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Ein ALSO-Herzstück: der Talk vorm Bock

Joachim Rogosch im Gespräch mit Christian Segmehl, Marion Chwojan und Tezer Leblebici



Foto: Carmen Notz
Eine wunderbare Nacht: Talk vorm Bock am 11. August.

Leutkirch – Und wieder gab es einen wunderschön-lauen Sommerabend am Gänsbühl vor der ALSO-Bühne mit Hunderten von interessierten Gästen. Am Montagabend (11.8.) hieß es Talk vorm Bock – mit drei Leutkircher Köpfen. Bernd Dassel, vor 25 Jahren der Initiator für einen Talk im Bocksaal, sagte damals über seine Motivation: Ich möchte Leute mit Geschichten interviewen, sie müssen nicht berühmt sein, sondern was zu erzählen haben. Ja, zu erzählen hatten sie etwas, die Talk-Gäste vom ALSO-Montag.

Allen voran Christian Segmehl, Profi-Musiker an allen Arten von Saxophon, mit Auftritten zwischen der Kirche in Wuchzenhofen bis zur Elbphilharmonie am Hamburger Hafen, als Solist oder mit Orchester. Im Raum Leutkirch / Allgäu weithin bekannt ist Tezer Leblebici, seit Beginn im ALSO-Team, 16 Jahre als Vorstand, als Macher und Schaffer, seit 2024 ist er erster türkisch-stämmiger Gemeinderat in Leutkirch und seit Jahrzehnten glänzt er als Tänzer bei Bliems Bunter Bühne, als einziger Mann mit vielen netten Mädels.

Die dritte im Bunde war Marion Chowjan, besser bekannt als Marion Gaile aus Reichenhofen, immer noch in sehr gutem Kontakt mit ihrer Heimat, ihrer Musikkapelle, obwohl sie schon einige Zeit im Stubaital lebt und arbeitet. Sie bietet dort unter anderen sogenannte Workations an, also Arbeiten inklusive freie Zeit für Berge, Wandern und viel Natur. Selber rennt sie bei Ultra-Trails die Berge hoch, meistert dabei in rund 15 Stunden zwischen 60 und 70 Kilometer, bis zu 5500 Höhenmeter, um dann „völlig fertig“, aber „total glücklich“ im wahrsten Sinne „runterzukommen“.

Musik von „Just Friends“ und Spenden für den Kindergarten Reichenhofen

Die TiB-Hausband “Just Friends” umrahmt den Talk im (vorm) Bock seit 25 Jahren mit ihrem groovigen Jazz.

Moderator Joachim Rogosch begrüßte die zahlreichen Gäste, den neuen Leiter der vhs, Stephan Wandinger, die vielen Sponsoren und Unterstützer des Talks, und natürlich das Jazz-Ensemble Just Friends, seit Talk-Beginn im Jahr 2001 mit dabei. Sie eröffnen musikalisch, füllen die Pausen zwischen den Talk-Gästen, spielen groovigen Jazz. Rogosch wies gleich zu Beginn (wie immer) auf den Spenden-Charakter des Talks hin. Es geht diesmal um einen Multifunktionsraum für den Kindergarten in Reichenhofen. Einen Container dafür spendet die Firma Milei, dieser muss fest verankert werden und für diese Bodenplatte galt es zu spenden. Am Ende waren es gut 1700 Euro, Spenden für diesen Zweck sind auch im Nachhinein noch möglich.

Der Kindergarten Reichenhofen warb mit diesem Plakat um Spenden. 1700 € sind zusammengekommen; wer mag, kann noch nachträglich spenden.

Christian Segmehl: „Musik hat Magie“

19.00 Uhr: Klänge hoch über dem Gänsbühl, außergewöhnliche Töne, mal harmonisch, mal abgehackt, mit Effekten, ähnlich einem Schnaufen oder Schleifen. Christian Segmehl kommt (Bild) mit einem Alt-Saxophon von der Schneegasse am Publikum vorbei herunter auf die Bühne und gibt hier noch eine besondere Kostprobe seiner Kunst. Es ist Improvisation pur, so kennt man ihn. Er ist ein Meister seines Fachs. Er müsse schon auch üben, das sei harte Arbeit.

