Weipoldshofen – Zuerst kommt das Heu. Zumal bei einem Heumilchbauern. Denn gutes Heu gibt gute Milch, erklärt Alfons Notz (75). Dessen Sohn Jonas (37) sich wegen des Heuwetters entschuldigen lässt. Dafür nimmt sich der Altbauer Zeit, um dem Journalisten zu erklären, wie die Dinge zusammenhängen, über die zu sprechen, er sich angemeldet hat. Was ist noch übrig geblieben von „500 Jahre Bauernkrieg“? Welchen Einfluss nimmt die Geschichte auf die Gegenwart? Was haben die Bauernproteste vor einem Jahr mit dem Freiheitsstreben der Bauern vor 500 Jahren zu tun? Warum blockierten die Bauern die Straßen der Republik für den „Agrardiesel“ und bocken hierzulande gegen das „Biosphärengebiet“? Warum ist die Welt so kompliziert, wo sie in Weipoldshofen, den Weiler bei Leutkirch, so einfach erscheint?
Die Tür ist unverschlossen, aber es ist niemand dahoim. Alfons Notz kommt mit dem Fahrrad angesaust. Seit zehn Jahren, als er den Hof an seinen jüngsten Sohn übergab, hat er schon kein eigenes Auto mehr. Mit Fahrrad und Bahn komme er überall hin und wenn nicht, weil das Wetter zu mies ist, dann könne er sich ein Auto aus der Nachbarschaft leihen. Er sei „ein Mensch der Selbstversuche“. So war es schon 1976, als er mit 26 Jahren den elterlichen Hof übernahm und wissen wollte, ob das mit Bio funktioniert. Die ersten zehn Jahre seien hart gewesen, es fehlte ihm an Wissen, Erfahrung, einem Netzwerk und einem auskömmlichen Vertrieb. Es fehlte eigentlich an allem, außer an einer Frau, die den Weg mitging. „Biobauer“ sei ein Schimpfwort gewesen und sein Vater hätte am Stammtisch und die Kinder in der Schule „gelitten“, erzählt der Bauer. Es hätte viele Jahre gedauert, bis er die ersten Wiesen, die er dringend brauchte, zur Pacht bekam. Heute ist der 60 Hektar große Biohof mit 34 Milchkühen und 45 Kälbern und Rindern der letzte Vollerwerbler von ehemals sieben Bauernhöfen in Weipoldshofen. Und Alfons Notz sitzt auf der Holzterrasse seines schicken „Ausdinghauses“ umgeben von Rosenstöcken seiner Frau Marlise einer gebürtigen Schweizerin, und freut sich, dass er noch gebraucht wird. „Ich bin Bauer mit Leib und Seele.“
Nicht minder engagiert ist der drahtige Altbauer in der Kommunalpolitik. Für die ÖDP war er bereits ab 1989 bis 2004 im Ravensburger Kreistag, davon 12 Jahre als Fraktionsvorsitzender. Es habe ihm „wirklich was gefehlt“, also ließ er sich 2009 für den Leutkircher Gemeinderat aufstellen und ist dort bis heute für das „Grüne Bürgerforum“ engagiert. Und selbstverständlich hat er auch als Bauer Position bezogen, nicht beim Bauernverband, sondern bei der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL), die er als Alternative zum Industrie orientierten Bauernverband sieht. Und schon sind wir im Getümmel der Historie und dem brandaktuellen Thema, der Ausweisung eines Biosphärengebietes in Oberschwaben – ohne Allgäu. Ursprünglich sollte das Gebiet bis zur bayerischen Grenze gehen, doch der Widerstand insbesondere aus dem Schloss Zeil führte dazu, dass Leutkirch und viele andere Gemeinden ausgeschlossen bleiben. Der Grund: Die möglichen Kerngebiete, die unter Naturschutz stehen und für das Biosphärenkonzept notwendig sind, sind nicht im Besitz des Landes und die „Allianz der Landeigentümer & Bewirtschafter“ unter der Führung von Zeil mobilisiert kräftig gegen die geplante Modellregion, die Nachhaltigkeit zum Ziel hat, indem die Wirtschaft sich mit Rücksicht auf die Belange von Natur und Umwelt innovativ fortentwickeln soll.

