Nachruf auf Dorothea Schrade
Vor knapp einem Jahr erhielt sie in der Leutkircher Festhalle aus der Hand von Regierungspräsident Klaus Tappeser die Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg. Im April 2024 nahm sie den Hugo-Häring-Preis für gelungene Architektur ihres neu errichteten Kunstateliers in Diepoldshofen an. Sie förderte vielfach Frauen-Kultur. Und sie belebte weit mehr als ihre Lebens-Region zwischen Alb und Alpen. Am 14. September ist Dorothea Schrade (* 1943) gestorben.
Eine erste Erinnerung. Kurz nach der Jahrtausendwende. Da hatte ich die Aufgabe, für ein Haus in der Rotismühle Käufer zu suchen. Eine der Interessierten: Dorothea Schrade. Eine Künstlerin mit mehreren eigenen Galerien. Viel mehr wusste ich damals von Dorothea Schrade nicht. Wir waren schließlich auf den Dachboden gestiegen. Eine der Platten in der Schräge wackelte leicht. Dorothea Schrade griff beherzt zu, lagerte die Dachplatte fest ab und meinte: „So macht man das, junger Mann.”
So macht man das. Und so machte sie es. Vielfältig. Und beeindruckend. Vom Schloss Mochental bis ins Pfarrhaus in Diepoldshofen unterhielt die Künstlerin Galerien. Also Orte der Kunst. Und noch viel mehr. Denn wer das Glück hatte, an einem der vielen offenen Sonntage unter Dorotheas Dach nach Diepoldshofen kommen zu dürfen, erlebte dort keine luftleeren „Vernissagen”, sondern fruchtige Bilder (etwa Zitronen) – samt Kaffee, Tee und selbstgebackenen Kuchen. Da ließ es sich mit der Meisterin und ihrem Publikum weitläufig unterhalten.
„Ich musste die Dinge nicht betrachten. Ich war ja EINS mit ihnen”. So schrieb sie’s in den „Geschichten aus meinem Leben”, die sie 2020 unter dem Titel „O Fortuna, du Luder” veröffentlichte. Darin beschreibt sie ihre frühe Kindheit wie die eines „Waldbauernbuben”.
Eins sein – mal mit einem Fliederbusch, mal mit einem Mann (dem Galeristen Ewald Schrade), mal in Schlössern. Etwa dem Alten Schloss in Kißlegg. Oder in anderen Bauten, die erst mal handwerklich aufgemöbelt werden mussten. Mal in Kißlegg, mal in Uigendorf (bei Riedlingen), mal in Illereichen, mal in Friedrichshafen. Seit 2005 dann in Diepoldshofen.
Wo und wie die Künstlerin und Macherin sowohl in Neufundland als auch bei der Biennale Venedig wirkte, lässt sich kaum in einer einzigen Zeitungsveröffentlichung schildern. Einen ersten Einblick dazu gibt ihre Biografie auf der Seite von Dorothea Schrade: https://www.dorothea-schrade.de/biografie/ .
In Diepoldshofen hielt sich Dorothea Schrade nicht allein in ihrem Wohn- und Ateliergebäude am und im Pfarrhaus auf. Sie belebte den Ort. Zum Beispiel mit ihrer „Musik für den Frieden”. Zu dieser lud sie jeden Donnerstag am späten Nachmittag Tonbegeisterte zu einer halben Stunde an den Dorfbrunnen ein. „Das hat sie durchgezogen – egal bei welchem Wetter”, erinnert sich die Fotografin, Köchin und Schäferin Monika Titelius. Also eine der unzähligen Personen, denen Schrade „immer eine offene Tür” bot. Einerseits „sehr umtriebig”, habe sich Dorothea Schrade „nie als Getriebene gefühlt”.
Als Monika Titelius Dorothea Schrade erstmals begegnete, spürte die Fotografin rasch: „Das ist eine Frau, die Power hat.“ „Die weiß, was sie will – und hinstehen kann.” Vorurteile von Seiten Dorotheas seien ihr nie aufgefallen, erinnert sich Titelius. Und: „Die konnte einem in die Augen schauen.”
Der Anlass für ein erstes Stelldichein Schrade-Titelius ergab ein weiteres Gebäude in Diepoldshofen: der ehemalige Gasthof „Adler”. Dort ermutigte Galeristin Schrade die Fotografin zu einer Ausstellung. „Die hat das professionell durchgezogen”, berichtet Monika Titelius. Mal mit Eintrittskarten, mal mit Pressemitteilungen – aber auch mit persönlicher Anwesenheit während der Öffnungszeiten.
So viel Energie in einer Person! Das strahlte Dorothea Schrade aus. Nicht selten mit einem verschmitzten Lächeln. Vielseitig. So betrieb Schrade 20 Jahre lang eine „Selbstversorgerlandwirtschaft”. Vor allem aber bestärkte sie diejenigen, die – wie sie – sich erst noch ihre Räume erkämpfen mussten. Also vor allem Frauen. Denen bot sie international besuchte Akademietage und -wochen. Auch in Diepoldshofen. Da waren dann dabei gemalte Bilder ebenso zu bewundern wie frisch geschriebene Texte.
Sie blieb umtriebig. Noch im Frühjahr 2024 erhielt sie den Hugo-Häring-Preis für hervorragende Architektur. Diese hatte das bau-gestalterische Büro von Adrian Hochstrasser (Ulm) scheinbar schlicht – und gerade deshalb genial – geliefert. Mit Strohwänden. „Ihr Mut hat sich gelohnt”, lobte Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle bei der Preisübergabe.
Dorothea Schrade hat gewirkt. Vielfach. Am vergangenen Sonntag ist sie im Alter von 82 Jahren gestorben. Sie hinterlässt eine große Lücke. Nicht nur der „Künstlerszene”, von der Fotografin Monika Titelius spricht, wird sie fehlen.
Danke, Dorothea!
Julian Aicher