Er spielt gerne in ungewöhnlichen Locations

Aufgewachsen in Biberach, wollte er, wie seine Geschwister, ein Instrument lernen, und entschied sich für Klavier und Saxophon, weil dieses Blech-Instrument seiner Schwester gefiel. Vermutlich wäre Christian Segmehl nie Musiker geworden, wenn nicht ein richtiger Saxophonlehrer sein Talent erkannt hätte. So studierte er Musik und verdient bis heute sein Geld als begehrter Solist. Die Elbphilharmonie, ein weltbekannter 800-Millionen-Bau am Hamburger Hafen, ist Segmehls zweite musikalische Heimat, er tritt dort seit 2016 regelmäßig auf, weil er gefragt wird und gefragt ist. „Ich bring denen immer Allgäuer Käse mit, das mögen die“, schmunzelt er auf die Frage, warum er so häufig in der „Elphi“ gastiert.

Christian Segmehl im Gespräch mit Joachim Rogosch: Die Menschen mit Musik erreichen.

Ja, es sei schon ein besonderer Bau, mit sehr guter Akustik, aber es gebe auch andernorts sehr gute Konzertsäle. „Ich freue mich immer, wenn ich wieder nach Hamburg komme, es ist wie ein Heimkommen, einfach schön, die Leute, das Ambiente“, meint Segmehl locker, der aber genauso gern in seiner Heimat-Pfarrkirche Wuchzenhofen spielt oder mal in einem Zirkuszelt, in einer Lagerhalle, einer Brauerei oder einer anderen ungewöhnlichen Konzert-Location.

Segmehl liebt die Abwechslung, sonst werde das Leben doch langweilig, immer Ravels „Bolero“ oder die Carmina Burana, das ist nicht sein Ding. Darum bleibt er kreativ und hat schon 2019 seine eigene Konzertreihe ins Leben gerufen „Die Allgäu-Konzerte“, erzählt er ganz entspannt. Drei bis vier Mal im Jahr organisiert er besondere Events, teils an außergewöhnlichen Orten, mit anderen Musikern oder Ensembles und natürlich mit ihm am Saxophon, so wie kürzlich das „Wuchzenhofen klingt“.

Kultur-Banausen gibt es für ihn nicht. Musik verstehen müsse man nicht. Jeder Stil sei reine Geschmackssache, ob einem zum Beispiel Klassik oder eher Jazz gefällt. Er selber spielt gerne Klassik, von früher, aber auch neuzeitliche Kompositionen. Und: Ein Instrument spielen müsse in erster Linie Spaß machen. Er plädiert im Interview dafür, dass auch in den weiterführenden Schulen wieder das Fach Musik eingeführt werden sollte. Es sei wichtig, denn: „Mit Musik kann man jeden Menschen erreichen, die Wirkung von Musik ist gewaltig, Musik hat Magie.“ Das Publikum ist mit ihm einig, dankt mit viel Applaus.

Marion Chowjan: Angekommen im Stubai

Eine Allgäuerin, die im Stubaital heimisch geworden ist: Marion Chowjan.

Nach jazzigen Klängen kam Marion Chowjan auf die Bühne, chic im braunen Overall, lange blonde Haare, keine Anzeichen dafür, dass sie eine unglaublich anstrengende Sportart betreibt, den Berglauf als Ultra-Lauf – mehr geht kaum.  Ihr Mädchenname Gaile ist bekannt im Allgäu, in Leutkirch, in Reichenhofen. Die „Fraktion dieser Teilgemeinde“ meldete sich kurz lautstark, war also anwesend, inklusive Ortsvorsteher Helmut Kornjak. Man kennt die Marion, sie erzählt von ihrer Lehrzeit bei der „Schwäbischen Zeitung“ und wie sie zum lokalen Fernsehen, dem Regio TV, kam. Dort sprach sie Nachrichten, das Wetter, moderierte Events und auch ab und zu Talks, kein leichtes Unterfangen, schmunzelt sie Rogosch zu.

Ihre Musikkapelle Reichenhofen lobt sie, hier lernte und spielte sie Klarinette, war auch Mitglied beim örtlichen Theaterverein, dort hat sie ihre Wurzeln. Sie komme immer gerne zurück ins Allgäu, geht aber auch gerne heim ins Stubaital südlich von Innsbruck. Marion Chowjan liebt die Berge, die auf so manche erdrückend wirken, für sie aber belebend sind.

