„One World“ von Karl Jenkins berührt tief
Leutkirch – Viele Menschen strömten am Sonntagabend (19.10.) in die Leutekirche St. Martin in Leutkirch, um Karl Jenkins’ Oratorium “One World” in einer eindrucksvollen Inszenierung zu erleben. Der gotische Kirchenraum verwandelte sich dabei in einen atmosphärisch aufgeladenen Konzertsaal, in dem Licht- und Klangkunst eng verschmolzen. Es wirkten mit: die Große Kantorei St. Martin, die Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben, das Ensemble VOCAL und der Jugendchor St. Martin sowie ein Rapper. Insgesamt mehr als 100 Personen. Ein halbes Jahr hatten sie für die große Aufführung geprobt. Die musikalische Gesamtleitung hatte Kirchenmusikdirektor Franz Günthner. Die Licht- und Tontechnik oblag Stefan Mößle. Pfarrer Karl Erzberger würdigte das Projekt als Bekenntnis zu Frieden und Schöpfungsbewahrung.

Der Chorraum in Violett, der Dirigent als Schattenmann.

Sopranistin Andrea Jörg.

Mezzosopranistin Gertrud Hiemer-Haslach.

Der gebetsartige Urklang wie ein Mantra.

Das Gebets-Mantra wird extatisch aufgelöst in einem Crescendo. Alles, was dem Menschen innewohnt, fließt in ein Gemeinschaftserlebnis.

Was wie eine Diskussion unter Chorsängern aussieht, ist die Babylonische Sprachverwirrung. Durch menschliche Überheblichkeit ist Verständigung nicht mehr möglich.
Die Lichtgestaltung fungierte nicht nur als schmückendes Element, sondern bildete eine visuelle Unterstützung, die den emotionalen Gehalt der Musik spiegelte und verstärkte. Sanfte Farbtöne zu Beginn weckten eine stille Erwartung, während kalte, transparente Lichtflächen in exponierten Passagen die innewohnende Dramatik aufscheinen ließen. Zu dramatischeren Momenten rückten Lichtformen in warmes Gold und tiefe Rottöne, so dass der Zuhörer quasi durch die Partitur hindurchgeführt wurde und die musikalischen Sequenzen wie Szenen eines großen emotionalen Bogens erlebte.
Gewaltige Chorklänge, intime Momente
Ergreifender emotionaler Eindruck prägte den Abend. Das Publikum reagierte mit einer Intensität, die nur selten in der Region zu spüren ist. Chor und Orchester boten monumentale Klangwelten, deren Weite und Nuancenreichtum unmittelbar fesselten. Die Musikerinnen und Musiker musizierten mit einer Hingabe, die man in der Schlichtheit eines einzigen Violinsolos ebenso spürte wie in der monumentalen, orchestralen Breite. Opulente Orchestersätze kollidierten und verschmolzen mit gewaltigen Chorklängen; dazwischen leitete eine sensible gespielte Geige intime Momente ein, die dem Werk eine persönliche, fast zerbrechliche Nähe gaben. Der Text des Werkes selbst mag von universellen Themen handeln, doch hier trat er in einer konkreten, menschlichen Sprache zutage: „One World“ als Plädoyer für Menschlichkeit, Frieden und Verständigung.
Musikalische Details und berührende Momente prägten den Abend: Die Violinen- und Cello-Linien zeichnen Klarheit in komplexen Orchesterspielen; melodische Bögen erinnerten an japanische Klangfarben und verbanden sich mit der Idee des erneuerten Lebens, dessen Sommer sich erneut ankündigt. Zum Finale zeigt sich eine Vision eines goldenen Zeitalters; das Motiv „Unus Mundus“ fungiert als Zeichen der Hoffnung – „Das große Zeitalter der Welt beginnt von neuem, die goldenen Jahre kehren zurück“, Worte des Dichters Percy Shelley, eine Anspielung, die sich in die Kulisse der Aufführung einschreiben.
Franz Günthner: Nehmt die Botschaft mit nach Hause
Der Abend fand seinen Abschluss in einem langen, begeisterten Applaudieren und einer Botschaft, die über die Musik hinaus Relevanz besitzt. Franz Günthner rief die Zuhörer auf: „„Nehmen Sie Versöhnung und Zuversicht mit nach Hause!“
Hintergrund, Entstehung und Botschaft von „One World“ wurden im Abendprogramm durch eine eindrucksvolle Vorstellung deutlich. Die deutsche Premiere des Oratoriums fand im Rahmen des Festivals der Europäischen Kirchenmusik in Schwäbisch Gmünd im Heilig-Kreuz-Münster im Juli 2025 statt, begleitet von der Verleihung des Europäischen Kirchenmusikpreises 2024. Karl Jenkins’ Vorwort zur Partitur schildert den Entstehungsprozess: Im Jahr 2020 begann er mit der Komposition in einer Zeit globalen Umbruchs. Das Chaos und die weltweite Verwirrung – von Klimawandel über populistische Entwicklungen bis hin zur Pandemie – führten ihn zu der Einsicht, dass die Antwort außerhalb des Chaos liegt. Er betont, dass die heutige politische und wirtschaftliche Instabilität die Relevanz des Werks eher verstärkt denn verringert habe. In „One World“ kulminiert seine Botschaft in der Idee hebräischen Tikkun Olam – dem Reparieren der Welt unter Gottes Herrschaft. Die zentrale Botschaft wird getragen von einer Musik, in der Violine und Cello eine innere Haltung vermitteln, statt über Lautstärke zu operieren. Ein Violinsolo führt das Publikum gegen Ende in eine hoffnungsvolle, lichtdurchflutete Welt, beschrieben mit dem Leitmotiv Ad Lucem.
Text und Fotos: Hans Reichert
Weitere Bilder in der Galerie
















