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Die Ausarbeitung des Heimatforschers Artur Angst von 1982 zum Soldatengrab in Diepoldshofen

Zu den Erschießungen am 26. April 1945



Foto: Gerhard Reischmann
Das Soldatengrab bei Diepoldshofen (an der Straße Richtung Bauhofen). Zwei (!) Tage vor dem örtlichen Kriegsende ließ ein deutscher Hauptmann Todesurteile gegen 15 Soldaten der Wehrmacht, die in einem beweglichen Heeresgefängnis festgesetzt waren, vollstrecken (ein 16. Soldat konnte entkommen). Es ist anzunehmen, dass es sich um Deserteure handelte, zum Teil blutjunge Burschen, die angesichts der Aussichtslosigkeit der militärischen Lage nicht mehr kämpfen wollten. Der Hauptmann arbeitete nach dem Krieg unbestraft im Dienst der Stadt Witten. In der frühen Bundesrepublik wurden Handlungen nach NS-Recht lange als legal angesehen. (rei)

Diepoldshofen – Am 26. April 1945, zwei Tage vor dem örtlichen Kriegsende, wurden im Wald zwischen Diepoldshofen und Bauhofen 15 Wehrmachtssoldaten hingerichtet. Die Stadt Leutkirch richtet am kommenden Samstag, 26. April, auf den Tag genau 80 Jahre nach der Tragödie, eine Gedenkveranstaltung aus (um 19.30 Uhr startet auf dem Dorfplatz in Diepoldshofen ein Gedenkmarsch zur Hinrichtungsstätte; zuvor – um 18.30 Uhr – findet in der Pfarrkirche ein Gottesdienst statt). Die Bildschirmzeitung veröffentlicht ab Mittwoch, 23. April, eine vierteilige Serie zu dem Geschehen. Publiziert wird ein Typoskript des Heimatforschers Artur Angst (1914 – 1992). Einleitend veröffentlichen wir heute (22.4.) das Vorwort aus dem 27-seitigen Konvolut; in dem ausführlichen Vorwort äußert sich Artur Angst grundsätzlich zur Quellenlage und zu seinen Recherchen, die er in den Jahren 1980 bis 1982 gemacht hat. Der Zwischentitel “Zeitzeugen” hier im Auftaktartikel unserer Serie wurde von der Redaktion der Bildschirmzeitung eingefügt; die Zwischentitel in den 4 weiteren Folgen stammen zum Teil von Artur Angst, zum größeren teil von der Bildschirmzeitung.

Oberstudiendirektor Artur Angst war bis etwa 1975 Leiter des Leutkircher Gymnasiums, das seinerzeit seine Heimstatt am Adenauerplatz hatte (heute ist dort die Gemeinschaftsschule angesiedelt).  Nach seiner Pensionierung befasste er sich mit wissenschaftlicher Akribie mit heimatgeschichtlichen Themen. So ist ihm eine Ausarbeitung zum ehemaligen Frauenkloster in Leutkirch zu verdanken (war oberhalb der Martinskirche); diese in einem Buch zusammengefassten Forschungen brachte er 1989 beim Leutkircher Lokalverlag Rudolf Roth heraus.

In den Jahren 1980 bis 1982 befasste er sich intensiv mit dem Soldatengrab bei Diepoldshofen, sprach mit Zeitzeugen und studierte das ihm zugängliche Quellenmaterial. Dabei stand er auch im Austausch mit Rektor Anton Steiner, der sich als Schulleiter in Diepoldshofen seinerseits mit dem Fall der Erschießung der 15 Soldaten am 26. April 1945 befasste. Artur Angst, geboren 1914, gehörte zur Kriegsgeneration, war kriegsversehrt. Angsts Typoskript, das wir ungekürzt in Fortsetzungen veröffentlichen, stammt aus dem Nachlass von Anton Steiner; es ist uns von dessen Sohn Ulrich zur Verfügung gestellt worden. (rei)

Vorwort der Ausarbeitung von Artur Angst

Angst schreibt (1982):
Hinrichtung deutscher Wehrmachtgefangener bei Diepoldshofen im Frühjahr 1945
Die folgende Darstellung ist die erweiterte und in einigen Punkten korrigierte Fassung eines Berichtes, den ich im Auftrag der „Schwäbischen Zeitung“ (Lokalausgabe Leutkirch) schrieb. Ich hatte zu diesem Zweck Frauen und Männer, die das Kriegsende in Diepoldshofen erlebten, eingehend befragt und außerdem folgende gedruckte beziehungsweise geschriebene Berichte herangezogen:

