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Überschaubar: Stadtansicht von Memmingen 1573. Damals beherbergte die Stadt rund 5000 Bewohner. Heute sind es über 46.000. Stadt Memmingen

Memmingen – In der Kürze liegt die Würze! Statt der 95 Thesen, die Martin Luther 1517 an das Kirchenportal in Wittenberg geschlagen haben soll, zählt das Manifest der Bauern, verfasst 1525 in der Kramerzunft in Memmingen, nur 12 Artikel. Aber die haben es in sich. Von Wittenberg ging der Ruf nach einer Reform der Kirche aus, in Memmingen verlangten die Bauern und der „gemeine Mann“ nichts weniger als die Freiheit. Nicht Leibeigene wollten sie fürderhin sein, sondern das in der von Luther übersetzten Bibel verbriefte Recht eines freien Christenmenschen verlangten sie. Ungeheuerlich! Das war „Uffrur“! In Memmingen wurde im März vor 500 Jahren Weltgeschichte geschrieben. Christoph Engelhard, Archivar der Stadt, erklärt warum und warum ausgerechnet Memmingen zum Hotspot der Bauernrevolution wurde.

Die Zwölf Artikel, Artikel 3
Anfang: „Ist der Brauch bisher gewesen, dass man uns für Eigenleute (Leibeigene) gehalten hat, was zum Erbarmen ist angesichts der Tatsache, dass uns Christus mit dem Vergießen all seines kostbaren Bluts erlöst und freigekauft hat, und zwar den Hirten gleichermaßen wie den Höchsten, niemand ausgenommen. Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.“ 

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Christoph Engelhard, der Stadtarchivar von Memmingen in seinem Reich. 
Foto: Elisabeth Hütter

Herr Engelhard, wie muss man sich die Welt vor 500 Jahren in und um Memmingen herum vorstellen? Wie lebten die Menschen, von was und wie viele waren es? Wer hatte das Sagen?

In der Reichsstadt Memmingen lebten um 1500 etwa 5.000 Einwohner. Etwa ein Drittel waren Bürger, die über ihre Zünfte Anteil am Stadtregiment hatten, wenngleich die Kaufleute der ‚Großzunft‘ die Politik der Stadt wesentlich lenkten. Memminger Kaufleute waren mit ihren Textilprodukten an den wichtigsten mitteleuropäischen Märkten vertreten; Memminger Gesandte vertraten die Interessen des schwäbischen Handelsplatzes auf Reichs- und Städtetagen. Memmingen erlebte damals eine umfassende Blüte, die unter anderen im spätgotischen Chorgestühl der Hauptkirche Sankt Martin, aber auch in Repräsentationsbauten für Stadt und Spital zum Ausdruck kommt. Die Reichsstadt bemühte sich – vergleichbar mit den adeligen und kirchlichen Herrschaften im Schwäbischen Bund – um einen Ausbau ihrer Rechte im Umland auf dem Weg zur Landeshoheit. Die Erhöhung von Steuern und der Erlass von Verordnungen sorgten jedoch für Unruhe nicht nur innerhalb der Bauernschaft, sondern auch der Bürgerschaft.

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Die Bauern waren nicht Teil der Bürgerschaft, welche Rolle spielten sie? Wie lebten die Bauern im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts?

Mit ihren Diensten und Abgaben trugen die Bauern wesentlich zum Wohlstand in der Region und zum Unterhalt städtischer Infrastruktur- und Wohltätigkeitseinrichtungen bei. In Zeiten von ‚Krieg, Krankheiten und Inflation‘ spürten sie jedoch die Intensivierung von Herrschaft. Die althergebrachte Teilhabe der Bauern an der Regelung ihres dörflichen Alltags war in Gefahr; der Zugang zu natürlichen Ressource zusehends in Frage gestellt. Als Leibeigene des Spitals oder einzelner Bürger waren die Bauern ganz persönlich zu Abgaben und Diensten gegenüber ihrem Leibherrn verbunden und in ihren Freiheitsrechten beschränkt; Eheschließungen bedurften der Einwilligung des Herrn; die Todfallabgabe wurde als besonders schwere Abgabe wahrgenommen.

Vor 100 Jahren: Die Krämerzunft im Jahr 1920 fotografiert.
Heute: Das historische Gebäude fällt ins Auge. Fotos: Stadt Memmingen

Warum wurde gerade Memmingen zum politischen Hotspot, wo die Bauern im März vor 500 Jahren die ‚Zwölf Artikel‘ beschlossen und sich eine Bundesordnung gaben? Was hatte es damit auf sich?

