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Auf den Tag genau 80 Jahre danach

Stadt und Ortschaft gedachten der erschossenen Soldaten



Foto: Hans Reichert
Gang zum Soldatengrab am Ortsrand von Diepoldshofen. Links Pater Robert Sliwa. Rechts neben ihm OB Hans-Jörg Henle. Zwischen den beiden Diepoldshofens Ortsvorsteher Josef Mahler.

Diepoldshofen (rei/HR) – Auf den Tag genau 80 Jahre nach der Hinrichtung von 15 deutschen Soldaten im Diepoldshofer Wald gedachten die Ortschaft Diepoldshofen und die Stadt Leutkirch jener 15 jungen Männer, die zwei Tage vor dem örtlichen Kriegsende ihr Leben verloren. Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle sprach am Grab der 15 jungen Männer und zog dabei einen Vergleich zwischen dem mutigen Major Günther Zöller, der im Falle der MUNA (bei Urlau) Hitlers „Nero-Befehl“ nicht ausführte, und Hauptmann Otto Siebler, der Todesurteile der Wehrmachtsgerichtsbarkeit in pflichteifrigem Erfüllungsgehorsam unerbittlich vollstrecken ließ, obwohl die militärische Niederlage feststand und die Sieger kurz vor dem Ort des Geschehens standen.

Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle legte am Grab der am 26. April 1945 erschossenen 15 Soldaten einen Kranz nieder. Rechts Ortsvorsteher Josef Mahler und Ortspfarrer Pater Robert Sliwa. Foto: Manfred Wiedemann

Die Gedenkfeier begann mit einem Gottesdienst in der Diepoldshofer Pfarrkirche. Es zelebrierte Pater Robert Sliwa. Anschließend zog die Trauergemeinde schweigend zum Soldatengrab am Diepoldshofer Wald. Dort, an der Straße Diepoldshofen – Bauhofen, hielt Oberbürgermeister Henle eine Gedenkrede, die wir hier in der Bildschirmzeitung im Wortlaut wiedergeben, und legte einen Kranz nieder. Ortsvorsteher Josef Mahler und OB Henle dankten den Bürgern für die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung, die von der Musikkapelle Diepoldshofen unter der Leitung von Luis Lau musikalisch umrahmt wurde. Pater Robert sprach ein Gebet. Ein besonderer Dank galt Wolfgang Bank, der das Grab in der Nachfolge seiner Mutter Emma Bank pflegt. Abschluss war im Bürgerstüble, wo viele Teilnehmer die würdige Veranstaltung bei geselligem Beisammensein ausklingen ließen.

Zelebrant beim Gedenkgottesdienst war Pater Robert.

Die Rede von Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle

Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle bei seiner Ansprache. Rechts neben ihm Ortsvorsteher Josef Mahler und Ortspfarrer P. Robert Sliwa. Foto: Hans Reichert

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
seit fast 15 Jahren befassen wir uns in unserer Stadt sehr intensiv mit einer zeitgemäßen Erinnerungskultur. Ein wichtiger Anstoß dafür war die Gründung des Initiativkreises „Orte des Erinnerns“.

An einem „Ort des Erinnerns“ befinden wir uns heute. Die Gedenkstätte bei Diepoldshofen ist einer der fünf „Denkorte“ auf Leutkircher Markung. Dazu zählen die Stolpersteine für die Familien Gollowitsch und Hassler, die Gedenktafel für Michael Maischberger und Josef Luz sowie die Gedenkstele für Major Günter Zöller. Diese NS-Mahnmale spiegeln die unterschiedlichen Opfergruppen wider.

Hier an der Straße von Diepoldshofen nach Bauhofen am Rande eines Waldvorsprungs erinnert ein Steinkreuz an die Grabstätte von 15 Soldaten, die am 26. April 1945, heute vor 80 Jahren, im Diepoldshofener Wald erschossen wurden – und das zwei Tage vor dem Einmarsch der französischen Truppen.

Um die Geschehnisse in Diepoldshofen einordnen zu können, hilft ein kurzer Blick auf Leutkirch in den letzten Kriegstagen. Unsere Stadt war damals überfüllt von Flüchtlingen und Evakuierten aus ausgebombten Städten, versprengten Militäreinheiten, mit Kriegsgefangenen und mit ausgelagerten Behörden. Die Zahl der Bewohner Leutkirchs war über das Doppelte des „Normalstandes“ angestiegen.

Die “Schwäbische Zeitung” schrieb dazu im Mai 1946: „In den letzten Tagen vor dem Einmarsch sah man in Leutkirch immer mehr Uniformen der Wehrmacht und der SS. Viele zurückflutende deutsche Truppen passierten die Stadt in Richtung Kempten. Immer mehr fanden sich hier auch die von Norddeutschland und anderwärts vertriebenen höheren Parteifunktionäre ein. Den ganzen Tag über und noch mehr im sicheren Dunkel der Nacht durchfuhren die prächtigsten Personenwagen unsere Stadt in Richtung Schweizer Grenze.“ (SZ 03.05.1946)

Der Befehl zu „Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet“ vom 19. März 1945 war die Grundlage der von den Nationalsozialisten am Ende des Zweiten Weltkriegs angewandten Taktik der verbrannten Erde auf deutschem Gebiet. Sie sollte den alliierten Militäreinheiten nur unbrauchbare Infrastruktur überlassen, um deren Vorankommen zu erschweren.

Dazu zählte auch die angeordnete Sprengung der Muna in Urlau. Zu Kriegsende lagerten dort tausende Tonnen Munition und Giftgasgranaten. Dank dem mutigen Major Zöller wurde die Sprengung immer wieder verschoben und hinausgezögert, bis die Muna am 28. April kampflos an die Franzosen übergeben werden konnte und damit eine Katastrophe im Allgäu verhindert wurde.

