Schulsozialarbeit präsentierte Gewaltpräventions-Theater
Bad Wurzach – Das Polizeipräsidium Ravensburg, Abteilung Prävention, unter Florian Suckel hat das Projekt angestoßen. Die Schulsozialarbeit des Schulzentrums organisierte den Auftritt des Q-rage Theaters auf der Bühne im Foyer der Werkrealschule für die Klassenstufen Klassenstufen 8,9 und 10.
Das Theaterstück im Rahmen der Prävention zur Demokratiebildung, Alltagsrassismus und Radikalisierung wurde am Montag (8.12.) zweimal aufgeführt.
Lina (Marlies Bestehorn) und Tarek (Stefan Vitelariu) sind – wie heißt es so schön – Sandkastenfreunde. Beide verbindet eine tiefe Sehnsucht nach Gemeinschaft, Abenteuer und Gerechtigkeit. Sie teilen sich ihre Probleme, die sie mit ihren Eltern haben. Sie sind auf der Suche nach Orientierung, Halt und Antworten auf einige Lebensfragen. Tarek ist Moslem, in Deutschland geboren. Er fühlt sich nicht immer ganz zugehörig als Deutscher mit türkischer Abstammung.
Die Freundschaft von Lina und Tarek wird auf die Probe gestellt, als Lina mit ihren Eltern nach Bayern umziehen muss. Sie ist frustriert, fühlt sich alleine und findet zunächst keinen Anschluss, bis sie eines Tages Tom kennenlernt, der sie in ihrem Frust auffängt und in eine neue Clique einführt… Auch Tareks Leben verändert sich, als er im Netz neue Kontakte knüpft. Durch den Austausch mit anderen Gläubigen liest er den Koran mit ganz neuen Augen …
In dem Theaterstück werden exemplarisch Radikalisierungsverläufe gezeigt und dabei zwei extremistische Bereiche beleuchtet: Rechtsextremismus und Salafismus. Es geht darin darum, zu verdeutlichen, warum man in bestimmten Lebensphasen anfällig für extremistische Organisationen sein kann und wie die Bedürfnisse von Jugendlichen durch sogenannte „Mentoren“ ausgenützt werden können. An zentralen Stellen wird das Bühnengeschehen durch Moderationsphasen unterbrochen, um mit dem Publikum die Inhalte zu reflektieren. Eine weitere Reflexion auf die Situation der beiden Jugendlichen fand dann in den Klassenzimmern mit der pädagogischen Nachbereitung statt.
Diese erfolgte am Dienstag und Mittwoch (09./10.12.) mit den verschiedenen Klassenstufen durch den freiberuflichen Referenten und Psychologen Paul Marx im Auftrag des Instituts inside.out, das sich u.a. wissenschaftlich mit Gewaltprävention beschäftigt. Paul Marx eröffnete seinen Vortrag mit einem kleinen Experiment als „Aufwärmübung“: Er testete die Emotionen und Gefühle der Schüler sowie deren Entscheidungsfreudigkeit zu Fragen wie „Fußball ist besser als Handball“ oder „Samstag ist besser als Sonntag“ oder „Urlaub am Strand ist besser als in den Bergen“, wobei er sie zur jeweiligen Frage aufstehen ließ, wenn sie sie bejahen wollten. Dabei steigerte er das Tempo des Frage und Antwort-Spiels. Danach erklärte er den Schülern, wozu dieses Experiment diente. Er wolle damit das Gruppenverhalten beobachten und die Reaktion des Einzelnen testen, wenn er rasch eine Entscheidung treffen müsse. Über die Fragestellung selbst gebe es automatisch zwei Meinungen zum Thema. Das Verständnis für die eine oder andere Meinung steige, wenn man diese erkläre.