1) ein Bildbericht der Zeitschrift „Revue“ Nummer 26 vom 26. … (Anm. d. DBSZ-Red.: Jahresangabe in der uns vorliegenden Kopie an dieser Stelle nicht erkennbar; weiter unten im Typoskript wird der Erscheinungstag genannt: 26. Juni 1954) unter der Überschrift „Wie es der Hauptmann befahl“

2) ein Artikel in der „Schwäbischen Zeitung“ vom 4.5.1960, Beilage „Schwabenland“, mit dem Titel „Hier starben 15 deutsche Soldaten“

3) die Dorfchronik des damaligen Pfarrers von Diepoldshofen Alfons Lamprecht, S. 57 und S. 59 mit Einträgen zum 25. bis 27. April und 4. / 5. Juni 1945

4) Kopie eines Schreibens an die Polizeibehörde der Stadt Essen über die Polizeibehörde der Stadt Waldkirch im Breisgau vom 5. Juni 1950 (ohne Absender und Unterschrift, aber offenbar von der Ortsverwaltung Diepoldshofen stammend)

5) Auskünfte der Stadt Witten/Ruhr vom 20.5.1981 und 12. 10. (1981; Anm. d. DBSZ-Red.)

6) Auskunft der Stadt Köln vom 9.6.1981

Das Schreiben der Stadt Witten vom 12.10.81 enthält einen Hinweis auf ein Ermittlungsverfahren, das von der Staatsanwaltschaft Ravensburg gegen Otto Siebler eingeleitet und am 8.1.1957 eingestellt worden war, weil Siebler eine Schuld nicht nachgewiesen werden konnte. Dieser Hinweis war vor(erst) das Einzige, was ich von dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Ravensburg erfuhr. Meine Bemühungen, Einsicht in dortige Akten zu bekommen, weil daraus nicht unwichtige Aufschlüsse zu erwarten waren, liefen zwar seit Oktober (1981; Anm. d. Red.), führten aber vor der Veröffentlichung meines in der „Schwäbischen Zeitung“ für November 1981 erbetenen Berichts zu keinem Erfolg, so dass in dem betreffenden Bericht vom 19. November keine möglichen weiteren Erkenntnisse aus den Ravensburger Akten einfließen konnten. Erst anfangs Januar 1982 bekam ich die Gelegenheit,

7) die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Ravensburg 2 Js 5464 vom 8. Januar 1957 einzusehen. Ihr konnte ich neue, bislang der Öffentlichkeit unbekannte Tatsachen entnehmen. Deshalb enthält die folgende Darstellung gegenüber meinem Zeitungsbericht vom 9.11.1981 nicht unwesentliche Ergänzungen, gibt die Zahl der Wehrmachtsgefangenen des AOK 19 (Armeeoberkommando; Anm. d. DBSZ-Red.) kleiner an als bisher, berichtet von einer Hinrichtung nur am Nachmittag des 26.4.1945 und nicht auch am Vormittag dieses Tages und vermerkt zu dem bei der Exekution anwesenden Unterarzt der Wehrmacht, dass er einer der Gefangenen war und nicht zum Stab des damaligen Kommandanten des Heeresgefängnisses des AOK 19 gehörte.

Des Weiteren konnte ich
8) eine Auskunft von der Staatsanwaltschaft Bochum vom 15.2.1982 und eine solche von der Staatsanwaltschaft Freiburg im Breisgau vom 26.2.1982 bekommen, welche die Ermittlungsverfahren betrafen, die gegen Otto Siebler 1950 und 1966/1967 durchgeführt worden waren.

Im März 1982 erhielt ich noch eine
9) ergänzende Information der Staatsanwaltschaft Ravensburg vom 10.3.1982.

Meine jetzige Darstellung bringt auch die Namen, die identifizierten erschossenen Soldaten (übernommen aus dem Bericht der „Revue“) sowie Informationen über die Belegung des Gästehauses der Grösser-Mühle im Frühjahr 1945 und die Pflege und den Besuch der Soldatengrabstätte bei Diepoldshofen (Auskünfte von den Einwohnern des Dorfes), was alles ich in meinem Zeitungsartikel vom 19.11.81 aus Gründen der Straffung wegließ, das aber jetzt nicht übergangen werden soll, weil es das Bild der Geschichte von Diepoldshofen am Ausgang des Zweiten Weltkrieges noch etwas farbiger macht.