In Leutkirch drehte sich am 25. April alles um den Abbau der Panzersperren. Zahlreiche Bürger forderten, Leutkirch zur offenen Stadt zu erklären und die Panzersperren abzubauen. Die Partei setzte jedoch auf Hinhaltetaktik. Dem damaligen Bürgermeister wird der Satz zugeschrieben „Leutkirch wird bis zum letzten Stein verteidigt“. Wie brutal das umgesetzt wurde, zeigte sich am 27. April: zwei Leutkircher Familienväter, Michael Maischberger und Josef Luz, wurden beim Abräumen der Sperren von der SS brutal niedergeschossen.

Was geschah in diesen Tagen in Diepoldshofen? In der Nacht vom 24. auf den 25. April 1945 war Hauptmann Otto Siebler, Kommandeur des beweglichen Heeresgefängnisses der 19. Armee, mit 120 Strafgefangenen der Wehrmacht von Waldkirch über Sigmaringen und Waldsee nach Diepoldshofen gekommen. Sie hatten in der Grössermühle für zwei Tage Quartier gemacht. Unter den Gefangenen befanden sich 45 zum Tode verurteile Soldaten, vermutlich Deserteure.

15 davon, junge Männer im Alter von 20 bis 31 Jahren, ließ Hauptmann Otto Siebler hier im Wald am 26. April 1945 erschießen. Vormittags wurden im Wald die Gruben ausgehoben. Am Nachmittag wurden die Namen der Todeskandidaten verlesen. Die Verurteilten hatte Gelegenheit, einen letzten Brief an die Angehörigen zu schreiben und sich einem Wehrmachtsgeistlichen anzuvertrauen.

Zum Ablauf der Erschießung heißt es in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Ravensburg vom 8. Januar 1957: „Die Erschießung erfolgte in zwei oder drei Gruppen, nachdem die Opfer an einen Baum gebunden waren und jeder eine Binde über die Augen bekommen hatte. Einschließlich der Beisetzung in den Gruben dauerte die Exekution zwei Stunden.“

Siebler handelte nicht aus Rache und auch nicht im Eifer des letzten Gefechts, sondern er setzte die vorhandenen Vollstreckungsbefehle um. Für ihn bedeutete dies Befehlsgehorsam und Fahneneid bis zum bitteren Ende.

Heute stellt sich die Frage, warum diese 15 zum Tode verurteilten jungen Soldaten wenige Tage vor Kriegsschluss sinnlos sterben mussten. Hätte Siebler den Vollzug ihrer Hinrichtung nicht noch um einige Tage hinauszögern können? Wusste er nicht, dass die Franzosen nur noch wenige Kilometer von Diepoldshofen entfernt waren? Oder handelte er gerade deswegen? Wir wissen es nicht. Die Hinrichtung der Soldaten gehört zu den sogenannten „Kriegsende-Verbrechen“, genauso wie die Erschießung von Maischberger und Luz in Leutkirch.

Artur Angst, Oberstudiendirektor und ehemaliger Schulleiter des Leutkircher Gymnasiums, haben wir es zu verdanken, dass die schrecklichen Geschehnisse in Diepoldshofen gut aufgearbeitet sind. Er hat sich zwei Jahre lang intensiv mit der Geschichte beschäftigt, Akten studiert und Zeitzeugen befragt und 1982 schließlich einen ausführlichen Bericht verfasst, der mit den Worten endet: „Die Toten im Diepoldshofener Wald gehören zu den Millionen im Krieg umgekommener Soldaten und diese wiederum zu den Millionen sonstiger Kriegstoter, die uns ständig mahnen, alles zu tun, um den Frieden zu sichern.“

Das Erinnern ist unsere heutige Verantwortung – und das nicht nur alle zehn Jahre an einem Gedenktag. Beim Erinnern kann und darf es aber nicht bleiben. Nicht in Zeiten, in denen Putin den Krieg nach Europa zurückgebracht hat. Nicht in Zeiten, in denen Parteien an den Rändern immer stärker werden.

Der ehemalige Auschwitz-Häftling Primo Levi brachte es auf den Punkt: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was für uns heute wichtig ist: Es kann geschehen, überall und immer.

Was sind also die wichtigsten Schlüsse, die wir aus den schlimmen Verbrechen der Nazi-Zeit ziehen müssen?

In nahezu allen Zeitzeugen-Berichten aus dieser furchtbaren, aus dieser dunklen Epoche findet sich die Vokabel “kippen”. Stimmungen, die plötzlich kippen und sich gegen Minderheiten und Einzelne richten, zuvor stabil scheinende Gesellschaften, die kippen. Es ist die Erfahrung des stets möglichen Zivilisationsbruchs, die es zu bewahren gilt. Denn sie schützt vor der falschen Hoffnung, dass Kriege und Diktaturen für immer hinter uns liegen.

Für Frieden, für Demokratie, für Freiheit und für Menschenrechte gibt es keine Garantie – sie werden uns nicht geschenkt. Für Frieden, für Freiheit, für Demokratie und für Menschenrechte müssen wir uns alle täglich einsetzen. Nur dann werden wir diese wichtigen Errungenschaften auch in Zukunft haben.

So weit die Ansprache von OB Henle.

OB Henle mit dem Kranz der Stadt. Die Kranzbinde ist in den Farben Leutkirchs gehalten.

Ein Teil der Besucher der Gedenkveranstaltung.

Die Musikkapelle Diepoldshofen trug mit dem Lied vom Guten Kameraden und einem feierlichen Choral zum Ernst der Gedenkstunde bei.

Pater Robert gibt das Weihwasser.

Fotos (7): Hans Reichert

Kommentar “Die zwei Wege” (unter “Links”)



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