Den Mann beim Skifahren kennengelernt

Marion Chowjan hat ihren Mann beim Skifahren im Winter 2016 kennengelernt (“Nein, es war nicht der Skilehrer”) und es hat gleich gefunkt. 200 Kilometer Entfernung war auf Dauer anstrengend, daher die Frage: Wer zieht zu wem?  „Aus dem Stubai zieht man nicht weg, also musste ich umziehen“, erklärt sie. Rogosch fragt explizit über die Integration einer Allgäuerin in Österreich, im Stubaital. Tja, meint Marion Chowjan, die mit einem gebürtigen Stubaier verheiratet ist, der Nachname sei slawisch, vom Schwiegervater her, es sei nicht so einfach gewesen. Einen Berg Formulare galt es zu „besteigen“, ganz abgesehen davon ist auch die Mentalität der Stubaier anders, sie ticken anders. Eine besondere Umstellung war das „Du“ zu allen Leuten, man sieze niemanden, auch nicht den Bürgermeister. „Über 1000 Meter ist man per du“. – „Wie hoch liegt Ihr?“ – „1038 Meter.“ Das Plauschen über das Du nutzt Rogisch zu einem kurzen Ruf ins Publikum: „Hallo, Hans-Jörg.“ Gemeint war der anwesende Oberbürgermeister. Rogosch fügt aber rasch hinzu, dass man hierzulande diesbezüglich doch weit von den Stubaier Gepflogenheiten entfernt sei.

Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle genoss den Abend beim Talk vorm Bock. Er gilt als ausgemachter Fan des ALSO.

Marion erklärt: „Ja, daran muss man sich gewöhnen, wenn man sich dort wohlfühlen will. Ich zieh das Du durch, spätestens bei einem Schnaps ist man soweit“, erzählt sie lachend. „Inzwischen bin ich angekommen, alle sind total nett, ich bin eine von ihnen“, sagt die sportliche Reichenhoferin. Nicht nur, weil sie als Bergläuferin bekannt ist, sondern auch, weil sie sich eine eigene Existenz im Stubai aufgebaut hat.

Ihr Geschäftsidee: die Kombination von Arbeiten und Urlauben

Marion Chowjan bietet Workations an, eine Wort-Kombination. Work heißt Arbeit und Vacation: Urlaub. Wer im Urlaub arbeiten will oder, umgekehrt, Urlaub während der Arbeit möchte, ist bei Marion gut aufgehoben. Sie sucht Hotel oder Berghütte aus, organisiert das moderne Arbeits-Umfeld und bietet nach Feierabend oder auch tagsüber chillige Erholung an in Form von Wanderungen, Meditationen, Impulsen. Als zertifizierte Wander- und Bike-Leiterin kennt sie „best places“, bietet Entschleunigung, Stress-Prävention und vieles mehr, egal ob für Einzelpersonen oder in der Gruppe.

Selber rennt sie in ihrer Freizeit zum Beispiel mit 1500 Teilnehmern beim Ultra-Lauf im Stubai mehrere Berge hoch und runter, mit Start um 1.00 Uhr nachts. Nach gut 14 Stunden kommt sie ins Ziel, müde, aber stolz und glücklich. Das Schönste sei immer der Sonnenaufgang, „diese unglaubliche Licht-Stimmung“. Andererseits habe sie schon „Rotz und Wasser blääret“, so fertig war sie. „Warum macht man sowas“, will wohl nicht nur Rogosch wissen. „Weil man dann ganz genau auf seinen Körper hören muss wie sonst nicht im Leben“, gibt die Allgäu-Stubaierin zur Antwort. Und sie braucht das einfach, ihre Berge, draußen in der Natur sein, dann ist sie glücklich.

An einem Info-Tisch konnte man Angebote von Marion Chwojan bzw. Local-Marion aus Neustift/Stubai einsehen oder Flyer mitnehmen inklusive Gratis-Schlauchschals.

Marion Chwojan wird für ihren gewinnenden Auftritt beglückwünscht.

Tezer Leblebici: ALSO-Macher, Gemeinderat und Tänzer

„Sag mal meinen Nachnamen“, forderte Tezer den Moderator auf, denn eigentlich kennt man den dritten Talkgast nur als Tezer in Leutkirch. Er ist hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat eine Lehre als Elektriker gemacht. Ein „Hans-Dampf in allen Gassen“ ist er, vor allem im Sommer, wenn das ALSO, das Altstadt-Sommerfestival, ansteht. Von Anfang an war er dabei und hat mit Christian Skrodzki das ALSO etablieren können. Er war Zweiter Vorstand, dann 16 Jahre lang als ALSO-Chef „hinten und vorne“, hatte die ganze Verantwortung, ehrenamtlich.  „Sylvia ist die perfekte Nachfolgerin, sie macht es sehr gut“, lobte Tezer die Nachfolgerin Sylvia Hess und die ganze Familie Hess. Inzwischen sind es beim ALSO zwölf Tage Programm mit 60 Veranstaltungen und rund 35.000 Besuchern – „‘s isch echt itt schlimm“, habe  man einst zu Tezer gesagt, um ihm die ALSO-Organisation schmackhaft zu machen. 

