200 Interessierte bei Informationsveranstaltung über das Biosphärengebiet
Bad Wurzach – Rund 200 Interessierte kamen am vergangenen Montag (6.10.) zu der gemeinsamen Informationsveranstaltung von ProBiosphäre e.V. und Bund Naturschutz Oberschwaben e. V. über das geplante Biosphärengebiet in Oberschwaben in den Saal der Kurhaus-Kulturschmiede. Drei Referenten gingen in ihren Vorträgen auf das geplante Biosphärengebiet in Oberschwaben und die beiden vorhandenen Gebiete Schwäbische Alb und Schwarzwald ein und stellten sich im Anschluss den Fragen der Besucher.
Die Reihe der Vorträge eröffnete nach der Begrüßung durch Bernhard Klein, dem Vorsitzenden des Vereins ProBiosphäre, Dieter Giehmann von der Bürgerakademie Donau-Oberschwaben, zum Thema: „Warum ein Biosphärengebiet Oberschwaben/Allgäu?“ „Die Initiative zum Biosphärengebiet wurde von der aktuellen Landesregierung in den Koalitionsvertrag aufgenommen“, erklärte der Leiter der Akademie mit Sitz in Riedlingen.
Auf eine Anfrage des hiesigen MdL Raimund Haser (CDU) im Landtag zum aktuellen Sachstand zur Entwicklung des Biosphärengebietes Oberschwaben-Allgäu bekam dieser vom zuständigen Umweltministerium zur Antwort, dass aufgrund der noch zu ergreifenden Maßnahmen der Prüfprozess weitere Zeit in Anspruch nehmen werde. Diese Maßnahmen sind: Verstärkte Information und Beteiligung der breiten Bevölkerung und der Gemeinderäte. Gespräche mit Interessensvertretern unter anderem zum Entwurf einer Verordnung Biosphärengebiet sowie Gespräche mit den „Landnutzenden“.
Zusammenspiel von Ökologie, Ökonomie und Sozialem

Dieter Giehmann (Bild) betonte, dass ein Biosphärengebiet eine Auszeichnung der UNESCO für bereits geleistete Vorarbeit sei. „Es ist eine international anerkannte Modellregion, in der Mensch und Natur im Einklang leben…“ Es sei der Motor für die regionale und wirtschaftliche Entwicklung einer Region. Damit solle das Zusammenspiel von Ökologie, Ökonomie und Sozialem gefördert werden, regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt, Innovationen in allen Lebensbereichen gefördert, die Attraktivität als Lebens- und Wirtschaftsraum gesteigert und der Standort durch Regionalentwicklung gesichert werden.
Die Kernzone
In der dreiprozentigen Kernzone (2050 ha), deren Flächen in der öffentlichen Hand sind, wird „Natur Natur sein gelassen“, Jagd aber weiterhin im bisherigen Umfang erlaubt sein. In der Pflegezone, die 17 % der Fläche (11.000 bis 12.000 ha) von Gesamt 65.000 bis 70.000 ha umfasst, deren Lage in den Grenzen der bisherigen Schutzgebieten sind, wird eine Nutzung im bisherigen Umfang und wie dort bisher schon üblich ohne den Einsatz von Pestiziden und Glyphosat stattfinden. Den Löwenanteil, rund 80 % der Fläche (51.000 bis 56.000 ha) nimmt die Entwicklungszone ein. Dort wird die wirtschaftliche Betätigung im bisherigen Umfang ohne Nutzungseinschränkungen möglich sein, ja ist sogar so erwünscht. Die Regionalentwicklung solle in allen Lebensbereichen gleichberechtigt ökologisch, ökonomisch, sozial und kulturell erfolgen.
