Der Friedenshain in Haidgau
Haidgau – Am kommenden Sonntag, 13. Juli, wird das neue Friedenskreuz im Friedenshain an der Hohlgasse in Haidgau geweiht. Es wird – wie der Friedenshain selbst – Gegenstand einer Feier sein, mit der das 100-jährige Jubiläum des Haines nachgefeiert wird. Alfred Engelhardt, ehemaliger Rektor der Realschule Bad Wurzach, hat als Haidgau-Historiker die Geschichte des Friedenshaines intensiv erforscht und wird an diesem Sonntag einen Vortrag dazu halten.
Haidgau, damals ein 700-Seelen-Dorf, wurde 1914 gleich am Kriegsbeginn im August arg gebeutelt. 120 Männer wurden sofort eingezogen. „Zwar dachten alle: ,Weihnachten sind wir wieder zuhause!‘, aber dennoch bedeutete diese Zahl, dass die Landwirtschaft im ländlich geprägten Dorf massiv eingeschränkt war. Auch wurden fast alle Pferde des Ortes nur wenig später für den Kriegsdienst requiriert. Damit lastete die Arbeit auf den Höfen auf den Schultern von Frauen und Kindern. Erst nach der Missernte 1916 bekamen sie Hilfe in Person von Kriegsgefangenen. Es war keine leichte Situation, zumal auf die Missernte noch ein harter Winter, der „Steckrübenwinter“, folgte. Die ganze Wirtschaft musste auf Kriegswirtschaft mit Rationierungen in allen Bereichen umgestellt werden. Nachdem die Kohle als Heizmaterial wegfiel, musste im Ried Torf gestochen werden, um im Winter heizen zu können.
Täglich wurde die Kriegsglocke geläutet
Aus der Pfarrchronik konnte Alfred Engelhardt ein Bild nachzeichnen, wie in diesen schlimmen Notzeiten die Kirche reagierte: Täglich wurde die Kriegsglocke geläutet, der Kriegsrosenkranz wurde gebetet, am Wochenende wurde Kriegs- und Bußandachten abgehalten. Es gab viele Spenden, aber anstelle der bei den Kriegsanleihen versprochenen Renditen gab es am Ende des Krieges Inflationsgeld. Bei den Sammlungen gab es auch sehr skurrile Aktionen: „So wurden abgängige Frauenhaare, also Haare die beim Kämmen ausfielen, gesammelt. Sie sollten wohl zu Dichtungen für U-Boote verarbeitet werden.“
Weil es kein Petroleum gab
Auch rund um die Kirche St. Nikolaus in Haidgau hat Engelhardt interessante Geschichten gefunden: Aus der Not geboren, wurde die Kirche bereits 1915 elektrifiziert und 1917 sogar das Ewige Licht, weil es kein Petroleum mehr gab. Großes Glück hatte die Gemeinde mit ihren Kirchenglocken: Wo überall sonst Kirchenglocken wegen ihres Materials eingeschmolzen und für Kanonen verwendet wurden, blieben die Haidgauer Glocken verschont: Die Marienglocke war zu wertvoll, die andere aus zu minderwertigem Material und der Ausbau der dritten alleine wäre zu aufwendig gewesen.
Mit den Jahren wuchs die Friedensehnsucht überall immer mehr, die Menschen fühlten sich von Regierung, Kaiser und König im Stich gelassen. Die Zukunftsperspektiven waren sehr düster, man befürchtete „Russische Verhältnisse“ (die Revolution dort im Jahre 1917 verschreckte die Menschen). Da konnte laut Pfarrer Locherer nur noch „der Herr im Himmel“ helfen. Und so war es – nach den Schrecknissen des Ersten Weltkriegs – nur konsequent, eine Friedensanlage mit Lourdesgrotte zu planen. Das passende Gelände, die ehemalige Lehmgrube an der Hohlgasse, wurde der Kirchengemeinde von der politischen Gemeinde überlassen. Der damalige Kirchenpfleger Franz Joseph Brauchle aus Wengen habe sich sehr um den Bau und die Pflege der Anlage verdient gemacht, konnte Engelhardt recherchieren.
Lourdesgrotte von Franz Xaver Hafner aus Weitprechts gebaut
Oberhalb der Lourdesgrotte entstand, dort wo jetzt das neue Friedenskreuz steht, eine Kreuzigungsgruppe mit einem riesigen Kriegskreuz daneben, das vom Ehepaar Dorn vom Baureshof (heute Roggenkamp) gestiftet wurde. Diese wurden gemeinsam mit der Lourdesgrotte am 5. Oktober 1919 eingeweiht. Für den Bau der Lourdesgrotte wurde der Zimmermeister, Maler, Architekt, Baumeister und spätere Fotograph Franz Xaver Hafner (1853 – 1935) aus Weitprechts beauftragt. Dieser war selbst einmal in Lourdes, wo von Februar bis Juli 1858 die Marienerscheinungen stattfanden; er hat in unserer Region nachweislich 33 Grotten gebaut. Die Tropfsteine aus dem Steinbruch Weißenbronnen wurde der Kirchengemeinde Haidgau dabei samt Transport vom Fürstlichen Haus Wolfegg gestiftet.
Im Zeitungsbericht heißt es über die Einweihung: „Ein Sonntag in trüber Zeit! Verklärt vom herrlichen Herbstsonnenschein fand heute die feierliche Einweihung der neu errichteten Friedensanlage statt.“ Und: „Möge die neue Anlage des heiligen Berges eine reiche Quelle des Trostes werden für das gläubige Volk ringsum.“
1920 kamen noch Kreuzwegstationen dazu
Zur Kreuzigungsgruppe kamen im Jahr darauf noch die 14 Kreuzwegstationen, die am 2. Mai 1920 eingeweiht wurden. Die zunächst um die Kreuzigungsgruppe aufgestellten Findlinge haben inzwischen ihren Platz an einem Rundweg um die Grotte im Friedenshain gefunden. Nicht eruieren konnte Engelhardt, wann die Kreuzigungsgruppe verschwunden ist, selbst ältere Haidgauer konnten ihm dazu keine Auskunft geben.

