstorchschnabel mit seinen weit geöffneten Blütenblättern oder wuschelige und farbenfrohe Wiesenflockenblumen zu Hause. Nahrung satt für Insekten.

Als Thomas Lehenherr 1992 in der städtischen Verwaltung anfing, war städtisches Grün noch weitgehend „Einheitsgrün“, ein Begriff, mit dem Infotafeln an den Blumenwiesen den Unterschied klarmachen. Städtische Blumenbeete und Grünflächen waren mit Pflanzen bestückt, die Jahr für Jahr ausgetauscht werden mussten. Sie boten allenfalls Menschenaugen ein Farbenspiel, waren für Insektenarten aber nur Wüste: Parkrasen, Steingärten und Blumenbeete mit Exoten wie Cotoneaster, Feuerdorn oder Kirschlorbeer. Die Folgen sind heute bundesweit spürbar. „Im Vergleich zu früher gibt es nur noch 20 Prozent der Insekten“, sagt Thomas Lehenherr. Die Krefeld-Studie zum Insektensterben hat es wissenschaftlich bewiesen, die alltägliche Erfahrung führt es jedem vor Augen: „Es gibt bei Autofahrten viel weniger tote Insekten an der Windschutzscheibe als früher.“
Kein Wunder, dass Lehenherr das anfangs noch sehr unscharf geschnittene Amt des Umweltbeauftragten über die Jahre auf das Thema Artenvielfalt fokussierte. Einfach war das nicht und heute gehört der arbeitsintensive Hochwasserschutz in sein Ressort. Die Bad Saulgauer Tourismusbetriebsgesellschaft setzt stark auf naturnahen Tourismus und sitzt bei Projekten zur Biodiversität oft mit im Boot.
Über die Jahre entwickelte Bad Saulgau unter Federführung vom Thomas Lehenherr ein Konzept, das auf insgesamt fünf Säulen ruht. Naturlehrpfade wurden angelegt, Bäche und Flüsse fließen auf 15 Kilometern nicht mehr in schnurgeraden Kanälen, sondern dürfen durch die Landschaft mäandern. Es entstanden viele neue Biotope. Zusammen mit dem Sauglauer Stadtgärtner Jens Wehner trieb er die Umwandlung in artenreiches Grün im Siedlungsraum voran. Gartenbesitzer werden mit einer Gartenfibel und Beratungsangeboten zum Mitmachen motiviert.
Die fünfte Säule ist eine besondere. Im rund 60 Hektar großen Naturthemenpark wird noch einmal zusammengefasst, was Bad Saulgau über die Jahre im Stadtgebiet zur Rettung der Artenvielfalt unternommen hat. Besucher wandern auf Holzstegen über Gewässer, blicken dort auf wildschöne Flecken Natur. Bei der naturnahen Gestaltung des Naturthemenparks kann sich Lehenherr auf einen „Kollegen“ besonders verlassen. „Der Biber schafft hier Landschaften, die würden wir nie so hinbekommen“. Im Info-Punkt des Parks beantworten am Wochenende Guides Fragen der Besucher oder bieten Führungen für Gruppen an
Denn eines ist Thomas Lehenherr wichtig. „So etwas geht nur in einem Miteinander.“ Lehenherr hat dafür den Begriff „Umweltbildungstourismus“ kreiert. Umwelt- und Naturschutz braucht Bildung, es soll Spaß machen und Menschen zum Mitmachen anregen. So kreierten Lehenherr und Jens Wehner das Konzept der essbaren Stadt. Bürger können sich an Pflanzkübeln im Stadtgebiet mit essbaren Kräutern und Gemüse selbst eindecken. Lösungen werden auch bei Problemen mit der Landwirtschaft gesucht. was oft mit der von Lehenherr geschätzten Arbeit des Bibers zu tun hat, der sich nicht an die Grenzen des Parks hält.
Viel erreicht in 33 Jahren. Thomas Lehenherr sieht nun die Zeit für einen Schnitt gekommen. Als Umweltbeauftragter im Hauptberuf wird er im kommenden Jahr die Verantwortung bei der Stadt abgeben. Für Führungen und Beratung bleibt er der Stadt allerdings erhalten. Schon jetzt ist er zusammen mit Jens Wehner ein gefragter Mann bei Vorträgen im ganzen Bundesgebiet. Das Bad Saulgauer Biodiversitätsprojekt und seine wachsende Bekanntheit hat die Nachfrage nach Impulsen aus Bad Saulgau bei Seminaren und Tagungen steil ansteigen lassen – und dafür wird Thomas Lehenherr ab nächstem Jahr mehr Zeit haben.
Autor: Rudi Multer
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