Nachhaltiger Tourismus
Am Ende seines Vortrages skizzierte Dieter Giehmann die Vorteile auf, die ein Biosphärengebiet mit sich bringt: Die wirtschaftlichen Vorteile wären die Förderung der regionalen Wirtschaft wie Landwirtschaft, Handwerk, Tourismus, Gesundheitseinrichtungen wie Kliniken, Direktvermarktung, gemeinsame Werbung. Dadurch können neue Arbeitsplätze durch nachhaltigen Tourismus, regionale Marken und neue Produkte entstehen. Wertvolle Landschaften werden langfristig geschützt und bleiben erhalten.
Im Bereich Bildung und Forschung werden Kitas, Schulen und berufliche Bildung gefördert. Zentrale und dezentrale Infozentren unterstützen Tourismus und Bildungseinrichtungen.
Die Region erfahre einen Imagegewinn insgesamt, das Ansehen von Gemeinden werde gesteigert und erhöhe die Attraktivität für Bürger und Unternehmen.
Vernetzung
Eine wichtige Rolle nimmt die Geschäftsstelle als Entwicklungsagentur ein. Sie initiiert und vernetzt Aktivitäten, Projekte, Hochschulen. Sie bereitet größere Förderanträge mit den Akteuren vor, begleitet die Koordinierung und Umsetzung von Förderanträgen.
In Bad Wurzach ist mit dem Naturschutzzentrum bereits eine Einrichtung vorhanden, das problemlos als Informationszentrum dienen könnte.
Erfahrungsbericht von der Alb

Der Schelklinger Bürgermeister Ulrich Ruckh (Bild) berichtete im Anschluss an den Vortrag von Dieter Giehmann über die Erfahrungen, die seine Kommune mit dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb gemacht hat. Die Gemeinde Schelklingen ist verkehrsmäßig gut an Ulm angebunden. Sie hat 1200 ha Stadtwald auf 7500 ha Gesamt-Gemarkung. Am Anfang seien die Diskussionen um die 80.000 € für 30 ha Schluchtwälder „nicht vergnügungssteuerpflichtig“ gewesen. Aber man habe in jedem Ortschaftsrat eine Anhörung gemacht, auch in jenen die davon nicht direkt betroffen waren. Damals habe sich eine Bürger-Initiative gebildet, die sich mit sehr unangenehmen Briefen und sogar mit Drohungen zur Wehr gesetzt habe. Aber: Aus ehemaligen Gegnern wurden Befürworter, als sie registrierten, dass auch die Landwirtschaft profitierte. Zum Beispiel erhielten für den sogenannten Blühstrom die Biogas-Bauern eine höhere Vergütung, wenn sie anstelle von Mais Blühpflanzen anbauten. Es sei ein Fakt, dass Flächen nur umgetrieben werden, wenn man damit Geld verdient. Auf dem 6000 ha großen, ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen wurde daher für den Wanderschäfer, mit dessen Schafe die Verbuschung der Pflege-Flächen verhindert wurde, dank Biosphären-Hilfe Wassertränkenzugänge in den Pferchen geschaffen.
Interkommunaler Schafstall
„Die einzelnen Verwaltungen alleine sind oft überfordert, die Projekte personell unterbesetzt und unterfinanziert.“ Daher haben sich die drei Kommunen Ehingen, Schelklingen und Allmendingen zusammengetan und einen interkommunalen Schafstall mit einer Förderquote von 74% gemeinsam gebaut. „Dadurch kamen wir in den Austausch mit den anderen Kommunen und haben über den eigenen Tellerrand geschaut.“ Dies habe alle dank positiver Außenwirkung imagemäßig vorangebracht.
Auf der Alb sind 35 Gemeinden beteiligt
Bei Erweiterungsgesprächen wurden unter anderem auch mit Blaubeuren neue Kommunen hinzugewonnen, so dass die Anzahl der beteiligten Kommunen auf 35 anwuchs.
