Immer häufiger wird neben Kindern mit der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung AD(H)S von hochsensiblen Kindern gesprochen, die bereits im Kindergarten besonderer Fürsorge bedürfen. Was ist da dran? Handelt es sich um eine Einschränkung oder eine besondere Gabe? Oder hat ein altbekanntes Phänomen einfach ein neues Etikett?
„Wie werden hochsensible Kinder im Ganztagesunterricht vor Überforderung geschützt?“, fragte eine Mutter kürzlich bei einer Informationsveranstaltung in Ummendorf zum Thema Ganztagesunterricht in der Grundschule. Auch Erzieherinnen werden häufiger von Eltern darauf hingewiesen, dass ihr Kind hochsensibel sei und daher besondere Fürsorge benötige. Hm, sind diese Kinder hochsensibel, hochsensitiv oder vielleicht einfach überempfindlich?
Den Begriff der Hochsensibilität hat die US-amerikanische Psychologin Elaine Aron in den Neunzigern geprägt mit ihren Büchern „Sind Sie hochsensibel?“ und „Das hochsensible Kind“. Mittlerweile ploppt das Thema in Veröffentlichungen auch bei uns vermehrt auf. Hängt die gesteigerte Wahrnehmung Hochsensibler mit der zunehmenden Reizüberflutung zusammen? Nach Meinung vieler Psychologen und Mediziner wiesen schon immer bis zu zwanzig Prozent der Bevölkerung eine hochsensible Persönlichkeit auf. Gemeint ist damit die Fähigkeit, Sinnesreize besonders stark wahrzunehmen. Hochsensibilität ist also nicht neu, vielleicht nur der Begriff.
Dabei sprechen manche Psychologen lieber von hochsensitiven Persönlichkeiten. Was positiver klingt, denn bei hochsensibel denkt man schnell an überempfindlich. Und was meint man nun mit hochsensibel oder hochsensitiv? Das Kind sieht, hört, riecht und fühlt intensiver als seine nicht hochsensiblen Altersgenossen. Das äußert sich etwa daran, dass es schnell genervt ist etwa von lärmenden Kindern. Es hat aus psychologischer Sicht eine veränderte Wahrnehmungsschwelle. Es nimmt oft auch Gerüche, Lichteindrücke oder ein kratziges Kleidungsstück eher wahr als andere. Über Ursachen von Hochsensibilität gibt es verschiedene Erklärungsversuche. Etwa eine angeborene, biologisch veränderte Wahrnehmungsschwelle oder eine psychologisch bedingte Reizempfindlichkeit. Einige Psychologen gehen davon aus, dass es sich dabei um ein neues Persönlichkeitsmerkmal handelt. Andere meinen, dass Hochsensibilität Neurotizismus entspricht. Dieses Persönlichkeitsmerkmal beschreibt die Fähigkeit zur Emotionskontrolle. Menschen, die in diesem Bereich hohe Werte erreichen, neigen zu Unsicherheit, Ängstlichkeit und Nervosität. Forschende beschäftigen sich damit, inwieweit sich Hochsensibilität und Neurotizismus überschneiden.
Kreative Menschen
Viele hochsensible Menschen haben ein reiches Innenleben – Künstler sind beispielsweise sehr häufig hochsensibel. Die Empfindsamkeit gegenüber Sinnesreizen nutzen sie, indem sie musizieren, malen oder anderweitig kreativ sind. „Als Folge der intensiven Verarbeitung der Umweltreize ziehen sich Hochsensible häufig sozial zurück“, beobachtet etwa Dr. Philipp Yorck Herzberg, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Hochsensibilität als ein sogenanntes Temperamentsmerkmal ein. Das sind angeborene Merkmale, aus denen sich etwa im Alter von 12 bis 14 Jahren eine Persönlichkeit entwickelt – dabei helfen Lebenserfahrungen und äußere Einflüsse.
Ein häufiger Stolperstein bei der Diagnose von hochsensiblen Kindern ist die Verwechslung mit AD(H)S. Auf den ersten Blick können sich einige Symptome überschneiden: Beide Gruppen von Kindern zeigen gelegentlich Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, sind schnell abgelenkt oder reagieren stark auf äußere Einflüsse. Der Unterschied liegt jedoch in den Ursachen dieser Verhaltensweisen. Bei hochsensiblen Kindern resultiert die Reizüberflutung aus ihrer intensiven Wahrnehmung, während bei AD(H)S die Schwierigkeiten in der Aufmerksamkeitssteuerung und Impulskontrolle begründet sind.
Es gibt mittlerweile eine Reihe von Büchern zum Thema, darunter auch Lesebücher für Kinder („Liebevolle Geschichten für hochsensible Kinder“) und Bilderbücher („Tausendfühler Lars“) und natürlich allerlei Elternratgeber („Hochsensible Kinder: Der beste Ratgeber für Eltern mit gefühlsstarken Kindern. Hochsensibilität richtig verstehen und mit Hilfe effektiver Techniken optimal begegnen und unterstützen“). Möglicherweise hilft es aber, einfach selbst sensibel mit seinen Kindern umzugehen, genau hinzuhören und aufmerksam hinzuschauen. Und was die eingangs erwähnte Frage angeht: Die Pädagoginnen erklärten, dass man in der rhythmisierten Ganztagsschule auch mehr Zeit habe, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen, etwa mit Ruhezonen und Rückzugsorten, in denen sie entspannen können.
Autorin: Andrea Reck
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