Zusammengewachsen
Es war ein Abend voller Harmonie und Gemeinsinn: der Festakt am Freitag (10.10) im Kurhaus zur Erinnerung an die vor einem halben Jahrhundert abgeschlossene Eingemeindung. Und über dem Haupttag, dem Sonntag, strahlte die Sonne, hing ein makellos blauer Himmel. Die vielen Besucher genossen den Tag in vollen Zügen. Bad Wurzacher Herz, was willst du mehr?! Am 18. Oktober erfährt das Eingemeindungsfest noch einen pittoresk-melodiösen Nachhall, wenn die Kurhaus-Genossen zu ihrer Siebziger-Jahre-Party rufen. Man möge in Klamotten jener bunten Jahre kommen, sagen sie und verlangen 10 DM Eintritt (zu entrichten in der Währung der Jetztzeit, also in Euro und geteilt durch 2). Dann wird es schon wieder Geschichte sein, das große Einheitsfest der zehn einst selbständigen Gemeinden, die sichtlich gut zusammengewachsen sind.
Der Schreiber dieser Zeilen kann sich noch gut an die Eingemeindung, an die Schmerzen der Eingemeindung erinnern. 14 Jahre alt war er damals. Dass Spannung in der Luft lag, spürte er, das Hin und Her und Für und Wider drang an sein Ohr. „Etz traget mir eiser Geld noch Wuza“, hieß es in Arnach, als 1972 die Eingemeindung nach Bad Wurzach anstand. Arnach stand vergleichsweise sehr gut da – dank des florierenden Ziegelwerks. Man war infrastrukturell gut aufgestellt, die Wasserversorgung war schon in den 1950ern gebaut worden, die Schule mit Turn-und Festhalle Anfang der 1960er. Sogar ein Lehrschwimmbecken nannte die selbständige Gemeinde Arnach ihr eigen.
Es gab Überlegungen, mit Eintürnen, Immenried und Diepoldshofen zusammenzugehen – ähnlich wie die Landgemeinden im württembergischen Allgäu, die zur neugebildeten Gemeinde Argenbühl zusammengefunden haben. Warum das nicht geklappt hat, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers.
Dass die neun Landgemeinden und die Kernstadt eine gute Einheit geworden sind, wurde deutlich in den Interviews beim Festakt am Freitagabend, war Tenor der Gespräche bei Wein und Bier und Häppchen, scheint auch auf beim Zehn-Gemeinden-Film, der die Vielfalt in der Einheit trefflich wiedergibt.
Es war Ernestina Frick, Haidgaus Ortsvorsteherin, die einen wunden Punkt ansprach. Die Unechte Teilortswahl zur Sicherung der Repräsentanz der Ortschaften im Gemeinderat sei unverzichtbar, sagte sie sinngemäß.
Das sehen wir anders.
Bei der Kommunalwahl im Juni 2024 konnte die Kernstädterin Sibylle Allgaier mit 3105 Stimmen mehr Wählervoten auf sich vereinigen als ihre Listen-Kollegen aus Dietmanns und Ziegelbach zusammen, welche mit 1347 respektive 1358 jeweils einen Sitz im neuen Rat zugeteilt bekamen; Sibylle Allgaier aber ging leer aus, bekam keinen Sitz.
Das Gebot der Gleichwertigkeit der abgegebenen Stimmen wurde hier eklatant verletzt. Es ist ein Ergebnis der Unechten Teilortswahl, die regionaler Zugehörigkeit den Vorrang vor persönlicher Stärke einräumt.
50 Jahre nach der Eingemeindung ist es an der Zeit, aus den Ungerechtigkeiten der Unechten Teilortswahl Konsequenzen zu ziehen. Leutkirch, als Flächengemeinde mit Bad Wurzach vergleichbar (175 Quadratkilometer / 182 Quadratkilometer; acht Ortschaften / neun Ortschaften; Leutkirch jeweils erstgenannt), hat die Unechte Teilortswahl abgeschafft.
50 Jahre nach der Eingemeindung sollte unsere örtliche Gemeinschaft reif genug sein, darauf zu vertrauen, dass der Gemeinderat gesamtgemeindlich denkt und nicht kirchturmbezogen. Dass jedes Anliegen aus Stadt und Land ernsthaft und uneigennützig bedacht wird. Und dass gute Leute aus den Ortschaften aufgrund ihrer Persönlichkeit und nicht wegen überkommener Reservatsrechte in den Gemeinderat gewählt werden.
Gerhard Reischmann