Einer der Findlinge am Haidgauer Friedenshain.
Sieben Soldatengräber
Dafür kamen am Ende des Zweiten Weltkrieges sieben Soldatengräber hinzu. Diese waren noch in den letzten Kriegstagen von SS-Schergen beim Einmarsch der Franzosen in den Tod getrieben worden. Diese Soldaten wurden später exhumiert und auf einem zentralen Soldatenfriedhof bestattet, nachdem der örtliche Kriegerverein die Grabpflege nicht mehr leisten konnte.
Vor dem Hintergrund weltweiter Konflikte
Das neue Friedenskreuz in Haidgau entstand auch mit Blick auf die weltweiten Konflikte und Kriege. Engelhardt sagt dazu: „Die Anlage und die Errichtung eines Friedenshains war für die damals arg gebeutelte Bevölkerung ein Bedürfnis und hatte offensichtlich für sie einen wichtigen Sitz im Leben.“ Nach mehr als 100 Jahren, vor allem nach 80 Jahren andauerndem Frieden, gebe es diesen nicht mehr in diesem Maße, wie die schwindende Teilnahme an den Volkstrauertagen zeige. „Die Kriegsopfer haben naturgemäß bei vielen Nachkriegsgeborenen im wahrsten Sinne des Wortes ihr Gesicht und ihre Bedeutung verloren.“ Es fehle der Kitt persönlicher Begegnungen. „Manche heutige Ereignisse wecken zuweilen Erinnerungen an diese Zeiten, die es wert wären, sie im Lichte der Vergangenheit zu überdenken“, regt Alfred Engelhardt zum Nachdenken an.
Ein Ur-Ur-Enkel des Schöpfers der Lourdesgrotte
Die Initiative, die entstanden war, nachdem das Jubiläum des Friedenshaines aus verschiedenen Gründen hatte verschoben werden müssen, kann er nur voll und ganz unterstützen. Mit dem Zimmermann Daniel Hafner wurde sogar ein Ur-Ur-Enkel des Schöpfers der Lourdesgrotte gewonnen, der das äußerlich schlichte, mit zahlreichen Spenden finanzierte Kreuz gestaltet hat.

Das neue Kreuz oberhalb der Lourdesgrotte von 1919.
Eiche aus Weißenbronnen
Wie einst der Tropfstein der Grotte stammt der Stamm der Eiche für das gut acht Meter hohe Kreuz ebenfalls aus Weißenbronnen. Wegen der Statik, für die Julian Häfele dem Kirchengemeindeart beratend zur Seite stand, wurde ein Betonfundament gegossen.
Ein Holzschild von Ernst Bendel, dem bekannten Haidgauer Maskenschnitzer, weist von außen den Weg in den Friedenshain und zeigt an, was die Besucher erwartet: Friedenskreuz, Lourdes-Grotte und Kreuzweg. Eine Infotafel, ausgestattet mit einem QR-Code, wird später zusätzliche Informationen liefern.

Bänke laden zum Verweilen und zur Betrachtung ein.
Der Ablauf am Sonntag
Das Fest am kommenden Sonntag, 13. Juli, beginnt um 9.15 Uhr mit einem Festzug mit Fahnenabordnungen und Musikkapelle von der Kirche hinauf zum Friedenshain. Um 9.30 Uhr wird ein ökumenischer Festgottesdienst beim Gebäude Göglers 1 gegenüber dem Friedenshain gefeiert. Anschließend geht der Festzug zur Festhalle, wo nach einer kurzen Begrüßung Alfred Engelhardt den Vortrag über den Friedenshain und dessen Geschichte halten wird. Nach einigen Grußworten wird es dort ein reichhaltiges Mittagessen geben.
Text und Fotos: Uli Gresser

















