Waren die 1920er-Jahre auch in Isny golden?
Isny – Bücher, Filme und Fernsehserien tragen ihren Teil dazu bei, das Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg als die „Goldenen Zwanziger“ zu sehen. Dabei denkt man meistens an Berlin. Wie aber sah es damals in einer Stadt wie Isny aus? Dieser Frage geht derzeit eine spannende Ausstellung im Stadtmuseum im Schloss nach.
Originelles Ausstellungskonzept
Der Platz, der im ersten Stockwerk des Schlosses für die aktuelle Ausstellung zur Verfügung steht, ist begrenzt. Aber die Ausstellungsmacher – vor allem Museumsleiterin Ute Seibold und die Gestalterinnen von Sued-Design – haben sich ein originelles Konzept ausgedacht, das gut funktioniert. In drei Kabinetten wird das Leben in der Stadt und, wie es sich in den 1920er-Jahren verändert, an drei Figuren festgemacht: dem Kind Carl, dem Bauern Albert und der Bürokraft Fräulein Berta. Die Biografien der drei sind zwar nur ausgedacht. Aber es könnte alle drei tatsächlich genauso gegeben haben. Mit erläuternden Texten, vielen alten Fotos, Plakaten und interessanten Originalobjekten werden um sie herum die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens in der Zwischenkriegszeit angesprochen.

Ein Zeitstrahl stellt große Geschichte und lokales Geschehen nebeneinander. Foto: Herbert Eichhorn
Große Geschichte und Lokales parallel
Im Gang, der die drei Räume verbindet, werden in einem zweigeteilten Zeitstrahl die Eckdaten der großen Geschichte und das, was gleichzeitig in Isny passierte, nebeneinandergestellt. Hier findet zum Beispiel die Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger 1921 ebenso Erwähnung wie der Vertrag von Rapallo zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1924. Aus Isny gibt es für 1921 etwa die Eröffnung der Jugendherberge und für 1924 die Einrichtung einer Suppenküche zu vermelden. Diese weist natürlich auch auf das soziale Elend in den Anfangsjahren der Weimarer Republik und in der Zeit der Inflation hin. Hier im Gang kann der Besucher auch tiefer in die Lokalpolitik und Verwaltung der Zeit einsteigen. An den Wänden sind nämlich ausgewählte Protokolle des Gemeinderats zum Durchblättern installiert.

Themen Kindheit und Kinderfest. Foto: Herbert Eichhorn
Das Kinderfest
Im ersten der drei Kabinette geht es dann um den kleinen Carl, dessen Eltern ein gut gehendes Geschäft betreiben und der die Volksschule in der Kanzleistraße besucht. Hier wird dann unter anderem ein für mehr Chancengleichheit wichtiges, 1920 erlassenes Gesetz thematisiert. Es macht nun eine gemeinsame vierjährige Grundschule für alle Kinder verpflichtend. Präsentiert wird auch damals modernes, pädagogisch wertvolles Spielzeug wie etwa einen der früher so begehrten Anker-Steinbaukästen. Und natürlich darf in dieser Ausstellungsabteilung auch das Isnyer Kinderfest nicht fehlen. Das war gleich im ersten Jahr nach dem Krieg wieder auf die Beine gestellt worden. Und selbst im großen Krisenjahr 1923 beschloss der Gemeinderat einstimmig, das Fest zu feiern, trotz aller wirtschaftlichen Nöte.

Die Erinnerung an den Weltkrieg war in den 1920ern allgegenwärtig. Foto: Herbert Eichhorn
Die Nachwirkungen des Krieges
Im nächsten Raum dreht sich alles um den 1882 geborenen Bauern Albert, der den Hof der Familie etwas außerhalb der Stadt betreibt. Er ist gut katholisch und wählt natürlich die katholische Zentrumspartei. Auf die Veränderungen, die die neue Zeit mit sich bringt – neue Sitten, neue Technik, neue Medien – reagiert er eher skeptisch. Im Raum des Weltkriegsteilnehmers werden auch die Nachwirkungen des Krieges thematisiert. Wie Albert sind auch viele andere seiner Generation von den Erfahrungen an der Front gezeichnet. Die geschichtsfälschende „Dolchstoßlegende“ belastet auch die Diskussionen an den Isnyer Stammtischen. Jedes Jahr wird in der Stadt der Gefallenen gedacht, zunächst am Kriegerdenkmal 1870/71, ab 1930 dann an einem neuen Ehrenmal.