Zum Wert der angeführten gedruckten beziehungsweise geschriebenen Berichte, die ich für meine Darstellung heranzog, muss Folgendes gesagt werden:

1) Bildbericht in der „Revue“ vom 26. Juni 1954: Er ist auf journalistische Wirkung angelegt, d.h. sensationell aufgemacht und mit Texten versehen, bei denen es mehr auf die Erregung von Emotionen beim Leser als auf genaue Sachlichkeit ankam. Die gegen Siebler gerichtete Tendenz der Darstellung ist offenkundig. Auch eine gewisse gewisse Bedenkenlosigkeit bei der Verwendung von Bildmaterial ist festzustellen. So ist das obere Foto auf Seite 7 (zwei Soldaten bekommen einen Kreidekreis auf den Rücken gemalt) nicht im Diepoldshofer Wald aufgenommen – das Gelände beweist es –, sondern wurde wohl schon früher gemacht (gestellt?). Ein gleiches Foto hing nämlich einige Tage vor der Besetzung Leutkirchs durch die Franzosen für kurze Zeit im Schaufenster eines Leutkircher Geschäftes (Aussage von zwei Leutkircher Frauen). Es hat eine Aufschrift getragen des Sinnes: So geht es Verrätern. Es sollte offenbar als Warnung für Soldaten und Zivilisten dienen und konnte schon aus zeitlichen Gründen nicht in Diepoldshofen entstanden sein. Ferner: Die Angaben von „Revue“ über den Marsch der Wehrmachtgefangenen von Waldkirch ins Allgäu sind unklar. Der Leser bekommt den Eindruck, als ob die Gefangenen ab Sigmaringen in zwölf Nachtmärschen 280 km zurückgelegt hätten, was unsinnig ist. Damit könnte allenfalls der ganze Weg vom Waldkirch bis zum Schlusspunkt ihres Marsches in Sonthofen/Allgäu und nicht der Weg von Sigmaringen bis Diepoldshofen gemeint sein. Weitere Angaben in „Revue“ (Zahl der Gefangenen und der Todeskandidaten, Mitteilung, dass Letztere auf einem LKW bis Sigmaringen befördert wurden) stehen im Widerspruch zu den genauen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Ravensburg. Und merkwürdig ist auch, dass „Revue“ nicht das Verfahren erwähnt, das bereits vier Jahre vor ihrem Bericht auf Anzeige der Schwester des hingerichteten Soldaten Heinrich Wolange vom März 1950 bis 30. August 1950 bei der Staatsanwaltschaft Bochum gelaufen und mit der Begründung eingestellt worden war, dass es sich bei der Hinrichtung des   Soldaten Wolange im Diepoldshofer Wald um eine ordnungsgemäße Vollstreckung eines rechtmäßig zustandegekommenen Todesurteils gehandelt habe. „Revue“ musste von diesem Verfahren wissen. Sie brachte nämlich ein Bild von Heinrich Wolange, hatte also Kontakt mit dessen Angehörigen gehabt. Damit musste der Zeitschrift auch das Verfahren gegen Siebler von 1950 bekannt geworden sein. Warum schweigt sich „Revue“ darüber aus? Sollte das ausgesprochen ungünstige Bild, das sie von Siebler gab, auf keinen Fall in Zweifel gezogen werden? Kurz: Die angeführten Einwände gegen den „Revue“-Bericht nötigen dazu, ihn insgesamt sehr kritisch aufzunehmen.

2) Artikel in der „Schwäbischen Zeitung“ vom 4.5.1960: Er stützt sich völlig auf den „Revue“-Bericht, zitiert zum Teil wörtlich oder schreibt fast wörtlich ab und bringt als einzig Neues den Bericht eines „Gewährsmannes“ über die Exhumierung und Umbettung der erschossenen Soldaten sowie Angaben „eines evangelischen Pfarrers“ über das ursprüngliche Aussehen des Diepoldshofener Soldatengrabes. Die beiden letzten Abschnitte des Berichtes sind ein billiges, teilweise törichtes Gerede.¹8  (Die Fußnote 18 findet sich im Hauptteil, den wir in vier Folgen ab morgen, 23.4., veröffentlichen; Anm. d. Red.).

