Ein Andrang wie noch nie: Zur Lesung von Prof. Ewald Frie kamen 150 Personen
Bad Wurzach – Die Lesung des diesjährigen Friedrich-Schiedel-Literaturpreisträgers am Nachmittag des 28. Septembers besuchten rund 150 Personen, so viel wie bei keinem anderen Preisträger der letzten Jahrzehnte.
Für etwa 50 Personen war am Nachmittag der Preisübergabe im Saal der Kurhaus-Kulturschmiede gestuhlt worden, gekommen waren zu der Lesung von Prof. Ewald Frie aber dreimal soviele, etwa genau soviele wie bei der Preisübergabe am Vormittag. Und diese konnten sich über eine humorvoll vorgetragene Lesung aus dem preisgekrönten Buch „Ein Hof und elf Geschwister – der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“ freuen. Anwesend waren auch wieder die sieben Geschwister, die den weiten Weg nach Bad Wurzach nicht gescheut hatten. Schließlich waren sie ja auch Protagonisten des Werkes.

Nach der Begrüßung durch Bürgermeisterin Scherer (Bild) erläuterte Frie sein Vorgehen zu dem Werk, das nach dem großen Erfolg in der gebundenen Ausgabe auch als Taschenbuch bereits in der fünften Auflage erschienen ist. Aus dem Teil „Jahre des Vaters“ las Prof. Ewald Frie ein Kapitel über die Erntezeit. Der Aussage der ältesten Brüder, „den Abschluss der Erntezeit bildete immer ein großes Fest“, widersprach eine jüngere Schwester, die sich nicht an ein solches Fest erinnern konnte. Während die älteren Brüder eine Gefriertruhe als Fortschritt begrüßteb, hielt die jüngste Schwester diese Errungenschaft für „vorgestrig“. Und in den Jahren zwischen 1955 und 1968 sank die Zahl der Bauerntöchter, die einen Landwirt heirateten, von 25% auf unter 10%.
Den zweiten Teil seiner Lesung bestritt Ewald Frie analog zum ersten Teil aus „Die Jahre der Mutter“. Wie sich die Zeiten gewandelt hatten, das erfuhren Ewald und seine jüngeren Geschwister bei der Hochzeit der 1969 geborenen Schwester. Denn konnten sie in den Jahren zuvor mit dem Aufsagen des Gedichtes von der Kartoffel bei Hochzeiten und Geburtstagen noch einige Pfennige verdienen, gingen die Meinungen von der Schwester – im Buch Mechthild genannt – und der Mutter zu diesem Thema weit auseinander. Die Mutter empfand das Gedicht als emanzipiert, doch Mechthild reagierte darauf verärgert. Ihr Bräutigam war zwar auch ein Bauernsohn, der aber in der Kommunalverwaltung seine Brötchen verdiente.
Der dritte Teil seiner Lesung handelte von Gerüchen, denn diese entschieden, ob man in einer Clique dazugehörte. Entsprechende Hygiene-Tipps standen im Bauernblatt Ende der 1960er Jahre. Ab der Mitte der 1960er Jahre wurde dort bereits der Ein-Mann Betrieb propagiert, die Stimmung in der Landwirtschaft und auch im Hause Frie wechselte von Aufbruchstimmung zu Durchhalteparolen. Damit einher ging ein Prestigeverlust der Bauern in den Wirtschaftswunderzeiten.
Dass Ewald (Jahrgang 1962) Fußball spielen durfte, wäre für seine älteren Brüder undenkbar gewesen, so etwas wie Freizeit gab es für sie nicht. Damit er dorthin kam, ersteigerte sein Vater aus Fundsachen Fahrräder, um daraus fahrtüchtige, wenn auch manchmal skurrile Räder zusammenzubauen. Weil ihre Mutter nicht die entsprechende Schule besuchen durfte, um später Lehrerin zu werden, hatte sie dafür gesorgt, dass alle ihre Kinder etwas lernen durften, mit Erfolg. Ihm und seinen Geschwistern halfen auf ihrem Bildungsweg und dem Berufseinstieg zwei Dinge: Sie hatten gelernt zu arbeiten. Und dass ab 1971 ein Rechtsanspruch auf Bafög bestand. Sie alle erhielten den Höchstsatz, waren damit finanziell selbstständig, lernten dabei auch mit dem Geld hauszuhalten, weil sie dafür auch alle Kosten selbst tragen mussten. Ihr Vater, den schon früh Rückenschmerzen plagten, hatte zu den Berufswünschen der Kinder drei Bedingungen: Ihre Arbeitsplätze sollten warm, trocken und die Tätigkeit im Sitzen erfolgen.
Am Ende der Lesung bekannte Prof. Dr. Ewald Frie, dass der Erfolg des Buches alle – ihn und den Verlag – überrascht hatte. Aber: Den Strukturwandel gab es ja nicht nur im Münsterland, sondern republikweit.

Nach der Lesung gab Prof. Frie gerne Auskünfte.

Hier reicht Ewald Frie das Mikrofon an Hansjörg Schick. Der 85-jährige Altbauer in Gensen, seines Zeichens Landwirtschaftsmeister, kann sich noch an die Landwirtschaft vor der Mechanisierung erinnern. Bestandteil seiner Gehilfenprüfung war noch das Anschirren von Pferden.
Text und Fotos: Uli Gresser















