Eskalation für die Lachmuskeln
Leutkirch – Es ist Samstagabend. Vorweihnachtszeit. Draußen vor dem Leutkircher Rathaus eine in den Dämmerschlaf gesunkene Schlittschuhbahn. Drinnen im 500 Jahre alten Bockgebäude ein bunt gemischtes Publikum, das sich auf alltägliche Ärgernisse, amtliche Bürokratie und zwischenmenschliche Reibung freut. Bernd Kohlhepp, einer der bekanntesten Kabarettisten im Süden, gibt sich hier zum wiederholten Mal die Ehre.
„Lebenswert. Liebenswert. Leutkirch.“ Dieser Schriftzug prangt auf der stadteigenen Website von Leutkirch im Allgäu. Gut 23.000 Einwohner beherbergt der so genannte Kirch- und Gerichtsort des Nibelgaus, der im Jahr 766 erstmals erwähnt wurde. Ganz so weit zurück geht der heutige Gast in seinem aktuellen Programm „Hämmerle eskaliert“ nicht, auch wenn manche Themen so alt sind wie die Menschheit selbst.

„Es gibt viele Gründe sich aufzuregen“, startet der Kabarettist den Abend – und bringt direkt eine deeskalierende Pointe: „Letztens war ich auf dem Amt, wegen der Grundsteuer. Über die ärgerte ich mich. Doch ich wurde beruhigt: ‚Sie ärgern sich ohne Grund. Sie wohnen doch zur Miete.‘“ Der Saal lacht. „Da hilft nur Tabletten nehmen oder Katzenvideos schauen. Obwohl, ich mag Katzen nicht. Eine Katze darf alles, was ein Mann nicht darf. Sogar auf allen vieren nach Hause kommen.“ Auch der Witz sitzt.
Mehr als 40 Bühnenjahre
Zum Abend eingeladen hat die Volkshochschule Leutkirch, die in Kooperation mit dem Kulturverein Larifari eine ganze Kleinkunstreihe organisiert. Für Matthias Hufschmid, stellvertretender Leiter der vhs und Organisator des Abends, ein besonderer Spaß. „Bernd Kohlhepp war schon öfters in Leutkirch. Fünf, sechsmal mal in verschiedenen Rollen mit unterschiedlichen Programmen. Er gehört fest zum Kulturprogramm.“

Viele vermuten – auch aufgrund seines Dialektes, dass Bernd Kohlhepp waschechter Schwabe ist. Dem ist nicht so: Er kam im schweizerischen Zofingen als Sohn eines Badeners und einer Holländerin auf die Welt. Mit zwei Jahren zogen seinen Eltern nach Tübingen, wo Kohlhepp auch sein Abitur machte. Nach dem Studium an der Eberhard-Karls-Universität tourte er durch die Republik und erhielt verschiedene Auszeichnungen, unter anderem den Traugott-Armbrüschtle-Preis und den Lindauer Kabarettpreis. 2022 feierte Bernd Kohlhepp sein 40-jähriges Bühnenjubiläum.
„Bin heute Abend hier, weil ich heut für Euch eskalier!“
Bernd Kohlhepp alias Herr Hämmerle baut auch an diesem Abend einen guten Draht zum Publikum auf. Zu Karl-Heinz mit Bindestrich, wo sich wohl „die Eltern nicht entscheiden konnten, welchen Namen sie nehmen sollten“. Zu Ingrid und ihrer Tochter Kerstin, „wenn es nicht sauber ist, dann kehrst ihn“. Auch zu Rosemarie in der ersten Reihe, die er immer wieder anlächelt und anzwinkert. Schließlich braucht er weiblichen Zuspruch, da ihn „seine Sabine“ kürzlich verlassen hat.