Nicht nur der katholische Gesellenverein spielt Theater. Foto: Herbert Eichhorn
Sport und reges Vereinsleben
Nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren verwundert es kaum, dass in diesem Jahrzehnt der Sport und das Vereinsleben in der Stadt einen enormen Aufschwung erleben. Im Sommer 1922 wird am Feldholzweiher etwa die städtische Badeanstalt „Waldbad“ eröffnet. 1924 wird dann der Reit- und Fahrverein gegründet. Im gleichen Jahr sorgt auch die erste Deutsche Nordische Skimeisterschaft für eine Belebung des Fremdenverkehrs in Isny. Im Vereinsleben der Stadt spielen die verschiedenen konkurrierenden Trachtenvereine eine wichtige Rolle. Neu formieren sich neben diesen die „Windigen Brüder“. Schon der Name des Vereins lässt aufhorchen. Seine erklärten Clubziele sind denn auch die Förderung der Gemütlichkeit und des gesunden Humors.

Technische Neuerungen: Radio und Grammophon. Foto: Herbert Eichhorn
Ein neuer Frauentyp
„Ungeheuer modern“ ist der Titel der Ausstellung. Ein bisschen mehr von dieser Modernität, die wir für gewöhnlich mit den 1920er-Jahren in Verbindung bringen, begegnet dem Besucher schließlich im dritten Raum. Hier lernen wir das aus Berlin zugezogene Fräulein Berta kennen. Berta bleibt bewusst unverheiratet und vertritt somit eine neuen Frauentyp, für den überkommene Rollenbilder nicht mehr gelten. Eine lässigere Mode, Jazzmusik, Kino oder technische Neuerungen – alles Themen, die beispielhaft für diese Epoche stehen – werden in diesem Raum angesprochen. Elektrische Beleuchtung setzt sich durch. Elektrische Kochplatten oder Gasherde lösen den Holzofen ab. Das Leben der Frauen wird dadurch leichter. Außerdem werden das Korsett und einengende Kleidung aufgegeben. Die Kleidung wird überhaupt funktionaler. Das ärmel- und taillenlose Hängekleid, das sogenannte Charlestonkleid, – die Ausstellung zeigt selbstverständlich auch eines – wird geradezu zum Markenzeichen des Jahrzehnts. Wer sich keines kaufen kann, ändert eben etwas aus dem Schrank um.

Neue Kleider und ein elektrisches Bügeleisen, Foto: Herbert Eichhorn
Stummfilm „Menschen am Sonntag“
Noch etwas mehr in das moderne Leben der Zwanziger Jahre eintauchen – nun freilich wieder in Berlin – kann man ganz am Ende der Ausstellung. Dort läuft der halbdokumentarische Stummfilm „Menschen am Sonntag“ von Robert und Curt Siodmak. In den Jahren 1929 und 1930 hatten sie am Bahnhof Zoo und überall in der Stadt das Alltagsleben beobachtet. Klar: In Isny ging es gemächlicher zu. Aber in vielen Bereichen war auch hier im Allgäu etwas vom Geist der neuen Zeit angekommen.
Die Schau im Stadtmuseum läuft noch bis Ende April nächsten Jahres. Insofern besteht für jeden die Möglichkeit, die Ausstellung auch mehrmals zu besuchen. Und das lohnt sich unbedingt. Sie bietet eine solche Fülle von spannenden Fakten und interessanten Objekten, dass man diese bei einem ersten Besuch kaum alle erfassen kann.
Herbert Eichhorn
In der Bildergalerie gibt es weitere Impressionen aus der Ausstellung. Fotos: Herbert Eichhorn
Bis 26. April 2026
Ausstellung „ungeheuer modern – die 1920er Jahre in Isny“
22. Juni 2025 bis 26. April 2026
Stadtmuseum im Schloss Isny
Montag, Donnerstag und Freitag 14.00 bis 18.00 Uhr
Samstag, Sonntag und Feiertag 10.00 bis 17.00 Uhr
24., 25., 31. Dezember und 1. Januar geschlossen
Informationen unter www.schloss-isny.de












