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Heute ist Mariä Lichtmess

Der Tag, an dem die Knechte und Mägde den Dienst wechselten



Allgäu-Oberschwaben – 2. Februar. “Mariä Lichtmess”. Ein bedeutender Kirchen-Feiertag. Und mancherorts mehr. Zum Beispiel in der Allgäuer Grün-Landwirtschaft. Für viele war “Lichtmess” einst ein wichtiges Datum im agrarischen Jahresablauf. Ab Lichtmess waren die Tage spürbar heller. Noch bis über 1950 hinaus galt “Lichtmess” im Allgäu auch als wichtiger Mark-Punkt im Leben damaliger Knechte und Mägde an Bauernhöfen. Wer von ihnen bis dahin den bisherigen Arbeitsplatz verlassen musste  – und noch keinen neuen gefunden hatte – fand an diesen “Schlamptagen” Zeit, sich etwas von der oft harten Beschäftigung zu erholen.

“Heut ist der schöne Lichtmeßtag
Da bin ich munter und frisch!
Da pack ich all’ mein Kleider z’samm’n
und setz mich hinter’n Tisch.
Ei Bäuerin hol’ den Beutel ‘rein
ei Bauer, zahl mich aus!
Ich bin dir schon lang z’wider g’west,
jetzt komm d’r ich aus dem Haus!”

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Dieser Dienstbotenvers deutet die teils spannenden Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft an. Auch im Raum Allgäu-Oberschwaben noch bis über den Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) hinaus. Weist auf oft anstrengende Beschäftigungen hin: mit wenig helfenden Maschinen – gelegentlich vom Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Mit Mittagessen “koine zeh’ Minuda”. Eine Beschäftigung – bezahlt häufig aus einer Mischung aus Naturalien (wie Essen und Unterkunft) und wöchentlichem, monatlichem oder gar jährlichem Geldlohn. Tätigkeitsfelder, an denen viele Bauersleute als “Arbeitgeber” persönlich erschienen – und nicht minder fleißig zupackten. Während meines Studiums in den 1980er-Jahren befragte ich ein rundes Dutzend alter Leute – vor allem im württembergischen Allgäu – die einst als Magd oder Knecht an Bauernhöfen geschuftet hatten. Berichte aus einer Welt, die heute weit weg ist.

Der Schuss aus dem Stiftwalzen-Revolver

Attenhof, Leutkirch-Mailand, kurz nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918). Wohl wenige Tage vor Lichtmess. Der “Unterschweizer” (also der Unter-Melker) wird vom Domänenpächter in dessen Chef-Büro gerufen. Und zwar mit der Frage des Hof-Oberhaupts an den Knecht, ob er “auf Lichtmess”  ein weiteres Jahr am Attenhof bleibe. “Nein” lautet die Antwort. “Warum”, will der Dienstherr wissen. Antwort: “Dia gleich wia dia vom Ob’r-Schweizer”. Offenbar zu wenig Lohn. Darauf greift der Chef wütend nach seiner Peitsche. Aber der Unterschweizer hat mit dieser harrschen Reaktion gerechnet. Deshalb zieht er seinen Stiftwalzen-Revolver und gibt auf den Peitschen-Schwinger einen Warnschuss ab. Später bestätigt wohl der Polizeiposten in Leutkirch, dass der Knecht damit  in Notwehr gehandelt hat. 

Ein wichtiger Mann: der “Schweizer”

Ein ganz heftiges Beispiel für die Spannungen, die zwischen “Gesinde” und Bauern oder Hof-Chefs entstehen konnten. Erzählt persönlich von jenem ehemaligen Untermelker, der damals sich am Attenhof “verdingt” gehabt hatte. Eine Arbeitswelt, in der die Bauersleute und ihr “Gesinde” nicht selten unter einem Dach lebten – und häufig an den gleichen Beschäftigungsfeldern arbeiteten. In der Regel rund um die Uhr. Denn die Dienstbotinnen und Dienstboten übernachteten üblicherweise auch an den Hofstellen. Wie? Berichtet der oben erwähnte Unter-Melker von kalten Kammern ohne (fließend) Wasser, so erzählen andere, mancher Knecht habe gar eine Sonderstellung gehabt – mit eigener Unterkunft. Zum Beispiel der eine oder andere “Schweizer”. Also Melker. Denn er füllte tatsächlich die Rolle eines “Facharbeiters” aus. Eines erfahrenen Mannes (in den seltensten Fällen eine Frau), der das Vieh kannte, die Milchleistungen jeder einzelnen Kuh – und der etwa dem Viehhändler (heimliche) Tipps geben konnte, welches Vieh im Stall wohl wie vielwert sei.
Der Begriff “Schweizer” hängt tatsächlich mit der Eidgenossenschaft zusammen. Denn dort war die über das Subsistenzielle (= Eigenbedarf) hinausgehende Viehwirtschaft früher entwickelt; für die Ertragssteigerung der hiesigen Grünlandwirtschaft kam entscheidendes Wissen aus der Schweiz.