Für Alfons Notz ist das Gebaren des Adelshauses, das er im Blick hat, wenn er auf die nächste Anhöhe steigt, ein Affront und Resultat der Geschichte, dass die Nachkommen auf Schloss Zeil davon profitieren, dass ihr Urahn, Truchsess Georg III, genannt der Bauernjörg, für seine blutigen Dienste im Bauernkrieg vom Kaiser reichlich mit Grund und Boden belohnt wurde. Dass beim „Zeiler“ der Eigennutz Vorrang hat, erstaunt ihn nicht, aber völlig unverständlich ist dem Bauer Alfons Notz „die Geschichtsvergessenheit der Bauern, die sich vor den Karren der Nachkommen des Bauernjörg spannen lassen, der vor 500 Jahren zig-tausende Bauern niedermetzelte“. Unter den Kritisierten ist auch die Vizepräsidentin des Landesbauernverbandes Roswitha Geyer-Fäßler, selbst Biobäurin bei Wangen und Mitglied im Verein „Allianz für Allgäu-Oberschwaben“, die derzeit mit großen Transparenten vor dem Biosphärengebiet warnt.
Alfons Notz hingegen ist „Biosphären-Botschafter“ und bedauert sehr, dass nach aktueller Planung Weipoldshofen nicht Teil des Biospährengebietes sein wird. Er weiß um die Furcht der Bauern, nicht mehr Herr auf der eigenen Scholle zu sein, aber sieht diese Angst gezielt geschürt. Stattdessen plädiert er für die Chancen zur Harmonisierung
von Mensch und Umwelt, von Wirtschaft und Natur. „Dass wir so nicht weitermachen können“, sei allen klar, nur handeln wolle man nicht, klagt der Opa von acht Enkeln, dessen Stimme leicht zittert, wenn er über deren gefährdete Zukunft spricht. „Das macht mich traurig“, sagt der Großvater. Die Landwirtschaft könne ihren Teil zur Besserung beitragen, erklärt der Bauer, aber verweigere sich, wenn sie die Chancen des Biosphärenkonzepts nicht nutze.


Vor 50 Jahren habe er anlässlich des Gedenkens an „450 Jahre Bauernkrieg“ – was damals kaum jemanden interessierte – an sein neu gebautes Milchhäusle ein Fresko malen lassen, es zeigt einen widerständigen Bauern und deren Symbol, einen Bundschuh. Unter diesem Zeichen revoltierten bereits vor dem großen Bauernkrieg 1525 regionale Bauernhaufen im Südwesten, auch sie wurden niedergeschlagen. Das Fresko soll dieser Tage restauriert werden, darin sind sich Vater und Sohn einig. Es geht schließlich um die Geschichte, als Bauern gemeinsam um eine bessere Zukunft kämpften.
Der Adel, der einst die Bauern bis aufs Blut drangsalierte, heiße heute Aldi & Lidl, erklärt Alfons Notz. Der Großhandel diktiere die Preise und die Bauern hätten das Nachsehen. Das trage zur negativen Grundstimmung bei, dann brauchte es nur noch einen Funken, nämlich die politische Absicht, die Subventionierung des „Agrardiesels“ abzuschaffen, und die Wut explodierte, blickt Notz zurück. Aber das Problem sei damit nicht aus der Welt, sondern systemisch.
Dagegen versucht Sohn Jonas Notz anzugehen. Mit sechs Gleichgesinnten gründete der 37-Jährige „TischGenossen“, eine Erzeuger- und Vermarktungsgemeinschaft, die das Fleisch ihrer Tiere insbesondere der überzähligen Kälber den Verbrauchern schmackhaft machen wollen. Die Idee: Die Kälber wachsen in der Herde bei der Kuh oder einer Amme auf. Das Tier bleibt bis zum Tag des Schlachtens in der Obhut des Bauern und endet auf der Tafel der Tischgenossen. Das entspricht sowohl dem Tierwohl als auch den ethischen Ansprüchen der Bauern. Was aber nur funktioniert, wenn die Tischgenossen, die Konsumenten, das Angebot goutieren und dafür mehr bezahlen als bei Aldi und Lidl. Die Bauern versprechen Transparenz und das Internet bietet den Marktplatz. So kann es gehen. Und wenn das Weltgeschehen nicht so irre wäre, dann fühle er sich „wie im Paradies“ in Weipoldshofen, sagt Alfons Notz, der im Kirchenchor singt, weil’s so schön ist.
Autor: Roland Reck
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