„Ich weiß noch genau, als ich meine Frau Sabine das erste Mal getroffen habe. Das war an der Bushaltestelle … Wäre ich bloß drei Minuten später gekommen.“ Die Zuschauer lachen, Hämmerle setzt zum Hüftschwung an, Rock’n’Roll dröhnt aus den Boxen, bekannte Evergreens werden neu interpretiert. „Ich dreh durch, ich dreh hohl. Bin heute Abend hier, weil ich heut für Euch eskalier!“
Und immer wieder Sabine. Immer wieder Streitpotenzial in der Ehe. „Mit Straßenschuhen ins Bett? Man kann. Man muss sich nur ein bisschen zwängen.“ Kommunikationsfettnäpfchen noch und nöcher. „5 Kilo an Gewicht verloren? Du wirst sie schon wieder finden. Im Pfundbüro.“
Auch digital-neuzeitliche Themen tauchen auf. „Diese Dating-Portale. Du musst den Algorithmus überlisten. Früher gab es nur Alkohol und Rhythmus … Ob eine Fernbeziehung funktioniert? Klar, wenn die Fernbedienung funktioniert … Hast Du ausländische Wurzeln? Ja, Ingwer im Kühlschrank.“ Und zwischendurch ein Gedicht – ohne Beziehungsstatus. „Der Boskop, der Boskop. Der ist auch als Geschoss top.“
Ohne Sabine in der Männer-WG
Dann wieder der Blick ins Publikum. „Meine Frau ist nicht mehr da. Rosemarie, ich habe heute Nacht von Dir geträumt. Vielleicht ist das ein Zeichen.“ Rosemarie lacht – und winkt ab. Aber ganz so allein ist Herr Hämmerle dann doch nicht. Seine Freunde Brodbeck und Sauter leisten ihm Gesellschaft. Auch deren Frauen haben beide vor die Tür gesetzt. Nun leben die Männer zu dritt in einer Wohngemeinschaft. Demokratische Abstimmung inklusive. Natürlich ironisch gemeint.

„Letztens waren wir zu Dritt auf dem Stuttgarter Wasen, dem Cannstatter Volksfest. Da kostet ein Ticket für die Wilde Maus 12 Euro. Wir sind dann zweimal nicht gefahren – und haben dadurch sage und schreibe 72 Euro gespart.“ Der Saal bebt. Fragen aus dem Publikum, auf Zetteln, die während der Pause verteilt wurden, läuten das Finale ein. „Was verbindet die Schwaben und die Allgäuer? Die Schwäbisch-Allgäuische Grenze. Die trennt sie auch.“ Lokalkolorit vom Feinsten.
Und am Ende Happy End? „Kürzlich stand Sabine vor meiner Tür. Hoffnung keimte in mir auf. Schließlich musste auch noch die Wohnung nach der Party mit Brodbeck und Sauter aufgeräumt werden … Aber sie war nicht wegen mir da. Sie hatte ihren Impfpass vergessen.“ Das Leben ist hart. Manchmal. Aber Humor hilft heilen. Manchmal. Zum Abschluss wird Glen Campbells „Southern Nights“ in „Sofa Zeit“ umgedichtet – und das Publikum singt mit. Ein bunter Abend geht zu Ende. Am meisten eskaliert sind die Lachmuskeln.
Hämmerle singt (Videoclip).
Backstage auf ein Wort mit Bernd Kohlhepp
Der Autor: Es gibt eine Menge, worüber man sich aufregen kann. Aber am Ende des Tages wird alles gut, oder?
Bernd Kohlhepp: Die Menschen interessiert vor allem: Wie geht es mir persönlich in meinem Umfeld? Über die ganz großen Themen, beispielsweise dass Elon Musk einen Wettlauf macht, den Weltraum aufzuteilen, entzieht sich ihrer Lebensrealität. Ich hatte dieses Jahr eigentlich vor, ein Programm zu machen „Hämmerle in Las Vegas“. Aber nach dem 6. November und der Wahl von Donald Trump habe ich das gecancelt. Ich hatte ja bereits das Programm „Elvis trifft Elvis“ gemacht und dafür Nashville und Memphis besucht und dort aufgenommen – Las Vegas hatte noch gefehlt. Aber jetzt geht es nicht mehr. (Annahme des Autors: Einreisebestimmungen in die USA haben sich verändert.)
Der Autor: 2026 – eine Zahl, das kommende Jahr. Was bedeutet es für Sie?
Bernd Kohlhepp: Aus der Idee mit Las Vegas habe ich ein Konzept und Programm entwickelt: „Hämmerle Escape Rooms – Alles im grünen Bereich“. Dort gehe ich alle Fluchtrouten durch, die Hämmerle so hat. Seine Frau Sabine kommt nicht mehr zu ihm zurück und er will es nochmal wissen. Das heißt, er baggert seine Therapeutin an und ist mit seinen Freunden Brodbeck und Sauter im Escape Room unterwegs. Und dort weist Herr Hämmerle nach, dass die Aliens bereits unter uns sind. Man erkennt sie daran, dass sie nicht lachen und nicht klatschen.
Text, Fotos und Video: © Fred Nemitz, Dezember 2025
Mehr unter www.berndkohlhepp.de und www.leutkirch.de/bocksaal

