Mit der Fragestellung, „Orangensaft ist gesünder als Cola“ entließ er sie in eine kurze Pause, in der die Schüler fleißig das Für und Wider für diese offensichtlich einfache These diskutierten. In der anschließenden Diskussionsrunde kamen aber verschiedene Faktoren zur Sprache, die diese Offensichtlichkeit ins Wanken brachte: Frisch gepresster Orangensaft? Was für Inhaltsstoffe sind enthalten? Was für eine Cola (z.B. ohne Zucker).
Marx erklärte, das Gehirn sei nicht gut darin, schnelle Entscheidungen zu treffen. Dabei sei es schnell beeinflussbar, etwa durch Glaubenssätze wie: Orangensaft ist gesund durch natürlichen Fruchtzucker. Paul Marx erzählte dazu eine Geschichte aus seinem Leben: Bei ihm zuhause gab es nie Limonade, mit einer Ausnahme: an seinem Geburtstag. Stattdessen gab es immer Fruchtsäfte, weil seine Eltern meinten, dass der kleine Paul damit gesund aufwachsen solle. Dafür trank er, wenn er durstig war, auch mal zwei oder drei Gläser Saft und kam damit mindestens auch auf dieselbe Menge Zucker wie bei Cola. Durch die Vereinfachung des Gedankens „Saft ist gesund!“ erklärte Marx, wieso die Antworten auf die scheinbar einfache Fragestellung sehr viel komplexer sind.
In die große Pause gab Marx den Schülern mit, zu rekapitulieren, was vor der Schlussszene, wo die ehemaligen besten Freunde sich plötzlich feindlich gegenüberstanden, mit den Beiden geschehen war. Die Schüler rekapitulierten, dass sich Beide einer Art Gruppenzwang unterwarfen, Tarek über die Religion, Lina durch ihren Beitritt in die Szene von Rechtsradikalen. Beide auf der Suche nach Freunden, die ihre Sorgen und Nöte (angeblich) verstanden.
Dass nämlich Radikalisierung nicht immer gleich negativ sein muss, erläuterte Marx an den Beispielen der Frauenrechtsbewegung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihr Recht auf Bildung erstritt. Und am Beispiel der Schwarzen Rosa Parks, die in den 1960er Jahren in den USA für die Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit von Schwarzen und Weißen kämpfte.
Genau dies stellte z.B. Tom, der rechtsradikale neue Freund von Lina in Abrede oder die islamistischen Freunde, mit denen Tarik verkehrte. Denn extremistische Gruppen lehnen die demokratischen Regeln ab, sie anerkennen nur die eine Position als die richtige, nämlich die eigene. Dabei haben die großen Weltreligionen viele Gemeinsamkeiten: sie glauben alle an nur einen Gott. Christen und Moslems akzeptieren einander, während beim Extremismus nur ein reines Schwarz-Weiß-Denken vorherrscht. Also nur in Gut und Böse eingeteilt wird. Mit der Folge, dass vieles abgelehnt wird und Hass und Gewalt gesät wird. Es zählt nur die eigene Meinung als richtig, alle anderen werden abgelehnt.
Paul Marx benutzte für die Erklärung der Positionen zwei Begriffe aus dem Fitnessbereich – Push und Pull – um zu verdeutlichen, wie der Prozess der Radikalisierung vonstatten geht. Dabei unterscheidet er drei Ebenen: Die Personen, die Gruppen und die Gesellschaft. Ihm war dabei wichtig, dass die Schüler als Erkenntnisse mitnehmen: zu unterscheiden, was in einer Gruppe Normalität ist, aber was für Gesellschaft und Einzelpersonen gut und richtig ist. Zu unterscheiden, wie der Umgang mit anderen stattfindet und wie über andere geredet wird.
Das Theater und die pädagogische Aufarbeitung ist der Auftakt zu weiteren Veranstaltungen: Modulen wie etwa „Du bist gefragt“, dem Elternaben, bei dem diese Situation thematisiert werden soll sowie die thematische Ausstellung „Stiftung Weltethos“.
Text und Bilder: Uli Gresser
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