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Willi und Isolde Liebherr auf der Bauma in München 2004. Fotos: Liebherr

Biberach – Selbst im Totenbett dachte er noch an die Arbeit, die für ihn das Leben bedeutete. „Jetzt beginnt der große Urlaub“, habe Hans Liebherr zum Abschied gesagt, erinnert sich der ehemalige Pfarrer Maier aus Kirchdorf. Der Gründer des Liebherr-Imperiums starb schwerkrank am 7. Oktober 1993 in der Schweiz. „Wohlvorbereitet“ sei der 78-Jährige gewesen. „Ausdruck seiner inneren Stärke sei es auch gewesen, wie gelassen er dem Tod entgegengesehen habe“, wird der Geistliche im Begleitbuch zur aktuellen Ausstellung „Liebherr. Ideen werden Wirklichkeit“ vom Museumsleiter, Kurator und Buchautor Frank Brunecker zitiert.

Es ist seine zweite Ausstellung zu Liebherr, die Brunecker im Museum Biberach realisiert. Vor 20 Jahren begann der Historiker und gebürtige Westfale mit einer Serie von Industrieausstellungen, die die Biberacher Globalplayer im Familienbesitz via Museum einem breiten Publikum nahebrachte. Und selbstverständlich begann die Reihe mit Liebherr. Es war folglich auch der Patriarch Hans Liebherr und sein Genie, die im Mittelpunkt der Erzählung vor 20 Jahren standen. Nun geht es dem Ausstellungsmacher um die zweite Generation. Es blieben nach dem Tod des Seniors nur deren zwei von fünf Kindern Hans Liebherrs in der Unternehmensführung. Willi Liebherr, geboren 1947, und seine Schwester Isolde Wagishauser, geboren 1949, waren das Liebherr-Duo, nachdem mit Hans Liebherr jun. auch der Älteste 1999 aus dem Familienunternehmen ausgeschieden war.  Die beiden Geschwister Willi und Isolde führten das Gründerwerk bis 2023 sehr erfolgreich fort und reichten inzwischen den Staffelstab an sechs ihrer Kinder weiter. Bereits 1976 wurde eine deutsche Holding und eine schweizerische AG mit Sitz in Nussbaumen gegründet und zehn Jahre vor dem Tod des Vaters und Großvaters trat die schweizerische Liebherr-International AG an die Spitze des Unternehmens. Der Senior wollte das so, und sein Sohn Willi rechtfertigt den Schritt und erklärt im Gespräch mit Brunecker: „Wir mussten aufhören, alles durch die deutsche Brille zu sehen.“ Aber natürlich ging es auch um die Erbschaftssteuer.

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Leger und ohne Allüren bedankte sich Willi Liebherr bei der Eröffnung der Ausstellung für das Geschenk der Stadt. Ein Porträt von seinem Vater Hans Liebherr von dem Biberacher Künstler Hermann Schenkel.

Brunecker bilanziert: „Im Jahr 2023 arbeiten 53.695 Menschen für Liebherr in weltweit mehr als 150 Einzelgesellschaften. Trotz wirtschaftlich schwieriger Rahmenbedingungen erreicht das Unternehmen einen Rekordumsatz von 14,04 Milliarden Euro – ein Umsatzplus von 11,5 Prozent. Damit verdreifacht sich in den 30 Jahren seit dem Tod des Gründers die Zahl der Beschäftigten. Ebenso verdreifacht sich die Zahl der Gesellschaften und es vervielfacht sich der Jahresumsatz. Obwohl seit 1993 eine Reihe konjunktureller Krisen zu überwinden ist, nimmt die Wachstumsdynamik der Firmengruppe noch zu.“ Bruneckers Fazit: „Angesichts dieser Erfolgsfakten ist die unternehmerische Leistung der zweiten Generation des Familienunternehmens nicht geringer einzuschätzen als die des Gründers.“

Dem widersprechen die so Gelobten ausdrücklich. Willi Liebherr betont: „Der Erfolg meines Vaters besteht nicht nur in der Gründung dieses Unternehmens und nicht nur in der Erfindung des ersten mobilen Turmdrehkrans, sondern in der Entwicklung vieler marktfähiger Produkte: die Kranen, die Verzahntechnik, die Betontechnik, die Kühlschränke, die Hydraulikbagger, die Luftfahrttechnik, die Radlader, die Containerkrane, die Mobilkrane und da sind noch gar nicht alle genannt. Anfänglich eröffnete er in jedem Jahr ein neues Werk, und jedes sollte unabhängig vom anderen sein, damit es sich entfalten konnte. Das ist seine eigentliche Leistung. Da kommen wir nicht ran.“