Erfahrungen im Schwarzwald

Als dritter Referent des von Eva Maria Armbruster moderierten Informationsabendes übernahm Walter Kemkes (Bild), bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand langjähriger Geschäftsführer des Informationszentrums „Biosphärengebiet Schwarzwald“ in Schönau. Er war als ausgebildeter Forstwissenschaftler bereits sieben Jahre bei der Einrichtung und dem Betrieb des Biosphären-Reservats im Saarland, ehe er 2016 zum Biosphärengebiet Schwarzwald kam. An dem Biosphärengebiet Schwarzwald sind bisher drei Kreise mit 28 Gemeinden beteiligt. Weitere Gemeinden wollen nach der Evaluierung mitmachen. Die Unesco selbst bringe keinen Geldsäckel mit, aber sie öffne Türen. Als Beispiel für ein gelungenes Projekt nannte Kemkes den gemeinsamen Bau eines Stalles: Weil die malerischen Schwarzwaldhöfe nicht für Anbindehaltung geeignet sind, bauten sechs Grünland-Landwirte mit hoher Förderung einen neuartigen Stall. Als weitere realisierte Projekte nannte Kemkes den Bau von 60 Kilometer Tränkeleitungen in unwegsamem Berggelände, um die Wasserversorgung von Kühen dort sicherzustellen.
Die Holzproduzenten der Region hatten Schwierigkeiten, Nachwuchs aus der Region zu generieren. Mit „Praxistagen Holz“ gelang es ihnen, Interessenten aus ganz Deutschland anzulocken. Inzwischen kämen auch Unternehmer aus anderen Branchen auf das Informationszentrum zu, um sich beraten zu lassen.
„Leise Enteignung“
In der Diskussion meldete sich zunächst ein Nebenerwerbslandwirt aus dem Raum Bad Buchau. Dieser hielt das geplante Biosphärengebiet für eine Art „leise Enteignung“. Im Übrigen war er der Meinung, dass Moore selbst CO2 emittieren würden. Dr. Siegfried Roth, Leiter des Naturschutzentrums Wurzacher Ried, widersprach ihm: Moore seien CO2-Senken, die anderen Gase Methan und Lachgas seien vernachlässigbar. Walter Kemkes sagte zum Vorwurf der Enteignung: „Die Unesco steht nicht für Enteignung.“ Im Schwarzwald sei bei der Schaffung des Gebietes kein einziger Quadratmeter enteignet worden.
„Die Landwirtschaft braucht Flächen“
Bürgermeister Ulrich Ruckh zeigte Verständnis für die Nöte der Landwirtschaft: „Die Landwirtschaft steht unter großem Druck und braucht Flächen. Durch Ausgleichsflächen und die entsprechenden Ökopunkte entlasten wir sie dabei. Denn im Gegenzug brauchten die Kommunen Gewerbe- und Wohnflächen. Er erläuterte auch, dass man erkannt habe, dass der ehemalige Truppenübungsplatz ein ökologisch wertvolles Gebiet sei.
Weltweit gibt es 749 Biosphärengebiete
Kemkes wartete auf die Frage von Adelgund Mahler, wie man auf die Idee gekommen sei, solche Gebiete zu schaffen mit einer überraschenden Antwort auf. Die Idee kam in den 1970er-Jahre auf, das weltweit erste von inzwischen 749 Biosphärenreservaten wurde in den 1980er Jahren ausgewiesen. Die ersten in Deutschland entstanden nicht etwa in der Bundesrepublik, sondern in der ehemaligen DDR.
Rolf Weidner, Landwirt aus Willis, betonte, ein solches Gebiet mache keinen Sinn. Auch er sprach im Zusammenhang mit der früheren Erweiterung des Naturschutzgebietes Wurzacher Ried von Enteignung. Daher mache es keinen Sinn, dass jetzt hier 1,5 Millionen Euro „verbraten“ würden. Kemkes widersprach und wies daraufhin, dass das Biosphärengebiet Anerkennung und Belohnung der Unesco für etwas bereits Geleistetes darstelle.