Die Reichsstadt war seit Herbst 1524 als Vermittlerin in Konflikten zwischen Klöstern der Umgebung und ihren Bauern aktiv. Im Februar 1525 wandten sich die Memminger Bauern mit Forderungen an den Rat. Dieser zeigte sich gesprächsbereit, auch weil schon seit geraumer Zeit innerhalb der Bürgerschaft um die Relevanz der Heiligen Schrift für den Lebensalltag der Menschen gerungen wurde. Der Prediger bei Sankt Martin, Christoph Schappeler, und der Memminger Bürger und Laientheologe Sebastian Lotzer regten zusammen mit Lateinschulmeister Paul Höpp und weiteren Bürgern der Stadt Reformen in Kirche und Gesellschaft an. Einer dieser Bürger namens Sebastian Lotzer war als Laientheologe und Verfasser reformatorischer Flugschriften bekannt und wurde Ende Februar zum Feldschreiber des Baltringer Bauernhaufens berufen. In den ‚Zwölf Artikeln‘ begründete er die zahlreichen Beschwerden der Bauern mit dem Evangelium. Memmingen wurde durch ihn und die offene Haltung im Rat zu einem Ort des Dialogs und Gesprächs, die Stube der Kramerzunft schließlich am 6./7. März zum Versammlungsort des Baltringer, Allgäuer und Seehaufens.

Christoph Schappeler und Sebastian Lotzer waren führende Köpfe der Bauernrevolte und Bürger der Stadt, die schließlich fliehen mussten, um dem Tod zu entkommen. Welche Folgen hatte der Bauernkrieg für die Stadt selbst?

Schappeler und Lotzer haben sich nach neuesten Forschungen zurecht gegen den Vorwurf seitens des Schwäbischen Bundes gewehrt, Rädelsführer des Aufstandes gewesen zu sein. Doch trugen beide wesentlich zur Akzeptanz der Anliegen des ‚gemeinen Mannes‘ bei: Schappelers Predigten stießen in Stadt und Land auf Gehör; die ‚Zwölf Artikel‘ wurden an 14 verschiedenen Orten des Reiches gedruckt und in einer geschätzten Gesamtauflage von 25.000 Stück verbreitet. Doch der Konflikt eskalierte: Als der Reichsstadt im Mai die Kontrolle über das regionale Geschehen zu entgleiten drohte, flohen Schappeler und Lotzer in die Schweiz. Nachdem Truppen des Schwäbischen Bundes in Memmingen einrückten und die Bauernhaufen vor der Stadt verdrängten, wurden einige Bauern und Bürger, darunter der Lateinschulmeister Höpp, auf dem Marktplatz hingerichtet. Die eingeleiteten Reformen innerhalb der Stadt wurden aufgehoben, angekündigte Reformen auf dem Land, darunter die Aufhebung der Leibeigenschaft zugunsten eines Schirmgeldes, wurden gegenstandslos. Gleichwohl setzte der Memminger Rat wenig später seinen reformatorischen Weg fort.

Titelholzschnitt der Bundesordnung 1525.

Lässt sich Memmingen dank der Bauern als Wiege der Demokratie und Menschenrechte bezeichnen, trotzdem dass die Bauern blutig scheiterten?

Memmingen wurde im März zur Wiege eines historischen Dokuments: In den ‚Zwölf Artikeln‘ kommen Grundbedürfnisse menschlichen Lebens zum Ausdruck: Mehr Teilhabe an natürlichen Ressourcen und gesellschaftlichen Regeln, mehr Gerechtigkeit in Verwaltung und Justiz sowie Freiheit für alle Menschen und dörflichen Gemeinschaften. Gemeinsam wollten die Bauern über Reformen verhandeln. Memmingens Gesprächsbereitschaft ließ die Reichsstadt zu einem ‚Ort der Demokratie‘ werden.

Was lehrt uns die Geschichte?

Um Gewalt und Krieg zu verhindern, lohnt es sich zu jeder Zeit, unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft wahrzunehmen, zu verstehen und miteinander in Einklang zu bringen. Hierzu sind im demokratischen Rechtsstaat alle Organe verpflichtet. Es gilt das Streben der Menschen nach Freiheit mit der allgemeinen Verantwortung für Sicherheit und Ordnung in Einklang zu bringen.

Die Zwölf Artikel, Artikel 3
Schluss: „Wir haben auch keine Zweifel, dass ihr (die Obrigkeit), als wahre und rechte Christen, uns gern aus der Leibeigenschaft entlassen werdet oder uns dem Evangelium entsprechend nachweist, dass wir wirklich leibeigen sind.“

Autor: Roland Reck



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