„A scheene Leich“ ist, wenn Angehörige, Verwandt-schaft, Nachbarn, Kollegen, Freunde und Bekannte, darunter auch Kontrahenten, die den Verstorbenen liebten und wertschätzten und ihm die letzte Ehre erweisen, indem sie an seinem Grab zusammenkommen und ihm beim anschließendem Leichenschmaus gedenken: auf dass er unvergessen in ihrer Mitte bleibt und in seinem Erbe fortlebt. Das ist beim vorzeitigen Tod des Biosphärengebietes Oberschwaben nicht der Fall. Es wurde abgewürgt und in die Gruft gestoßen, bevor es zum Blühen kommen konnte. Warum? Ein Nachruf ehrenhalber.
Bedurfte es noch eines Beweises, dass die Deutschen sich einer repräsentativen Umfrage zufolge trotz drohender Katastrophen weniger Sorgen um den Klimawandel machen als noch vor einem Jahr, wie die Schwäbische am 11. November auf der Titelseite berichtet, dann passt das Votum des Waldseer Gemeinderats einen Tag zuvor, am 10. November, ins Bild. Der Antrag der CDU richtete sich gegen den weiteren Prüfprozess inklusive Bürgerbeteiligung und für einen sofortigen Ausstieg aus einem möglichen Biosphärengebiet in Oberschwaben. Es wurde in Bad Waldsee – und nur wenige Tage zuvor in Bad Wurzach – zwar nicht über die Einschätzung der Klimakrise abgestimmt, aber ein regionales „Großschutzgebiet“ wie das in Aussicht stehende Biosphärengebiet muss man auch in diesem Kontext bewerten. Zwingend. Nicht so in den beiden Kur- und Riedstädten. Von 25 GemeinderätInnen votierten im Stadthaus in Waldsee nur sieben gegen den Antrag der CDU, die forderte, dass die Kurstadt sofort aus dem Prüfprozess aussteigt. Es fand sich (wie bereits in Bad Wurzach) dafür eine große Koalition von CDU und Freie Wähler – mit Ausnahmen. Der Oberbürgermeister Matthias Henne (CDU) und der Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Bernhard Schultes waren explizit anderer und damit gemeinsamer Meinung, die der Oberbürgermeister in einem flammenden Plädoyer für ein Biosphärengebiet so formulierte: „Heute Abend zeigt sich, wer mit Herz, Weitblick und Mut für die positive Entwicklung Oberschwabens steht – wer erkennt, dass das Biosphärengebiet keine Bürde ist, sondern ein Geschenk: eine Chance, unsere Heimat nachhaltig für alle Generationen zu gestalten und umfassend zu entfalten. Entweder wir nutzen diese historische Chance – oder wir werden uns eines Tages fragen, warum wir sie vertan haben.“
Henne redete nicht nur als Stadtoberhaupt sondern als Experte, schließlich war er als ehemaliger Bürgermeister in Zwiefalten hautnah involviert in das Biosphärengebiet Schwäbische Alb und ist voll des Lobes über das praxisnahe Konzept und dessen Entwicklungspotentials. Nicht anders die vielen anderen Fachleute von der Schwäbischen Alb und vom Schwarzwald, die in den vergangenen Monaten nach Oberschwaben kamen, um über ihre Erfahrungen in den dortigen Biosphärengebieten zu berichten. Inklusive des Vorsitzenden des Kreisbauernverbandes Reutlingen Gerhard Aierstock, der in Wilhelmsdorf seine Mitarbeit im Lenkungsausschuss des Biosphärengebietes in seiner Heimat damit begründete, dass es für die Bauern „von Vorteil ist“.
Wer hören will, der höre… Nicht so das Bündniss von regionalem Adel und Bauernverband. Die unheilige „Allianz für Allgäu-Oberschwaben“ opponierte von Beginn an. Und beschwor gebetsmühlenartig die Gefahr eines „Großschutzgebietes“, das zur „Fremdbestimmung“ führe. Es war tumb, aber die Bauern glaubten denen, deren Vorfahren vor 500 Jahren im Bauernkrieg ihre Vorfahren massakriert hatten. Ironie der Geschichte.
Die sich fortsetzt. Die Bauern führen als Begründung ihrer Aversion gegen das Biosphärengebiet ein Trauma an, das sich FFH nennt. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ist ein Naturschutzkonzept, das dem Artenschutz dient und bereits Anfang der 90er Jahre von der EU auf den Weg gebracht worden war, aber von der CDU-Regierung in Baden-Württemberg über die Jahrtausendwende hinweg ignoriert wurde. Erst als Brüssel mit hohen Strafzahlungen drohte, wurde das Naturschutzkonzept im Schweinsgalopp umgesetzt. Zulasten der Bauern, beklagen sich die Bauern immer noch. Verantwortlich dafür waren CDU-Landwirtschaftsminister, darunter Peter Hauk, der von 2005 bis 2010 Landwirtschaftsminister unter Oettinger war und als Pate für das Biosphärengebiet Schwäbische Alb gelten darf, der aber auf der Oberschwabenschau in diesem Jahr ungeniert gegen die Biosphärenpläne in Oberschwaben wetterte, obwohl sie im Koalitionsvertrag stehen. Vom Paulus zum Saulus.