Das Gesinde

Arbeiten im “Gesinde” am Bauernhof. So unterschiedlich die alten Leute, die mir aus dieser Zeit berichteten, so verschieden die Tonlage. Doch alle bestätigten: Die Arbeit war hart und lang. Urlaub – nahezu undenkbar. Wenn, dann höchstens eine Woche beim Stellenwechsel um Lichtmess. Unterkünfte: eher karg. Pausen? Je nach Arbeitsanfall. Häufig “keine zehn Minuten” Mittagessen – wie es jener Legauer Rentner später schilderte. Mit ein Grund, wieso Knechte und Mägde bei Wechselstimmung vor Lichtmess von anderen Dienstboten wissen wollten: “Wie isch ‘s Essa ?”. Essen als Teil des Lohns. Außerdem Bezahlung in Geldlohn, der in der Regel deutlich unter dem galt, was in Gewerbe und Industrie zu bekommen war. Was den Knechten und Mägden ausbezahlt wurde, hatten ihre Arbeitgeber, die  Bauersleute, in einer “Quittungskarte” zu notieren. Für die spätere Rente. “Des vrschdand i itta”, sagte mir der ehemalige Unterschweizer und Legauer Rentner. Und dann beklagte er sich darüber, dass diese “Quittungskarten” nicht immer vollständig ausgefüllt worden seien. Ergebnis: knappere Altersbezüge.

Als Magd oder Knecht arbeiten. Nach Schilderungen aller Befragten kein zünftiger Ausbildungsberuf. Eher gewachsene Lebenserfahrung. Sie begann bei manchen schon als Kind beim Hüten von Vieh auf den Weiden. Dann zum Beispiel in den Ställen: “Stallbub”, “Unterschweizer”, “Schweizer”. Viele derer, die da zupackten, verstanden ihre Arbeit eher auch als Übergangs-Phase. Vor allem Bauernkinder, die sich bei anderen Höfen “verdingt” hatten. Von daheim aus eher geübt, das Ganze zu überschauen, konnten sie sich zum “Hausknecht” über das andere “Gesinde” hochschaffen. Oder eines der Bauernkinder am Dienst-Hof sogar einheiraten. Wer das aus eher knappen Verhältnissen anstrebte und nur mit wenig “Mitgift” lockte, war dann auf das “Heiratsgut im Gesicht” angewiesen.

“Elektrische Knechte”

Knecht oder Magd – dass solche Berufe heute eher im Bauernhofmuseum als am Bauernhof selbst zu finden sind, zeigt: Es gibt heute kaum noch welche davon. Erst nahm ihnen der “elektrische Knecht” Arbeit weg – also der Elektromotor. Dann kamen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) immer mehr Traktoren und andere Landmaschinen. Ein paar Allgäuer Dienstboten sollen schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) die technische Konkurrenz erkannt haben: Während der “Schlamptage” um “Lichtmess” sägten sie die damals noch hölzernen Strommasten um. Doch ganz so schnell, wie befürchtet, ließ sich das landwirtschaftliche “Gesinde” dann wohl doch nicht durch Technik ersetzen. 1934 verbot diesem landwirtschaftlichen Personal ein Gesetz den Stellenwechsel in Gewerbe und Industrie ohne Sondergenehmigung. Diese Fachkräfte fehlten wohl auch damals schon.

“Lichtmess” – ein Tag, der Licht auf fast vergessene Gesichtspunkte des Arbeitsalltags von einst wirft.
Julian Aicher

Julian Aicher aus der Rotismühle hatte von einem ehemaligen “Gärtner” dort vielerlei über dessen Tätigkeit als “Unterschweizer” (= Untermelker) in den 1920er-Jahren erfahren. Daraufhin befragte der damalige Student Julian Aicher in den 1980er-Jahren ein rundes Dutzend einstiger agrarischer Dienstbotinnen und Dienstboten im Allgäu und in Oberschwaben.




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