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Riedlingen – „Ich möchte die Welt kennenlernen.“ Dies ist ohne Frage die Antwort, die man in den allermeisten Fällen von Jugendlichen erhält, die gerade ihre Schullaufbahn beendet haben. Es geht in die Vereinigten Staaten, nach Südafrika, nach Japan oder Australien. Oder per Interrail-Zugreise durch Europa. Und ja, diese Jugendlichen lernen einen neuen Ausschnitt der Welt kennen. Aber was, wenn dies auch in der oberschwäbischen Heimat möglich ist? Denn wer einen Bundesfreiwilligendienst oder ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, lernt genauso neue Welten kennen. Ein Erfahrungsbericht.

Ich begann im September 2024 meinen Bundesfreiwilligendienst in der Katholischen Tagespflege in Riedlingen. Es handelt sich um eine teilstationäre Einrichtung, bei der die Tagesgäste morgens per Fahrdienst geholt und nachmittags wieder nach Hause gebracht werden. Die Aufgabenfelder der Bundesfreiwilligen waren ab Tag eins fordernd, aber vielseitig. Auf der einen Seite stehen hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Einkaufen, Essen austeilen, die Tische putzen und den Boden kehren. Die andere Hälfte bilden die pflegerischen Tätigkeiten „bei den Leuten“: sich mit den Senioren unterhalten, Brettspiele spielen, Aktivierungen, Vorträge und Spiele planen und vieles mehr.

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Im herzlichen Umfeld der Pflegerinnen fühlte ich mich von Anfang an wohl und als gleichwertiger Teil des Teams wertgeschätzt. Von den Tagesgästen sowieso – sofort baute man Bindungen zu den Senioren auf, erfuhr von ihrer Vergangenheit und ihrem Blick auf die Welt. Die allermeisten blicken zurück auf eine von Sparsamkeit und Einfachheit geprägte und so durchaus schwere Kindheit während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Manche berichten gar von ihrer Vertreibung, etwa aus Schlesien. Die Senioren verbindet Bestürzung über heutige Phänomene wie den Rechtsruck und ausufernden Konsum.

Als ich im Winter eine psychisch schwere Phase erlebte, profitierte ich vom großen Verständnis meiner Vorgesetzten und Mitarbeiter sowie dem Riedlinger Pfarrer Walter Stegmann, der Vorsitzender der Katholischen Sozialstation ist. Ich bekam die Möglichkeiten zu Einblicke in weitere Bereiche der Kirchengemeinde Sankt Georg, darunter das Pfarrbüro und der Katholische Kindergarten. Dieses Privileg ist natürlich nicht in jeder Bundesfreiwilligenstelle gegeben, zeigt aber das Wohlwollen, mit dem den Freiwilligen nicht nur in meinem Fall begegnet wird. Auf den Gruppenseminaren, die für alle Freiwilligen verpflichtend fünf Mal fünf Tage lang stattfinden, besprachen meine Kollegen Fabian Wegenast und Lisa Lehn und ich uns mit anderen Freiwilligen, die uns mit überwältigender Mehrheit zustimmten: Die Wertschätzung für die „Bufdis“ und FSJler ist flächendeckend groß. Die Vielfalt der Dienststellen ohnehin – da ist die Tagespflege Riedlingen nur eine von vielen ganz unterschiedlicher Art.

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Benjamin Fuchs’ Einsatz als FSJ-ler ist vielfältig und reicht von Kindern bis Senioren. Mit den Kleinen puzzelt er, und die Alten begleitet er während der Singstunde am Piano (Titelfoto). Fotos: privat

Und warum das Ganze? Die Gründe für die Jugendlichen, nach dem Ende der Schulzeit einen Freiwilligendienst zu leisten, sind fast so vielfältig wie die Einsatzstellen: Die einen möchten bewusst ein Jahr ihres Lebens in den Dienst der Gesellschaft stellen und dafür sogar noch rund 400 Euro Taschengeld pro Monat für die Arbeit erhalten. Die anderen möchten nicht sofort zurück ins akademische Lernen, sei es eine Universität oder in die Berufsschule im Rahmen einer Ausbildung. Und wieder andere suchen bewusst jenen einzigartigen Blick hinter die Fassaden von Berufen, mit denen sie später voraussichtlich wieder direkten Kontakt haben werden – gerade in der Pflege, wie es bei mir war und sein wird.

Ab Oktober möchte ich nämlich Medienwissenschaften und Geschichte in Tübingen studieren. Die Erfahrungen der letzten Monate haben mich zu einem vielseitigeren Menschen gemacht, der nun das Gefühl hat, die Welt wesentlich besser zu kennen als so mancher Weltreisende. Andere Arten von Erfahrungen, aber meiner Meinung nach tiefgründigere und für die Gesellschaft förderlichere Erfahrungen. Erfahrungen, die einem gerade bei einem Jahr in einem sozialen Beruf das Herz weiten, einen viele Menschen ins Herz schließen lässt – wenn man sich darauf einlässt. Motivation und Empathie sind der Schlüssel zu einem erfolgreichen Freiwilligendienst. Daher sähe ich ein verpflichtendes Sozialjahr kritisch. Wer nicht aus eigenem Antrieb, sondern aus der Pflicht heraus den Dienst antritt, ist im besten Fall nur unmotiviert. Im schlimmsten Fall hegt man einen Groll gegen Staat und Einsatzstelle, ist eine Last für sein Umfeld. Nein, es darf keine Pflicht für soziales Engagement geben. Viel eher sollten die Freiwilligendienste noch attraktiver als ohnehin gemacht werden: höheres Taschengeld, gratis Zugtickets und Zuschüsse für Wohnungen für diejenigen, die für ihren Dienst umziehen müssen. Ich genieße also die besonderen, inspirierenden Einblicke durch meinen Dienst, die bereits meine Lebensphilosophie beeinflussen: Meine Zeit genießen.

Autor: Benjamin Fuchs



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