Einst wilde Kerle, heute gesittete Erziehungsgehilfen
Wolfegg / Arnach / Altshausen – Schließlich wurde das wilde Treiben am Nikolausabend Graf Joseph Franz von Waldburg-Wolfegg doch zu bunt. Am 4. Dezember 1753 erließ er eine Verfügung: „Der gnädige Herr Graf hat mit vielem Befremden und äußersten Missfallen vernommen, dass die jungen Bursche in Arnach an dem Vorabend des hl. Nikolaus unter dem Prätext ‚den Klausen zu machen‘ sich unterstehen, mit ärgerlichem Geschrei, Koldern und Poldern, auch anderen tumultuosen schreckhaften Ungebührnissen bis in die späte Nacht im Dorf herumzulaufen, bald da, bald dort mit vernunft- und ehrlosem Mutwillen einzufallen.“
Die Nikolaus-Gilde von Altshausen. Foto: Dominic Molet
Verbotsversuch im Geist der Aufklärung
Das regellose Auftreten der „Klosen“ sollte künftig untersagt sein. Gleichzeitig machte der Graf auch klar, wie ein angemessener Nikolausabend seiner Ansicht nach aussehen sollte. In seinem Dekret empfahl er, dass „der eine oder andere, wohlinstruirte ehrliche Mann auserlesen werde, welcher in einer anständigen, bei den Kindern eine Ehrfurcht erweckenden Kleidung die unschuldigen Kinder besuchen, dieselben examinire und in der Tugend stärke und zur Vermehrung der Freude und des Eifers selben ein weniges Kindergeschenk zurücklasse“. Überspitzt könnte man sagen, der Herr Graf oder vielmehr seine Vorstellungen, in denen sich letztlich der Geist der Aufklärung spiegelt, haben sich mittlerweile durchgesetzt.
Nikolaus als pädagogische Instanz
Heute ist das sozusagen das Standardprocedere: Der Nikolaus wird rechtzeitig gebucht und kommt dann meistens im prächtigen Bischofsornat in die Familien, in die Kindergärten oder in andere Einrichtungen. Meistens wird er von Knecht Ruprecht begleitet, einem gewissermaßen domestizierten „Klosen“. Der wäre potentiell für das Strafen zuständig, muss aber vor allem den Sack mit den Gaben schleppen. Der Nikolaus befragt die Kinder, die dann – in der Regel gut vorbereitet – zum Beispiel Auswendiggelerntes vortragen und schließlich mit kleinen Geschenken belohnt werden. Auch dieser Brauch zum Fest des populären Heiligen hat eine lange Tradition. So bezeichnet zum Beispiel der große schwäbische Barockdichter Abraham a Sancta Clara schon 1729 diese Form des Nikolausbesuchs als „uralte Gewohnheit“. Man hat diesen pädagogischen Einsatz des Heiligen mit dem System von Belohnen und Strafen in Beziehung gebracht, wie es insbesondere in Klosterschulen seit dem Mittelalter üblich war.
Übrigens war die Bescherung durch den Nikolaus in unserer Region in der Zeit um 1900 oft noch, wenn nicht die einzige, so doch die wichtigere Bescherung als die durch das Christkind. Im Lauf des 20. Jahrhunderts haben sich dann allerdings die Verhältnisse sehr schnell umgekehrt.
Wildes Treiben in den Winternächten
Lange bestanden diese beiden Traditionen nebeneinander: der belohnende und strafende Bischof einerseits und das wilde nächtliche Treiben der „Klosen“ draußen andererseits. Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg waren auch in den Dörfern Oberschwabens und des Allgäus am Vorabend des Nikolaustages am 6. Dezember ganze Rudel von unverheirateten jungen Männern unterwegs. Die Gesichter waren rußgeschwärzt. Es wurde mit Ketten gerasselt oder anderswie dafür gesorgt, dass es ordentlich Lärm gab. Es konnte dabei auch recht gewalttätig, ja sogar blutig, zugehen. Es kam zu Schlägereien zwischen den Gruppen oder zwischen den „Klosen“ aus verschiedenen Dörfern.
Solche Bräuche sind ganz typisch für die dunkle Jahreszeit. Ähnliche maskierte und in ganzen Gruppen nachts umherziehende Gestalten gab es in anderen Gegenden zum Beispiel auch in den sogenannten „Rauhnächten“ um Weihnachten. Und auch an die Fasnacht fühlt man sich erinnert.
Die Nikolausgilde Altshausen
So verwundert es nicht, dass sich über die Jahrhunderte vielerorts die Obrigkeit darum bemühte, dem zügellosen Treiben der „Klosen“ einen Riegel vorzuschieben und alternative Traditionen zu etablieren – allerdings meistens mit recht wenig Erfolg. Eine bemerkenswerte Initiative gab es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Altshausen. Ausdrücklich mit dem Ziel, dem „Klosentreiben“ ein Ende zu setzen bzw. es in zivilisiertere Bahnen zu lenken, wurde dort 1947 die Nikolausgilde gegründet. Sie besteht bis heute (https://nikolausgilde-altshausen.de) und ist mustergültig organisiert. Zu dieser im südwestdeutschen Raum, was Alter und Mitgliederzahl angeht, einzigartigen Vereinigung gehören derzeit 75 „gschtandene Mannsbilder“, wie es auf der Website heißt. Auch in diesem Jahre hat die Gilde wieder ein ziemliches Pensum zu bewältigen. Rund 130 Familien und rund 15 Kindergärten warten auf den Besuch der Paare von Nikolaus und Knecht Ruprecht.
Am 27. November 2022 beging die Vereinigung ihr 75-Jahr-Jubiläum. Foto: Dominic Mollet
Von „Klosen“ traumatisiert
Bezeichnend sind die Motivationen der beiden Gründer der Nikolausgilde. Der eine, Fritz Maier, war Lehrer. Der andere, Andreas Stöckler, hatte offensichtlich in seiner Jugend als Knecht auf einem Bauernhof in Bavendorf geradezu traumatische Erfahrungen mit den „Klosen“ gemacht. Er schwor sich: „I ka nakomma, wo i will, aber dia Sauerei mit dena wilda Klosa will i abstella.“ Am Nikolausabend 1947 machten sich die beiden erstmals gemeinsam als Nikolaus und Knecht Ruprecht auf den Weg zu den Familien in Altshausen. In den folgenden Jahren scharten sich dann schnell Gleichgesinnte um die beiden Gründungsväter.
Wenn Graf Joseph Franz die Bilder der Altshausener Nikolausgilde sehen könnte, wäre er wohl ganz zufrieden. Allerdings hat es nach seinem Dekret noch zwei Jahrhunderte gedauert, bis das Treiben der „Klosen“ endgültig sein Ende fand und der Besuch des Heiligen als Pädagoge und vor allem als Kinder- und Menschenfreund auch in Oberschwaben und im Allgäu zum Standard wurde.
Herbert Eichhorn
In der Bildergalerie weitere Impressionen vom letztjährigen großen Einzug der Nikoläuse aus Anlass des 75-Jahr-Jubiläums der Nikolausgilde Altshausen. Fotos: Dominic Molet, Altshausen, für die Nikolausgilde