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Zu Ehren und zum Gedenken der in Auschwitz ermordeten jüdische Leutkircherin

Die Stadtbibliothek heißt nun Lilo-Gollowitsch-Stadtbibliothek



Foto: Julian Aicher
Stefan Böbel von der Stadtbücherei – jetzt Lilo-Gollowitsch-Bibliothek – und Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle bei ihrer Eintragung ins Goldene Buch der Stadt Leutkirch. Dort ist die Umbenennung der Stadtbücherei am 100. Geburtstag des in Auschwitz ermordeten Leutkircher Mädchens dokumentiert.

Leutkirch – Die Leutkircher Stadtbibliothek im Kornhaus heißt seit 21. November 2025 Lilo-Gollowitsch-Stadtbibliothek. Seit dem gleichen Tag gibt es die Lilo-Gollowitsch-Stiftung. Das alles erfuhr das Publikum im vollbesetzten Saal des historischen Rathauses Leutkirch am Freitag, 21. November – exakt 100 Jahre, nachdem die in Auschwitz Ermordete in Leutkirch das Licht der Welt erblickt hat.

Diese Pappfigur wurde offenbar aus einer Fotografie von Lilo Gollowitsch abgeleitet.

Liselotte („Lilo”) Gollowitsch kam am 21. November 1925 zur Welt. Sie gehörte zur jüdischen Familie Gollowitsch, Inhaberin des gleichnamigen Kaufhauses in der Leutkircher Innenstadt. Mit 16 wurde Lilo Gollowitsch in Auschwitz ermordet. In Erinnerung an ihr Leben, „das sie nicht leben durfte” – wie es Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle sagte – gab es am Freitagnachmittag (21.11.) im Historischen Rathaus eine Gedenkfeier. Vor vollbesetztem Saal.

„Faschismus beginnt mit Ausgrenzung”

„Faschismus beginnt mit der Ausgrenzung”, betonte OB Henle bei der Gedenkveranstaltung. Die Vergangenheit mahne und lehre. „Es gibt kein Ende der Erinnerung und deshalb auch keinen Schlussstrich unter unsere Verantwortung.(…)  Unsere Demokratie ist die Antwort auf Rassenwahn und Nationalismus. Diese Lehren sind unsere politische Leitschnur, sie haben uns getragen, uns Jahrzehnte des äußeren und inneren Friedens garantiert. (…) Tun wir alles dafür, dass das so bleibt.” – Die Rede des Oberbürgermeisters haben wir unter „Downloads” hinterlegt.

Seit Freitag steht am Kornhaus-Eingang jene Holzfigur, die der britische Bildhauer Robert Koenig zur Erinnerung an Lilo Gollowitsch geschaffen hat. Die Stadt Leutkirch übernimmt heuer die Patenschaft für diese Skulptur.

Hubert Moosmayer von „Gegen das Vergessen” sprach Zeilen des Anti-Nazi-Widerstandskämpfers Martin Niemöller: 

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.


Hubert Moosmayer erklärte, ein Tag wie der 100. Geburtstag der jüdischen Leutkircher Bürgerin Lilo Gollowitsch lege die Frage nahe: „Zu was ist der Mensch fähig?” Daran erinnere derzeit das Gedenken an die Nürnberger Prozesse vor 80 Jahren. „Zu was ist der Mensch fähig im Guten”, fragte Moosmayer dann in den voll besetzen Saal. Ergänzt mit der Frage: „Was konnte man damals tun?”

Julian Hämmerle vom Wirtschaftsbund Leutkirch erinnerte an das Kaufhaus der Familie Gollowitsch, die in der Marktstraße ein weit über Leutkirch hinaus beachtetes Bekleidungsgeschäft betrieb. „Das Kaufhaus der Familie – ein Ort des Lebens, des Handels und des Vertrauens – wurde enteignet. Was blieb, war Schweigen. Schweigen, das erst Jahrzehnte später gebrochen wurde.” Weiter sagte er: „Wenn wir heute an Lilo Gollowitsch denken, dann geht es nicht nur um Erinnerung. Es geht um Haltung – um unsere gemeinsame Verantwortung im Heute.” Das kurze Leben der Lilo Gollowitsch mahne bis heute: „Schaut hin. Mischt euch ein. Lasst nicht zu, dass Gleichgültigkeit wieder Wurzeln schlägt.” – Die Rede haben wir hier im „Leutkircher” unter Downloads hinterlegt.

Stiftung gegründet

„Alle, die dies wollen, können die Lilo-Gollowitsch-Stiftung unterstützen”, sagte Moosmayer. Sprach’s –  und unterschrieb mit Susanne Jork von der Bürgerstiftung Kreis Ravensburg die Gründungsurkunde der Lilo-Gollowitsch-Stiftung. Oberbürgermeister Henle wies auf das ausgelegte Goldene Buch hin. Dort möge sich eintragen, wer „ein Zeichen zu setzen” wolle. Die allermeisten taten es ihm gleich.

Michael Waizenegger und sein Vater Karl Waizenegger bekunden mit ihrer Unterschrift ihr Mitgefühl mit dem Schicksal der Familie Gollowitsch.

Hubert Moosmayer („Gegen das Vergessen”) und Susanne Jork (Bürgerstiftung Kreis Ravensburg) unterschreiben die Urkunde zur Gründung der Lilo-Gollowitsch-Stiftung.

