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Im Umfeld des Allerseelentages (2. November)

Reste uralter Bräuche im Allgäu



Region – Allerheiligen und Allerseelen sind für katholische Christen immer noch sehr wichtige Feier- und Gedenktage (die evangelischen Christen gedenken ihrer Toten an Totensonntag / heuer am 24. November; einen Allerheiligentag kennen Protestanten nicht). Berthold Büchele, ein hervorragender Kenner Allgäuer Brauchtums, hat uns einen Text zur Verfügung gestellt, der Glaube und Aberglaube rund um den Allerseelentag darstellt.

Innige Allerseelen-Szene: Ein Elternpaar steht mit zwei Kindern am Grab eines Kindes, das bereits verstorben ist und nun in der Obhut eines Engels ist. Zeichnung von Ludwig Richter aus dem 19. Jahrhundert.

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Von Allgäuer Seelen und dem Allerseelentag

Nur wenige sind sich bewusst, dass bei verschiedenen Festen und Bräuchen des Allgäus jahrhunderte-, ja jahrtausende alte Vorstellungen lebendig geblieben sind. Gerade im alemannischen Bodenseeraum und damit auch im Allgäu mit seiner verhältnismäßig abgeschiedenen Lage haben sich Bräuche erhalten, die teilweise bis in heidnische, in die keltische und alemannische Zeit zurückreichen. Obwohl die Missionare, als sie vor mehr als tausend Jahren in unsere Gegend kamen, und auch später die kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten diese Bräuche immer wieder bekämpften und verboten, konnten sie manche von ihnen lange nicht ganz ausrotten. So auch verschiedene Bräuche im Zusammenhang mit dem Allerseelentag. Wer würde zum Beispiel daran denken, wenn er – gemütlich beim Frühstück sitzend – eine Allgäuer Seele verspeist, dass just diese Seelen auf uralte Bräuche zurückgehen?

Allgäuer Seelen – ihr Name erinnert an die Brotopfer, die einst an den Gröberm der Verstorbenen dargebracht wurden. Foto: Berthold Büchele

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Der Totenkult in allen Kulturen reicht weit in vorgeschichtliche Zeit zurück. Auch in unserer Gegend gab es noch Reste der keltischen und alemannischen Totenbräuche; sie sind freilich heutzutage größtenteils vergessen oder aber durch andere Vorstellungen überlagert.

Der Totenkult der Kelten

Die Kelten glaubten an ein Weiterleben nach dem Tode und entwickelten einen ausgeprägten Totenkult, der vermutlich alljährlich am 1. November, dem Neujahrstag der Kelten, seinen Höhepunkt fand. Die Iren, die direkten Nachfahren der Kelten, feierten jedenfalls am 1. November den Beginn des Jahres und wollten diesen Tag in unsichtbarer Gemeinschaft mit den Verstorbenen begehen. Entsprechend war dieser Tag eng mit Totenkulten und Ahnenfeiern verbunden. (Die Iren brachten diesen Brauch nach Amerika, und von dort gelangte er vor einiger Zeit wieder nach Europa als kommerzieller und sinnentleerter Brauch des Halloween.)

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Die Kelten, ebenso wie nach ihnen die Alemannen, kannten den Brauch, den Ahnen Waffen und Gebrauchsgegenstände ins Grab mitzugeben, eine Sitte, die im Allgäu noch im 19. Jahrhundert lebendig war, wenn man Frauen, die im Kindbett starben, Pfannen und Löffel mit in den Sarg legte. Darüber hinaus brachte man den Toten Geschenke und Nahrungsmittel ans Grab und hielt an den Gräbern Totenmahle, denn man glaubte, damit die Toten zu unterhalten und mit ihnen Tischgemeinschaft zu halten. Außerdem trank man, um die Ahnen zu ehren, an den Gräbern die “Minne” der Verstorbenen, das heißt,  man trank in liebendem Angedenken und prostete den Ahnen zu. Und um den Toten den Weg ins Jenseits zu erleichtern, hielt man an den Gräbern Rauchopfer statt, denn man stellte sich vor, die Seelen stiegen als Rauch ins Jenseits auf.

Die Kirche überlagerte – ähnlich wie in vielen anderen Fällen – die ursprünglich heidnischen Ideen durch christliche. Konsequenterweise legte sie auf den altheidnischen Ahnenkulttag das Fest Allerheiligen, also das Fest aller verstorbenen Heiligen, und auf den Tag danach das Fest Allerseelen, den Tag, an dem man nun im christlichen Sinn an die verstorbenen Angehörigen dachte. Seit um 1800 das Fest Allerseelen “abgewürdigt”, d.h. zum normalen Werktag wurde, hat sich der Gräberbesuch des Allerseelentages mehr und mehr auf den Nachmittag des Allerheiligentages verlagert.

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Trotz der Überlagerung durch christliches Gedankengut glaubte man bei uns noch um 1800, dass nach dem Mittagsläuten des Allerheiligentages die Armen Seelen zu den Gräbern zurückkehrten und über ihnen in der Luft schwebten.