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Liebherr Offshorekran CAL 450000 auf dem Installationsschiff Vole auf Vent, 2022. Der Kran ist platzsparend um eines der vier Hubbeine gebaut und erlaubt Rotationen von bis zu 460 Grad.
Foto: Christophe Beyssier 

Es sind die Umstände, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die einen Vergleich schwer machen. Der Maurermeister Hans Liebherr zog im Alter von 24 Jahren für sechs Jahre in den Krieg. Als Pionier war er berufs- und frontnah eingesetzt, kurz vor Ende des Krieges ein zweites Mal verwundet, entzog er sich dem drohenden Untergang als „Fahnenflüchtling“ und entkam auch der Gefangennahme durch die Sieger. Welch ein Glück. Das der Gezeichnete, aber Überlebende zu nutzen wusste. Deutschland war ein Trümmerfeld, eine Wüstenei, die so schnell wie möglich verschwinden sollte. Und es suchten Millionen Geflüchteter nach einer bezahlbaren Wohnung. Da kam der mobile Turmdrehkran aus Kirchdorf mit dem Patent vom 19. August 1949 genau zur richtigen Zeit, wie alles, das das Bauen schneller und billiger machte. Schon 1954 verlegte Liebherr die Kranenproduktion nach Biberach und sorgte in der Rissstadt mit den vielen Geflüchteten für Vollbeschäftigung. Hans Liebherr war Maurermeister und wusste, was gebraucht wurde auf den millionenfachen Baustellen des ruinierten, aber wieder aufstrebenden Landes und wonach sich die Überlebenden sehnten – zum Beispiel nach einem Kühlschrank! Also baute er in Ochsenhausen mal eben eine Fabrik für die 90 Prozent der bundesdeutschen Haushalte, die 1955 noch kein solch’ kühlendes Wohlstandsgerät hatten. Das entschied der Boss und schon ging es los – ohne Fremdfinanzierung, aber mit Bauplätzen quasi zum Nulltarif.

Liebherr-Verstellauslegerkräne an der Basilika Sagrada Familia in Barcelona, 2024.

Ganz so einfach geht es nicht mehr. Das musste die Geschäftsführung in Biberach zur Kenntnis nehmen, als das Unternehmen erst vor kurzem zur Erweiterung Bauland suchte und mit dem IGI Risstal bei Warthausen ein interkommunales Angebot bekam. Der Protest von den Anrainern folgte prompt. Es geht um Flächen- und Ressourcenverbrauch, Natur- und Hochwasserschutz. Es geht um Arbeit und Wachstum. Es geht um die Lebensqualität und die Frage, was Wohlstand ist, wenn man nicht nur einen Kühlschrank, sondern sehr viel mehr hat. Und stimmt es, dass es ohne Wachstum keinen Wohlstand gibt, wie der ehemalige Biberacher Baubürgermeister Kuhlmann den Kritikern entgegnete?

Das IGI ist inzwischen beschlossene Sache, es winken üppige Gewerbesteuern, aber Liebherr hat überraschend abgewunken. Natürlich nicht wegen des Protests, sondern wegen betriebswirtschaftlichen Überlegungen, die nicht nur das Risstal, sondern die Welt und deren Unpässlichkeiten im Blick haben. Willi Liebherr fasst es bei der Eröffnung der Ausstellung im Biberacher Museum kurz und pointiert zusammen: Sowohl mit Blick nach Osten auf Putins unsäglichen Krieg als auch nach Westen auf Trumps Amerika (Liebherr: Ein schlechter Geschäftsmann kann kein guter Präsident sein.) flechtet der Global Player Europa und seiner Union einen Lorbeerkranz und damit auch Deutschland – aller berechtigten Kritik zum Trotz sei der Standort gut und wichtig und Biberach ganz besonders, schmeichelt der Unternehmer seinen dankbaren Zuhörern, darunter Landrat Glaser und Oberbürgermeister Zeidler. Als weit gereister Unternehmer erzählt er lächelnd noch eine Anekdote: In der Mongolei sei er vom Präsidenten gefragt worden, ob er als wichtiger Unternehmer nicht ein gutes Wort einlegen könnte, damit sein Land Mitglied in diesem europäischen Staatenbund werden könnte. Reisen bildet. Deshalb: Nicht „drill, baby, drill“, sondern „learn, baby, learn“, müsse die Devise lauten.

