Ingoldingen – Die Empörung der Eltern ist groß. Aus Kostengründen soll der Waldkindergarten bei Voggenreute im Sommer 2026 geschlossen werden.
Wald- oder Naturkindergärten gab es in Skandinavien bereits in den Fünfzigerjahren, der erste deutsche, allerdings nie offiziell genehmigte Waldkindergarten entstand 1968 in Wiesbaden. In den letzten Jahren schossen sie beinahe wie Pilze aus dem Waldboden, über zweitausend gibt es derzeit bundesweit. Auch im Landkreis Biberach betreiben viele Kommunen solche Einrichtungen, es gibt auch Elterninitiativen, die einen eingetragenen Verein gründen. Die Einrichtungen befinden sich meist am Waldrand, brauchen kein festes Gebäude und lassen sich schneller und billiger errichten als stationäre Kindergärten. Schon seit 2007 arbeitet der Waldkindergarten Hollerbusch in Erolzheim, der erste im Landkreis Biberach, gegründet von ein paar mutigen jungen Frauen. Mittlerweile gibt es die Waldbiber in Mettenberg, den Freien Aktiven Naturkindergarten Biberach, den Naturkindergarten Fürstenwald in Ochsenhausen, den Waldkindergarten Schelmengrund in Mietingen sowie den Waldkindergarten der Gemeinde Ummendorf und einige mehr.
Gemeinsam wachsen
Die betreuten Vier- bis Sechsjährigen halten sich auch im Winter fast immer außerhalb von Gebäuden auf. Vorgeschrieben ist eine beheizbare Unterkunft, meist in mobilen Bauwagen in Holzbauweise. Auf dem Gelände befindet sich meist auch fast immer ein Häuschen mit Kompost-Toilette. Viele Waldkindergärten verzichten auf vorgefertigtes Spielzeug, die Kinder beschäftigen sich mit Naturgegenständen, die sie in ihrer Umgebung finden. Natürlich wird in den Einrichtungen auch gemalt, vorgelesen und oft auch gebacken und gekocht. Die vorgeschriebene Gruppengröße liegt bei einem Waldkindergarten bei 15 bis 20 Kindern bei einem Schlüssel von mindestens zwei staatlich anerkannten Erziehenden. Manche Kommune machte die Erfahrung, dass sich für diese spezielle Form der Kinderbetreuung leichter Personal finden lässt als in stationären Kindergärten.
Wie sehr draußen die Selbständigkeit der Jungen und Mädchen gefördert wird, kann ich als Lesepatin im Waldkindergarten der Gemeinde Ummendorf im Ortsteil Fischbach beobachten. Faszinierend, wie geschickt sie die steile Böschungen hinaufklettern und auf dem Hosenboden herunterrutschen, mit kleinen Schubkarren über Holzstämme balancieren, in der Matschküche fantasievoll Suppen rühren oder an der Werkbank schrauben und sägen. Nach dem Morgenkreis verzehren sie ihr von zu Hause mitgebrachtes Vesper. Wasser, auch zum Händewaschen, wird in Kanistern meist von der Eltern herbeigekarrt. In robuste Kleidung warm eingepackt sind die Kinder sogar bei Nieselregen oder Schneefall stundenlang im Freien beschäftigt. An Sturm- oder Gewitter-Tagen müssen die Kinder in Ausweichquartiere wie etwa Gemeindehallen umziehen. Im Sommer ist die Zecken-Gefahr groß, doch da sind die Eltern sensibilisiert und achten nach der Rückkehr auf anhängliche Blutsauger.