Die Stimmung in der Wirtschaft
Einige der Redner wiesen auf die aktuell „furchteinflößende“ Stimmung in der Wirtschaft und Industrie hin. Daher auch die Frage nach dem finanziellen Budget. Schelklingens Bürgermeister Ruckh sagte, dass die Stadt jährlich 15.000 € beitrage, weitere 15.000 € kämen vom Landkreis. Bei den 40.000 Jahre alten Höhlen habe sie einen Bildungsauftrag zum Erhalt, hier zahlte die Stadt 10.000 €. Entscheiden sei jedoch, dass die Wertschöpfung in der Region bleibe. Dem stimmte Walter Kemkes zu. Die Uni Würzburg habe dazu regional ökonomische Untersuchungen angestellt, die das bestätigten. Und auch die Unternehmen seien bei ihm pro Biosphärengebiet eingestellt.
„Dafür ist kein Platz“
Der Unternehmer Alois Jäger (BauGrund Süd) vertrat die von Manuel Hagel, Ministerpräsidentenkandidat der CDU, geäußerte Meinung, aktuell sei wichtig „Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsförderung und nochmals Wirtschaftsförderung“. Allein in Baden-Württemberg würden derzeit 120.000 Arbeitsplätze abgebaut. Da sei für so ein Projekt, das seiner Meinung nach mit erhöhten Auflagen einher, gehe kein Platz.
Die Kosten des Scheiterns
Dieter Giemann errechnete für die bisherigen drei Jahre für die Projektentwicklung für die Vorarbeit Kosten in Höhe von 864.000 €. Geld, das man im Falle des Scheiterns abschreiben müsse. In der Pflege- bzw. Entwicklungszone gebe es keine Ge- und Verbote außer gegebenenfalls denen der Naturschutzordnung. Aber die Biosphärengebietsverordnung habe damit nichts zu tun, er bat er darum zu differenzieren.
„Das bringt kleinere Landwirte zusammen“
Fürsprecher für das Biosphärengebiet meinten, die Agentur könnte kleinere Landwirte zusammenbringen. Auch die Arnacher Landwirtin Petra Müller war der Meinung, man müsse gemeinsam Konzepte entwickeln, miteinander ins Gespräch kommen und Arbeitskreise bilden, denn „wir brauchen Alternativen.“
Oliver Post, Biobauer im Vollerwerb und Vorstand der Adeleggstiftung, sagte, er wäre, als er seinen Ziegenhof im Kreuzbachtal einrichtete, froh gewesen, hätte er die Unterstützung von einem Informationszentrum bekommen.
„Die Skepsis hat sich nirgends gehalten“
Walter Kemkes erklärte abschließend, dass sich die landwirtschaftliche Skepsis in keinem Biosphärengebiet gehalten habe.
Siegfried Roth verwies auf den auslaufenden Torfabbau im Reicher Moos. Als Alternativen für die Moorbadeabteilung sieht er die angelegten Moortaschen an, wo sich schon Torfmoose gebildet hätten.
Ulrich Ruckh sieht ein großes Problem in den Regionalplänen, denn diese blockierten vieles. Ein wirtschaftliches Problem sieht er auch darin, dass wegen der Politik zuwenig Wertschöpfungsketten in Europa behalten wurden.

Zur Informationsveranstaltung über ein Biosphärengebiet war auch Bad Wurzachs Bürgermeisterin Alexandra Scherer gekommen, in deren Gemeinderat das Thema Biosphärengebiet am kommenden Montag, 13. Oktober, verhandelt wird. Dort liegt ein Antrag der CDU-Fraktion vor, wonach Bad Wurzach aus dem Biosphären-Prozess aussteigen sollte. Das Wurzacher Ried gilt als Herzstück des angedachten Biosphären-Gebietes Oberschwaben-Allgäu.

Die Moderatorin Eva-Maria Armbruster (Bild) bedankte sich bei allen Beteiligten für die engagierte und sachlich gehaltenen Diskussion. „Wir müssen im Gespräch bleiben.“
Text und Fotos: Uli Gresser
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