Daneben hielten sich aber auch noch manche heidnische, oder, wie es nun hieß, „abergläubische” Vorstellungen. Dementsprechend wurde das Minnetrinken als „Gotteslästerung über Verstorbenen” kritisiert. (Das Minnetrinken konnte im Mittelalter christianisiert werden; ein letzter Rest davon ist (war) das Trinken der Minne des Hl. Johannes am 27. Dezember.) Auch der Brauch, an den Gräbern zusammen mit den unsichtbaren Seelen der Verstorbenen zu speisen, wurde von der Kirche bekämpft.

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Weil diese Mahle an den Gräbern verboten wurden, verlagerten sie sich in die Privathäuser. Hier, in der Privatsphäre der Häuser, hielt sich, ohne Beaufsichtigung durch die Kirche, manche „abergläubische“ Vorstellung umso urwüchsiger. Auf diese Weise lebten das alte Minnetrinken auf die Toten und das Totenmahl weiter, und man glaubte, je mehr man esse, trinke oder singe, desto größer sei der Dienst und die Unterhaltung für den Verstorbenen. Auch dieses wurde von der Kirche (um 800) als „Leichenwachen mit diabolischen Liedern“ kritisiert, ebenso „Tänze, Spiele und übermäßiges Trinken auf das Heil des Toten.“

Diese Verbote setzten sich bis ins 19. Jahrhundert fort. Doch noch in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts war es verbreitet. Man aß und trank nach wie vor bei der Totenwache, und weil man dabei nicht nur viel Bier und Schnaps, sondern auch Käse konsumierte, hieß man diese Nächte “Käsnächte”. Als Zeichen des gemeinsamen Essens und als “Wegzehrung” legte man für den Toten einen Brotlaib in die Sterbekammer. Auch tanzte man da und dort bei den Leichen, und für manchen war dies ein Ersatz für die heute übliche Tanzstunde.

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Schließlich hatte der Kampf gegen die weltlich anmutenden Bräuche der Totenwache doch noch Erfolg. Bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts blieb nur noch das Rosenkranzgebet beim Verstorbenen übrig, und selbst dies ist heute in die Kirche verlagert; das Totenmahl fand nur noch in der Wirtschaft statt – letzter Rest der einstigen Totenmahle in den Häusern oder an den Gräbern.

Brotopfer

Wenn auch die altertümlichen Totenmahle an den Gräbern verboten werden konnten, war es im Allgäu und in Oberschwaben doch noch lange der Brauch, wenigstens Esswaren ans Grab zu bringen. In einem Buch über den Aberglauben aus dem 17. Jahrhundert heißt es: „An aller Seelentag Brott, Wein und andere Speysen auf die Gräber zu stellen, ist entweders ein grober heydnischer Aberglaub oder ein närrischer Missbrauch.” Trotzdem legte man weiter die Seelenbrote auf die Gräber.

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Auch hier gelang es der Kirche allmählich, dem Brauch einen christlichen Sinn zu geben. So wurde das Opfer in eine Gabe für die Kirche oder für die Armen umgedeutet. In diesem Sinne ist also der in Oberschwaben und im Allgäu noch bis um 1800 erhaltene Brauch zu verstehen, den Verstorbenen an Allerseelen ein Schüsselchen Mehl aufs Grab zu stellen, welches dann der Mesner wegnehmen durfte. In den meisten Fällen konnten diese Speiseopfer für die Toten in Opfer für die Armen umfunktioniert werden, wobei die Hoffnung einen zusätzlichen Anreiz gab, dass dadurch die Seelen der Verstorbenen im Fegfeuer Linderung erfuhren. In Ratzenried existierte noch am Ende des 18. Jahrhunderts der Brauch, dass am Allerseelentag während der Messe in einer Prozession Brotopfer abgelegt wurden, wobei die Haushälterin des Pfarrers vorausging. Verwandt mit diesem Opfer sind diejenigen, die beim Leichengottesdienst abgehalten wurden: im Mittelalter ebenfalls als Brotopfer für die Armen, heute als Geldopfer.

In etwas anderer Form lebte der Brotopferbrauch im Allgäu fort. Hier war es noch bis um 1900 üblich, dass die Paten ihren Patenkindern an Allerseelen Seelenbrote schenkten, wenn sie für die Verstorbenen fleißig gebetet hatten. Als Kontrolle dafür gab es Hölzchen, in denen man die Anzahl der gebeteten Vaterunser als Kerben einschnitzte. Andere buken die Seelen zum Allerseelentag als Reiseproviant für den oft weiten Weg bis zum Grab der Ahnen.

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Wenn auch die einstigen Totenmahle längst vergessen und die „Seelen” heutzutage nur noch ein profanes knuspriges Frühstücksbrot sind, so ist doch am Fest Allerheiligen/Allerseelen der Glaube lebendig geblieben, dass an diesen Tagen die Verstorbenen besonders nahe bei ihren Angehörigen sind, weshalb man ihre Gräber festlich schmückt und die Familie von nah und fern zusammenkommt, um das Andenken der Toten in besonderer Weise zu begehen.
Berthold Büchele




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