3) Dorfchronik des Pfarrers Lamprecht: Die genannten Stellen bringen ein paar wichtige Einzelheiten (Person des Majors Burkhardt; Exhumierung, am 4. und 5. Juni 1945), sind in den Datumsangaben genau, bezüglich der Strafgefangenen  aber nicht ganz zutreffend (die Gefangenen waren nicht im Stallgebäude, sondern im Stadel der Mühle untergebracht; es handelte sich nicht um eine Strafkompanie; es waren keine Insassen eines Konzentrationslagers dabei; die Angaben über die Berufe der Erschossenen müssen mit Vorsicht aufgenommen werden).

4) Schreiben an die Polizeibehörde Essen über die Polizeibehörde der Stadt Waldkirch/Breisgau: Der hier gebotene Auszug aus der „Pfarrchronik“  Diepoldshofen stimmt nicht mit den tatsächlichen Einträgen von Pfarrer Lamprecht zur Dorfchronik überein und bringt mehr, als dort berichtet ist. Auffallend, dass hier von einer Hinrichtung am Vor- und Nachmittag die Rede ist, was nicht zutrifft. Richtig ist die Nachricht über den Schneefall vom 1. bis 3. Mai, über die notdürftige erste Bestattung der Hingerichteten, über die Exhumierung, über den Major (mit der Präzisierung: Sohn des Arztes Burkhardt in Gammertingen). Allerdings ist Burkhardt laut Chronik von Pfarrer Lamprecht in der Frühe des 27. April (und nicht am 28. April) aus Diepoldshofen weggefahren.

5) und 6) Auskünfte der Städte Witten/Ruhr und Köln: amtlich verbürgte Nachrichten.

7) Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Ravensburg: Sie ist die verlässlichste  und ergiebigste Quelle, was das Schicksal des beweglichen Heeresgefängnisses des AOK 19 und dessen Einheitsführers Otto Siebler im April 1945 anlangt. Soweit die oben besprochenen Darstellungen 1), 2), 3) und 4) anders berichteten, muss den sorgfältigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Ravensburg der Vorzug  gegeben werden.

8) und 9) Die Auskunft der Staatsanwaltschaft Bochum vom 15.2.1982, die der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 26.2.82 (mit Einsichtnahme in die Verfügung der Staatsanwaltschaft Freiburg 1 Js 217/66 vom 28.11.1967) und eine ergänzende Information der Staatsanwaltschaft Ravensburg vom 10.3.1982: amtliche Auskünfte.

Zeitzeugen

Die mündlichen Berichte der anschließend genannten Frauen und Männer aus Diepoldshofen wurden von mir gegeneinander abgewogen, wo erforderlich, in mehrfachen Gesprächen abgeklärt, zwischen Tatsachenangaben und Wiedergabe subjektiver Eindrücke möglichst zu unterscheiden versucht. Befragt wurden (in der Zeit zwischen Oktober 1980 und Sommer 1981):

Frau Klementine Joos geb. Grösser und Herr Josef Joos, die beide im April 1945 in der Grösser-Mühle weilten
Fräulein Paula Grösser, Diepoldshofen
Frau Emma Bank, Diepoldshofen
Frau Käthe Eberle und Herr Xaver Eberle, Diepoldshofen
Frau Wally Hirschauer, Diepoldshofen
Herr Alois Schiele, Diepoldshofen
Frau Bertha Angele, Diepoldshofen.

Die Nachforschung bezüglich der Hinrichtung von Wehrmachtgefangenen bei Diepoldshofen haben gezeigt, wie schwierig es ist, die Ereignisse in unserer engsten Heimat am Ausgang des letzten Weltkrieges wahrheitsgemäß zu erfassen. Schriftliche Quellen dafür sind auf den Landorten, wenn überhaupt, dann nur spärlich vorhanden, in den Städten liegen eher Berichte vor. Jedoch, was aufgezeichnet ist, gilt es kritisch zu prüfen und, wo immer möglich, durch die Erinnerung von Augenzeugen jener Zeit zu ergänzen oder auch zu berichtigen. In nicht allzu ferner Zukunft wird das Letztere nicht mehr möglich sein. Man sollte also die Gelegenheit dazu nutzen, solange es nicht zu spät ist. Jeder, der an der Geschichte seiner Heimat Anteil nimmt, ist aufgerufen, dabei mitzuhelfen.
Artur Angst, März 1982

Die Veröffentlichung der Ausarbeitung von Artur Angst zu den Erschießungen am 26. April 1945 im Wald zwischen Diepoldshofen und Bauhofen beginnt am 23. April.




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