Ganz andere Gefahren drohen nun dem Waldkindergarten Ingoldingen. In der jüngsten Gemeinderatssitzung am 15. Mai wurde beschlossen, den Waldkindergarten aus dem Bedarfsplan zu streichen. Die Eltern verstehen die Welt nicht mehr. „Vor 15 Jahren wurde der Waldorf-Waldkindergarten gegründet“, schreiben sie in einer Pressemitteilung. „Seitdem gibt es jedes Jahr mehr Anmeldungen als freie Plätze. Kinder aus der Gemeinde Ingoldingen wurden seit je her bevorzugt aufgenommen. Jeden Tag lernen die 20 Kinder zwischen Demeter-Bauernhof und Wald hautnah, was Nachhaltigkeit bedeutet. Eine solche jahrelange erfolgreiche Kooperation zwischen Gemeinde, Bildungsträger und Landwirtschaft ist einzigartig zwischen Ulm und Bodensee. Damit soll nun ab August 2026 Schluss sein.“ Die Eltern geben zu bedenken: „Waldkindergärten sind deutlich kostengünstiger als Haus-Kindergärten: Nahezu kein Gebäudeunterhalt, kein Stromverbrauch und kaum Wasserverbrauch – reine Investition in Bildung. Das Essen der Kinder wird vor Ort auf einem Gasherd zubereitet, ohne teures und subventioniertes Catering. Darüber hinaus riskiert die Gemeinde die Übernahme der Verfahrenskosten im Falle eines verlorenen Rechtsstreits.“ Der Vorstand des Waldorf-Waldkindergartens bedauert diese Entscheidung und prüft nun die Einleitung rechtlicher Schritte, um die Zukunft der Einrichtung und das Wohl der Kinder zu sichern. In seiner Pressemitteilung zeigte sich der Verein geschockt über die diskussionslose und einstimmige Beschlussfassung. Er widerspricht darin auch dem Argument der Kosteneinsparung.
www.hofgut-voggenreute.de/waldkindergarten-voggenreute/
INFO: Ingoldingen muss sparen
Seit Oktober 2024 ist Waldemar Schulz Bürgermeister der gut 3000-Einwohner-Gemeinde im Süden des Landkreises Biberach und auch ihr Kämmerer. Er sieht die Gemeinde am Rand des finanziellen Abgrunds, man muss massiv sparen. Zehn Handlungsfelder seien entwickelt worden, an denen künftige Maßnahmen und Investitionen ausgerichtet werden müssen, unter anderem Bildung und Betreuung, Gewerbe und Wirtschaftsförderung sowie Sicherheit und Ordnung. 2025 stehen der weitere Breitbandausbau, die Gebäudesanierung der Grundschule Winterstettenstadt sowie die Sanierung der Ortsdurchfahrt Wattenweiler im Mittelpunkt. Der Haushalt für dieses Jahr sieht Ausgaben von rund 10,7 Millionen Euro vor, aber nur Einnahmen von rund 9,9 Millionen Euro. Das ergibt im Ergebnishaushalt ein Defizit von rund 800.000 Euro. Die Gemeinde muss den Gürtel massiv enger schnallen, zumal sie Schulden aus der Vergangenheit mitschleppt.
Schulz wies in der Gemeinderatssitzung darauf hin, dass die Gemeinde aktuell und wohl auch in den drei Folgejahren keine Liquidität habe. Der Vertrag mit dem Waldorf-Waldkindergarten endet zum 31. August 2026, die Außengruppe des Kindergartens unter der Burg in Winterstettenstadt wird geschlossen. Die Kindergartengebühren werden zum nächsten Kindergartenjahr erhöht, nicht jedoch die der Kinderkrippe. Dort will man durch verschiedene Werbemaßnahmen die 14 aktuell freien Plätze auch an auswärtige Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren vergeben. Zudem sollen Personalkosten in Höhe von rund 200.000 Euro eingespart werden. Die Gemeinderäte verzichten vorerst auf die Anschaffung von iPads, auch die ehrenamtlichen Entschädigungen der drei Ortsvorsteher sollen überdacht werden. Wie Bürgermeister Schulz BLIX auf Nachfrage mitteilte, können durch die Vertragskündigung mit dem Waldorf-Waldkindergarten pro Jahr über 110.000 Euro eingespart werden. Die Gemeinde habe in ihren eigenen Einrichtungen genügend Plätze, da die Anmeldezahlen für die Kindergärten wie auch in einigen Nachbargemeinden laut Kindergartenbedarfsplanung 2026/27 rückläufig seien. Im Waldkindergarten werden wie auch in der Vergangenheit mehrheitlich auswärtige Kinder betreut.
Autorin: Andrea Reck
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