Münsingen – Mike Münzing kann sowohl den großen Bogen spannen als auch ins Detail gehen. Er weiß um den Anfang, die Entwicklung, den Stand der Dinge heute und blickt voller Tatendrang in die Zukunft des 2008 aus der Taufe gehobenen Biosphärengebiets Schwäbische Alb. Seit 1997 ist der heute 57-Jährige Bürgermeister von Münsingen – mit viel Herzblut und SPD-Parteibuch. Münsing betont: „Wir haben keinen Parteienstreit.“ (Die AfD gibt es nicht im Gemeinderat.) „Wir suchen nach Lösungen nicht nach Problemen.“ Der leidenschaftliche Kommunalpolitiker ist vehementer Befürworter des Biosphärenkonzepts. Weil, so erklärt Münzing, „nur auf kommunaler Ebene ist es überhaupt möglich, Modellregionen für nachhaltige Entwicklung zu schaffen“. Und darum geht’s. Ein Besuch.
Herr Münzing, Münsingen liegt mitten im Biosphärengebiet Schwäbische Alb – Fluch oder Segen?
Die strategische Lage Münsingens mitten im Biosphärengebiet Schwäbische Alb beschert uns sowohl große Aufmerksamkeit als auch viele positive wirtschaftliche Effekte. Es ist ein Segen.
Das Biosphärengebiet existiert bereits seit 2008 und Sie sind schon seit 1997 Bürgermeister in Münsingen. Wie hat sich Ihre Stadt in den letzten 17 Jahren entwickelt?
Die Stadt Münsingen erfuhr einen deutlichen Einwohnerzuwachs, eine deutliche Stärkung der Wirtschaftskraft und dadurch auch des Steueraufkommens, eine Verdopplung der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, die Reduzierung der Arbeitslosenquote auf aktuell 2,2 Prozent, die Stärkung der Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe, die deutliche Steigerung der touristischen Kennziffern, aber vor allem eine Stärkung der regionalen Identität.
Welche Vor- und welche Nachteile brachte das Biosphärengebiet mit sich?
Eine aktive Stadt- und Regionalentwicklung im Gleichklang der ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte war und ist möglich. Ein Nachteil lässt sich nicht ausmachen.
Lässt sich in Bezug auf den Nutzen eines Biosphärengebiets die Schwäbische Alb mit Oberschwaben vergleichen?
Grundsätzlich bietet ein Biosphärengebiet in Oberschwaben die gleichen Chancen einer zukunftsfähigen Regionalentwicklung wie dies auf der Schwäbischen Alb möglich wurde. Durch die lokale Definition von Zielen und Wegen liegt das Heft des Handelns in den Händen der Menschen vor Ort.
In Oberschwaben, aber vor allem im angrenzenden Allgäu gibt es spürbare Ablehnung eines Biosphärengebiets: „Vernunft statt Bürokratie“ lautet die Kritik einer Allianz von Bauern und Adel. Ist die Sorge berechtigt, dass ein Biosphärengebiet nichts fördert außer der Bürokratie?
In keiner meiner Tätigkeiten erlebe ich gerade so wenig Bürokratie und Fremdbestimmung wie im Biosphärengebiet. Gerade in der Stärkung der Selbstbestimmung einer Region sehe ich Vernunft und Verstand.
Die Ablehnung kommt vor allem von Seiten der Landwirtschaft und der Großprivatwaldbesitzer. Sie sehen sich als Opfer eines „Ökosozialismus“, so verkündete es die Schwäbische Zeitung, und die muss es wissen, schließlich gehört sie großteils dem Schlossherrn von Zeil. Sind die Ängste berechtigt? Wie gestaltet sich bei Ihnen die Zusammenarbeit mit den Landnutzern?
Gerade die Landnutzer waren von Anfang an bei denen, die die Idee zur Einrichtung eines Biosphärengebietes forderten. Die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte wird nicht nur in Sonntagsreden gewürdigt, sondern wird heute deutlich besser bezahlt. Vereinbarungen mit Urproduzenten und Veredlern, mit Gastronomie und Einzelhandel, aber auch der Ausbau der Außerhausessen (Mensen) tragen zu den Verbesserungen der Existenzgrundlagen bei.
Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb wächst sowohl in der Fläche als auch in der Zahl der beteiligten Kommunen. Warum, welche Gründe gibt es dafür?
Offensichtlich wird vom Umland wahrgenommen, dass die Engagements der Modellregion erfolgreiche Ergebnisse erzielt, aber vor allem eine hohe Akzeptanz und Zustimmung in der Bevölkerung erfährt.
Die Entscheidung für oder gegen ein Biosphärengebiet liegt bei den betroffenen Gemeinden, die Gemeinderäte haben darüber abzustimmen. Was raten Sie ihnen?
Jeremia 29,7: Suchet der Stadt Bestes. Die Kraft und das Potential zur Weiterentwicklung unserer Gemeinden liegt in der interkommunalen Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. Jede Region, auch Oberschwaben, profitiert von der Stärkung regionaler Identität. Ein Biosphärengebiet bietet den organisatorischen Rahmen, zusätzliche finanzielle und ideelle Impulse zu setzen.
Münsingen im Biosphärengebiet Schwäbische Alb
Von Ehingen nach Münsingen sind es nur noch 26 Kilometer oder eine knappe halbe Stunde Fahrzeit Richtung Norden, rein in die Schwäbische Alb. Das Mittelzentrum mit rund 15.000 Einwohnern gehört zum Landkreis Reutlingen und zur Region Neckar-Alb. Die ehemalige Garnisonsstadt ist flächenmäßig die größte Kommune im Landkreis Reutlingen und ist seit 2008 Teil des Biosphärengebiets Schwäbische Alb.

110 Jahre, seit 1895 prägte die Militärpräsenz auf dem naheliegenden Truppenübungsplatz (6.700 Hektar) die Kommune. 2005 endete diese Ära, der Militärstandort wurde aufgelöst und der Truppenübungsplatz wurde wenige Jahre später Herzstück des neu gegründeten Biosphärengebiets, das aktuell 85.000 Hektar und 29 Kommunen umfasst (darunter auch Ehingen und Sigmaringen), die sich auf drei Landkreise und zwei Regierungspräsidien verteilen. Dank Biosphärengebiet „sind wir zusammengewachsen“, erklärt Mike Münzing, der Bürgermeister von Münsingen, und verweist darauf, dass 46 weitere Kommunen Interesse bekundet haben, dem Biosphärengebiet beitreten zu wollen. Ganz freiwillig, ohne Diktat. Oder wie es der Vorsitzende des Kreisbauernverbands Reutlingen Gerhard Aierstock, wohnhaft in Zwiefalten, in seinem Vortrag im Frühjahr in Wilhelmsdorf formulierte: „Viele haben registriert, dass das Biosphärengebiet von Vorteil ist.“
Autor: Roland Reck
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