Eine solche Metamorphose hat auch Raimund Haser hinter sich. Der CDU-Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Wangen-Illertal nimmt für sich in Anspruch, Mitautor des Koalitionsvertrages gewesen zu sein und das Biosphärengebiet Allgäu-Oberschwaben dort hinterlegt zu haben. Das war 2021, und heute geriert sich der 50-Jährige ebenso ungeniert wie sein Minister als Totengräber der Biosphärenpläne. Dazwischen liegen vier Jahre und im Frühjahr 2026 stehen Neuwahlen an. „Bauern first“ ist zwar kein Zitat Hasers aber seine Schlussfolgerung, wie er bei der Anhörung im Landtag bekundete und damit die Bürgerbeteiligung vom Tisch wischte. Landwirte sind nicht viele, aber prägen die Stimmung in den Dörfern, wie der Tanz ums Biosphärengebiet zeigte. Hasers Schwenk beim Biosphärengebiet folgte der Wahlkampflogik. Und aus einem Geburtshelfer wird ein Totengräber.
So ist ein vielversprechendes Konzept, das darauf abzielt, Ökonomie und Ökologie nachhaltig in Einklang zu bringen, und weit über die Fokussierung auf die Landnutzung hinausgeht, indem es Kultur, Soziales und Bildung mit einschließt, Opfer eines politischen Ränkespiels geworden. Denn es ist ja kaum ein Zufall, dass just zur selben Zeit, aber an verschiedenen Orten sich CDU-Gemeinderäte berufen fühlen, gegen die Koalitionsvereinbarung der eigenen Partei zu opponieren und einen laufenden Prozess auf Kosten der Bürger abzuwürgen. „Das ist orchestriert“, ist sich Gottfried Härle, Brauer in Leutkirch und Botschafter des Biosphärengebiets, sicher.
Er habe in 26 Jahren Kommunalpolitik als Gemeinderat noch nie so viele Wortmeldungen zu einem Thema erhalten, erklärt Bernhard Schultes, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler in Bad Waldsee und lässt das Plenum im Stadthaus wissen: „Und erst heute kam aus selbst berufenem Munde ein weiterer Slogan hinzu: Ein Biosphärengebiet sei ein ‚planwirtschaftliches Hirngespinst‘, und ich soll mich ja nicht einschüchtern und bedrohen lassen – von wem? Von unserem OB!“
Die Recherche führt zu Erbgraf Ludwig, wohnhaft und CDU-Gemeinderat in Wolfegg. Der Adelsmann verschickte am 10. November um 13.59 Uhr, wenige Stunden vor der Gemeinderatssitzung in Bad Waldsee, eine Brandmail an die CDU-Gemeinderäte sowie zwei Kopien direkt ins Rathaus zu Händen des Oberbürgermeisters (CDU) und seiner Stellvertreterin und nicht zu vergessen an seinen Papa Fürst Waldburg-Wolfegg zur Kenntnisnahme. Es folgte nur wenige Minuten später um 14.05 Uhr der gleichlautende Warnruf an die Fraktion der Freien Wähler. Der 2. Vorsitzende der „Allianz für Allgäu-Oberschwaben“ äußert sich als örtlicher Unternehmer, als Golfplatzbesitzer und Hotelier mit 180 Beschäftigten und Expansionsplänen, wie er ausführt, und warnt die Mitglieder des Gemeinderates vor ihrem Oberbürgermeister. Der adlige Erbe ist aufgebracht, sein Schreiben gleicht auch orthografisch einem Schlachtfeld, gleich zu Beginn nennt er den Gegner: „Mit großer Sorge erlebe ich wie ein gewähltes Oberhaupt versucht maximalen Druck auf ein neutrales, demokratisch gewähltes Gremium, nämlich Ihren Gemeinderat auf zu bauen.“ Und endet: „Lassen Sie sich nicht durch Drohungen und Einschüchterungsmaßnahmen beeindrucken.“ Außerdem: „Eine dialogische Bürgerbeteiligung, wie sie angestrebt wird“, hält der Adelsspross für vertane Zeit. „Der Bevölkerung vorzutäuschen, dass sich danach etwas ändert ist falsch und führt zu mehr Enttäuschung und Politikverdrossenheit.“
Bernhard Schultes fühlt sich nicht bedroht und kann sich nur wundern. Er ahnt das Verhängnis und appelliert an seine Kolleginnen und Kollegen: „Springt über euren Schatten, lasst den Prozess ergebnisoffen weiterlaufen und stärkt damit die Demokratie in unserer Stadt – und unserem Land!“ Er blieb unerhört. Ebenso wie sein Oberbürgermeister, der Brücken bauen wollte: „Angst baut Mauern, Mut baut Brücken!“ Ungerührt stimmten die Freien Wähler mit der CDU, wie schon in Bad Wurzach.
Das letzte Wort vor der Abstimmung hatte Maximilian Klingele. Der CDU-Fraktionsvorsitzender nennt fehlendes Vertrauen als „wichtigsten Punkt“ für die Ablehnung des Biosphärengebiets. Lauscht man den Worten des Lehrers und stellvertretenden Schulleiters, dann sind alle außerhalb des eigenen Rathauses zum Betrug am Bürger bereit. Klingele orakelt: „Dieses Problem ist höher angesiedelt.“ So deklariert er selbst die Ausstiegsklausel aus dem Biosphärengebiet zur „Falle“. Das klingt nach Verschwörung und schürt Misstrauen. Und nicht die Klimakrise sei das Problem, sondern der Klimaschutz, warnt der Lehrer: „Dann kann es eben ganz schnell sein, dass Berlin bestimmt, was bei uns unten geschieht. Wir haben dann als Stadt keinen Einfluss mehr über unsere eigenen Flächen.“ Der begeisterte Applaus von den Rängen, darunter auch eine Rotte Jäger, ist dem christlichen Kommunalpolitiker sicher.
Das Biosphärengebiet „Oberschwäbisches Moor- und Hügelland“ starb am 10. November 2025 von Menschenhand. Und das Klima ist weiterhin schwer krank.
Autor: Roland Reck
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