„Alles ist möglich“

Und so kam das Gespräch aufs Ehrenamt, auf das Thema „Verantwortung übernehmen“ und wer das heute noch will beziehungsweise freiwillig macht. Es sieht „mau“ aus in vielen Vereinen, es geht nicht weiter, weil keiner den Vorstand machen will. Das kann es nicht sein, meint Tezer. Er übernimmt bewusst Verantwortung, auch damals zur unsicheren Corona-Zeit. „Wir waren vermutlich einer der wenigen Vereine im Land, die so ein Sommerfestival mit K4-Nacht durchgezogen haben, mit und nach allen Corona-Regeln, die damals galten.“ Alles sei möglich.

„Man muss nur alle mitnehmen, die Stadtverwaltung, die Polizei, das Rote Kreuz, die Security, dann funktioniert es. Auch wenn inzwischen das Sicherheitskonzept bei einer K4-Nacht auf 76 Seiten angewachsen ist. Wir dürfen uns das nicht nehmen lassen – Leute, genießt das Leben!“, ruft Tezer voller Optimismus ins Publikum, Beifall brandet auf.

Als Türke im Gemeinderat

Rogosch wechselte das Thema: „Nun bist Du ja auch Gemeinderat, wie kam es dazu?“ Tezer erzählte recht amüsant über seine erste erfolglose Aufstellung vor Jahren bei den Unabhängigen; er war darum gebeten worden, hatte sich nicht angetragen. „Beim zweiten Mal war es knapp, aber Leutkirch war noch nicht bereit für einen Türken im Gemeinderat“, schmunzelt er. Beim dritten Mal im Juni 2024 hat es dann geklappt. Man bräuchte mehr Frauen im Leutkircher Gemeinderat, die Quote sei zu niedrig, meint er.

Tezer Leblebici im Gespräch mit Joachim Rogosch: Mehr Frauen in den Leutkircher Gemeinderat!

Tezer hat seit 1991 einen deutschen Pass, erzählt von den vielen Hürden, wegen der anstehenden Wehrpflicht musste er zurück in die Türkei, berichtet über 10.000 Mark Gebühr an den türkischen Staat für die Befreiung vom 18-monatigen Militärdienst. Dann seine Heirat mit einer deutschen katholischen Frau, wieder eine schwierige Prozedur, die das Okay von Papst Franziskus benötigte (weil sie katholische Religionslehrerin, er Muslim ist). „Ich nehme alles positiv, meine Familie war immer weltoffen, tolerant, mein Vater war viel beim Einkehren und unter Leuten, bei uns war immer was los“, erinnert sich Tezer an seine Kindheit und Jugend. An einen Religionsunterricht in der Schule kann er sich nicht erinnern.

Und wie kam er zum Showtanz bei Bliems Bunter Bühne, möchte der Moderator wissen. „Erst hab ich Fußball gespielt, das hat mir nicht gefallen, bei Regen und Matsch. Dann ging ich ins Ju-Jutsu bei „Guggi“ (Alfred) Bliem in Ottmannshofen. Der gründete eine neue Tanzgruppe und fragte ihn, ob er  mitmachen möchte. „Anfangs waren es 25 Frauen und acht Männer, heute sind es 18 Frauen und ich der einzige Mann – ich bin der Hahn im Korb“, lacht Tezer und grüßt „seine Mädels“ im Publikum. Und ja, sie möchten einen Showtanz zeigen.

Und dann wurde getanzt

Ungewöhnlich bei einem Talk, aber machbar, und so darf Joachim Rogosch eine Tanz-Performance ansagen. Rhythmische Salsa-Musik wird aufgedreht, die Lichtershow geht an, das BBB-Team rockt die Bühne. Viele Mädels und ein Mann – Tezer im Element, der Hüftschwung sitzt, die Choreografie perfekt, dank Gabi Lipp, beide sind seit Beginn bei der BBB-Dance-World.

Tezer und “seine Mädels”: Bliems Bunte Bühne rockt den Talk vorm Bock.

Just Friends spielte den jazzigen Schluss-Akkord und schon rückte die ALSO-Nachtschicht an, um den Gänsbühl von Stühlen zu befreien. Es war ein sehr amüsanter, spannender und wunderbarer ALSO-Abend in Leutkirch.

Moderator Joachim Rogosch weist zur Bühne.

Weiter geht es im Programm noch bis Sonntag, 17. August. www.also-leutkirch.de
Text und Fotos:  Carmen Notz

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Fotos: Carmen Notz

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