Die aktiven Liebherr-Familiengesellschafter: v.l. Patricia Rüf, Sophie Albrecht, Jan Liebherr, Stefanie Wohlfahrt, Philipp Liebherr, Johanna Platt, Dr. h.c. Isolde Liebherr, Dr. h.c. Willi Liebherr.

Was macht den Erfolg dieses Familienunternehmens aus? Das ist die wissbegierige Frage Frank Bruneckers an sein Ausstellungsobjekt, für deren Beantwortung er und sein Team keine Mühe scheuten. Es geht ja nicht nur um Umsatz und Gewinn, sondern auch um Emotionen, von denen viele in der Ausstellung stecken. Brunecker, der sich „ein Schreibtischtäter“ nennt, wird dabei zum Technikfreak, schwärmt von der Effizienz und Ästhetik gigantischer Krähne, Bagger, Raupen und stylischen Kühlschränken und stellt fest: „Innovationen heute sind Produktverbesserungen, die den Kundennutzen erhöhen. Ganz neue Produkte gelingen selten. Aber manchmal springt dabei der weltweit erste kreislauffähige Gefrierschrank in der Energieeffiziensklasse A heraus.“ Es soll ihn 2026 zu kaufen geben.

Und was bei einem Gefrierschrank schon immer so ist, nämlich dass er mit Strom läuft, gelingt den Liebherr-Ingenieuren auch bei den größten und schwersten Ungetümen, den 600-Tonnen-Mining-Trucks sowie den zugehörigen riesenhaften Mining-Baggern, die im Tagebau zum Beispiel in Australien gebraucht werden. Liebherr setzt auf E-Mobilität und ist damit enorm erfolgreich. Da ist es nur logisch, dass himmelhohe Liebherr-Kräne auch beim Bau von Windrädern auf Land und im Meer zum Einsatz kommen, wie unser Titelbild eindrücklich zeigt.

Liebherr ist trotz seiner 150 Standorte weltweit „kein industrieller Komplex, sondern ein Netzwerk“, analysiert Brunecker in seiner Eröffnungsrede, „nicht konzentriert, sondern dezentriert“. Und weiter: „Dezentralisierung und Diversifizierung sind ein Geheimrezept gegen Erstarrung, Verkrustung und Selbstzufriedenheit. Das war ein Grundgedanke von Hans Liebherr, und ist es bis heute von Isolde und Willi Liebherr. Wer Vertrauen schenkt, erntet Loyalität. Isolde und Willi Liebherr gewähren ihren Führungskräften ungewöhnliche Freiräume und mobilisieren mit flachen Hierarchien und einer lockeren Spartenorganisation unternehmerisches Handeln, Eigeninitiative und Dynamik. Lange habe ich dafür nach einem Schlusssatz gesucht. Er ist ganz einfach: Liebherr ist ein lebenskluges Unternehmen.“ Und Willi Liebherr, der mächtig stolz ist auf seine Familie, wozu auch die seiner Schwester gehört, meint abschließend: „Ich bin ein glücklicher Mann. Mehr sag’ ich nicht.“

Aber sehr viel mehr ist zu entdecken in der Ausstellung und ist nachzulesen im Begleitbuch „Liebherr. Ideen werden Wirklichkeit“.

Der erste Hydraulikbagger in Deutschland, der Liebherr L 300, 1955. 70 Jahre später eine Baggerschaufel mit Museumsleiter im Innenhof des Museums.

IG Metall

Michael Braun, erster Bevollmächtigter der IG Metall Geschäftsstelle Ulm, meint: „Liebherr steht im Landkreis Biberach sinnbildlich für industrielle Stärke, technologische Entwicklung – und für sichere Arbeitsplätze. Fast jeder dritte Job in der regionalen Metall- und Elektroindustrie ist ein Liebherr-Arbeitsplatz, meist tarifgebunden – das ist keine Selbstverständlichkeit.
Der Wandel der letzten Jahre war tiefgreifend. Digitalisierung, neue Märkte, veränderte Strukturen – vieles hat sich verändert. Die IG Metall und die Betriebsräte haben diesen Wandel kritisch begleitet und mitgestaltet. In schwierigen Phasen wurden Beschäftigteninteressen durch Verträge abgesichert – nicht konfliktfrei, aber mit Verantwortung auf beiden Seiten.
Liebherr ist ein wirtschaftlich bedeutendes, wachsendes Unternehmen – und ein ernstzunehmender, seriöser Arbeitgeber. Die IG Metall sieht in Liebherr einen Partner, mit dem man streiten kann – aber auch verlässlich Vereinbarungen trifft. Für die Menschen in der Region ist das von großer Bedeutung.“

Autor: Roland Reck



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