Hubert Moosmayer dankte. Dabei nahm er Richard Kämmerle in den Blick. Dieser stand am Rand des Saals und hörte, wie Moosmayer über Kämmerles 1994 erschienene wissenschaftliche Arbeit zur Familie Gollowitsch sagte: „Sonst wüssten wir nichts davon.” Einige im Saal wiesen daraufhin auch auf die Forschungsarbeiten von Stadtarchivar Emil Hösch zum Thema hin. Auch die verstorbene Stadt- und Kirchengemeinderätin Hildegard Kappler hat viel Erinnerungsarbeit geleistet, um das Andenken an die verfolgte Familie zu bewahren.

Richard Kämmerle hat über die Familie Gollowitsch und ihr Schicksal gearbeitet.

Die städtische Kinder-, Jugend- und Familienbeauftragte Maria Hönig betreut die Lilo-Gollowitsch-Sitftung künftig mit. Hönig berichtete bei der Feierstunde, dass sie im Auftrag der Stadt jedes Neugeborene in Leutkirch besuche. Heute (21.11.) habe sie das bei einem Baby am Lilo-Gollowitsch-Weg getan.

Maria Hönig spricht. Im Hintergrund sieht man einige Zettel an einer Wäscheleine; darauf haben Schüler Gedanken zu Lilo Gollowitsch niedergeschrieben. Insgesamt waren es weit über 100 Zettel.

Die Feierstunde wurde von einem Bläser-Trio der Jugendmusikschule (Mia Merk, Sofie Kling und Celina Weiß; Leitung: Katrin Radigk) mitgestaltet.

Die Protagonisten der Lilo-Gollowitsch-Gedenkstunde (von rechts): Hubert Moosmayer, Stefan Böbel, Maria Hönig, Julian Hämmerle (hinten), Susanne Jork, Hans-Jörg Henle und das Klarinetten-Trio von der Jugendmusikschule.

Text und Fotos: Julian Aicher

Die Ansprachen …

… von Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle und von Julian Hämmerle, dem Vorsitzenden des Leutkircher Wirtschaftsbundes, finden Sie im vollen Wortlaut am Ende dieses Artikels unter „Downloads”.

Aus dem Stammbaum der Familie Gollowitsch

Lilo Gollowitsch (1925 – 1942) war die Tochter von Heinrich und Alice Gollowitsch geb. Mayr. Die 1898 in Mainz geborene Alice heiratete 1920 den 1890 in Leutkirch geborenen Heinrich Gollowitsch. Alice wurde wie ihre Tochter Lilo 1942 in Auschwitz ermordet. Heinrich kam 1942 in Stuttgart in NS-Polizeigewahrsam ums Leben. Die 1920 geborene Tochter Ilse konnte 1937 in die USA emigrieren. Die Familie wohnte in der Karlstraße 12. Vor dem Haus ist ein Stolperstein verlegt.

In der Marktstraße 27, dem ehemaligen Kaufhaus „Anker“, lebte Friedrich Gollowitsch, der Bruder von Heinrich, mit seiner Familie. Friedrich, geboren 1888 in Leutkirch, und seine Frau Lilly, geboren 1889 in Frankfurt, kamen 1942 im Baltikum ums Leben, vermutlich erschossen bei Riga. Die Spur ihrer Tochter Irma, geboren 1914, und deren Tochter Gerda, geboren 1935, verliert sich 1942 im Holocaust. Friedrichs und Lillys Tochter Margot, geboren 1920, konnte 1939 nach England emigrieren, wo sie 2005 in Oxford starb. Auch vor dem Haus von Friedrich und Lilly Gollowitsch in der Marktstraße wurde ein Stolperstein verlegt.

Entnommen der Broschüre „Gollowitsch – Schicksal einer Leutkircher Familie im Nationalsozialismus“, herausgegeben 2011 vom Initiativkreis „Orte des Erinnerns“ (Nicola Siegloch, Georg Zimmer, Emil Hösch, Hubert Moosmayer)

Ausstellung im Rathaus

Im Leutkircher Rathaus ist derzeit eine Wanderausstellung zu sehen, die das Leben von Lilo Gollowitsch und das Schicksal ihrer Familie beleuchtet.

Die Ausstellung zur Familie Gollowitsch im Leutkircher Rathaus ist ab sofort für einige Wochen zu sheen. Foto: Stadt Leutkirch

Literatur

Emil Hösch: Die Gollowitsch in Leutkirch. Schicksal einer jüdischen Familie. Leutkirch 1993. (in: In und um Leutkirch, Beiträge zum Stadtjubiläum 1993)
Richard Kämmerle: Die Leutkircher Familien Gollowitsch und Sauer. Schicksale nationalsozialistischer Judenverfolgung. Freiburg 1994.

Ansicht der zwei Gebäude Gollowitsch um 1930 (das Kaufhaus links trug den Namen „Anker”, das Gebäude rechts hieß „Schatten”). Das oben eingeklinkte kleine Bild zeigt dieselbe Perspektive heute. Der Baum markiert die Lücke, die nach dem Abriss des „Schatten” im Jahre 1938 entstand (heute Marktplatz / Kornhausplatz). Die Collage wurde einer Broschüre des Initiativkreises „Orte des Erinnerns“ entnommen, die 2011 unter Federführung von Hubert Moosmayer herauskam.

Broschüre

Die Erinnerung bewahrende Broschüre „Gollowitsch – Schicksal einer Leutkircher Familie im Nationalsozialismus“, herausgegeben 2011 vom Initiativkreis „Orte des Erinnerns“ (Nicola Siegloch, Georg Zimmer, Emil Hösch, Hubert Moosmayer), habe wir hier am Ende des Artikels unter „Downloads” hinterlegt.






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