Gretchenfrage oder: Der Tanz ums Goldene Kalb
In Goethes „Faust“ lautet die Gretchenfrage so: „Nun sag‘, wie hast Du’s mit der Religion?“ Im allgemeinen Sprachgebrauch gilt die Gretchenfrage als Aufforderung zu einem Bekenntnis. Unser Leser Hans-Joachim Schodlok stellt an die Kirchengemeinde Diepoldshofen die Frage: „Wie hältst Du es mit der Windkraft?“ Die Pfarrei ist ein großer Grundstücksbesitzer im Diepoldshofer Wald, in dem bis zu vier Windkraftanlagen geplant sind. Er schreibt:
Das aus Goethes „Faust“ bekannte Stichwort passt in leicht abgewandelter Form zu einem Problem, das die Bewohner von Diepoldshofen gerade umtreibt und die Bürgerschaft zu spalten droht. Während das unschuldige Mädchen Gretchen den sie umwerbenden Verehrer und Verführer frägt, „nun sag‘, wie hast du’s mit der Religion?“, lautet die Gretchenfrage für die privaten Eigentümer der Parzellen des Diepoldshofener Waldes: „Sag mir, wie hast du’s mit dem Schutz Deiner Heimat, die Dir deine Vorfahren zu ,guten Händen‘ übergeben haben? Was ist Dir das Wohl Deiner Mitmenschen und was ist Dir der Friede in einer Gemeinde wert?“
Noch klarer stellt sich diese Frage aber für den Kirchengemeinderat von Diepoldshofen, da die Kirchengemeinde der größte Grundstückseigentümer im Diepoldshofener Wald ist. Wollen die Damen und Herren des Kirchengemeinderates es zulassen, dass auf den ihnen zur Verwaltung übertragenen Grundstücken sich in den nächsten 25 bis 30 Jahren, vermutlich aber noch für viel länger, gigantische Maschinen 300 Meter hoch in den Himmel recken? Wollen sie den Diepoldshofener Wald zur Industriezone umbauen, die von einem von den technischen Gegebenheiten erzwungenen Schwerlastwegenetz durchzogen wird? Ist es diesen Damen und Herren gleichgültig, dass sie damit Existenzen vernichten, die vom Fremdenverkehr leben? Vorgeblicher Umweltschutz ist in Realität ein Synonym für die Anbetung des Mammons und ein Feigenblatt für die größte Landschafts- und Naturzerstörung aller bisherigen Epochen – sehen sie das? Und wie steht es mit der Pietät gegenüber der Hinrichtungs- und Ruhestätte der 15 erschossenen jungen Menschen, die einst in diesem Wald den Tod fanden und in stiller Abgeschiedenheit am Rande der jetzt geplanten Industriezone beigesetzt sind?
Wie hoch ist die Jahrespacht für einen Sockel einer Großwindanlage in Diepoldshofen? Exakte Werte erfährt der Normalbürger hier nicht. Solche sind den vom Projektierer auserwählten Grundstückseigentümern vermutlich unter dem Siegel Geheimhaltung schon länger bekannt. Erfahrungswerte aus ähnlichen Vorhaben belaufen sich auf 60.000 € bis 90.000 € pro Jahr. In Diepoldhofen werden intern sogar Jahrespachtangebote von bis zu 130.000 € genannt. Bei den heute üblichen Vertragslaufzeiten von 25 Jahren scheinen Beträge von 1 Million € bis 1,5 Millionen € gesichert zu sein. Sollte die Angabe von 130.000/Jahr zutreffen, kämen 3,250 Millionen € pro Anlage zusammen.
Es bleibt nur zu hoffen, dass angesichts derartiger Summen die Gewissensentwicklung bei den Grundstückseigentümern nicht umgekehrt proportional zur Höhe der Pachtangebote verläuft.
Pfarrgemeinde und Diözese stehen somit vor der Entscheidung, ob sie den Verlockungen des großen Geldes erliegen oder ob ihnen der Schutz der Heimat und der Bewohner dieser Landschaft wichtiger ist.
Das Beispiel Siggen kann uns vor Augen führen, dass trotz der nahezu einstimmigen Zustimmung des Argenbühler Gemeinderates zum dortigen Windkraftprojekt die örtliche Kirchengemeinde nicht dazu bereit war, eine Anlage auf Kirchengrund zuzulassen. Sie weigerte sich, am Tanz um das Goldene Kalb teilzunehmen.
Unsere Hochachtung dafür, nachdem sich die Diözese bisher „positiv“ zum Ausbau von Solar- und Windnutzung ausgesprochen hat. Das unselige Werbeflugblatt „Hier heizt der ,Chef’“ (die Sonne erhitzte ein Blechdach) und „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind, Windkraftanlagen können …“ wurden auch von innerkirchlichen Kritikern sehr kritisch gesehen.
Damit nicht zu viele lästige Fragen aufkommen, sollen diese Pläne beschleunigt genehmigt werden (im Vereinfachten Verfahren). Wie nicht anders zu erwarten war, stehen der Leutkircher OB wie auch der dortige Stadtrat sowohl dem Vorhaben als auch dessen überschneller Durchsetzung positiv gegenüber. Eine eindeutige Positionierung des Diepoldshofener Ortschaftsrates steht noch aus.
Hoffen wir auf eine unabhängige Willensbildung!
Diepoldshofen ist von Leutkirch so weit entfernt, dass die nachteiligen Wirkungen nahezu alleine die Bürger von Diepoldshofen und einiger Randbezirke von Bad Wurzach treffen würden. Das Motto des Leutkircher Gemeinderates könnte deshalb lauten: „Verschon mein Haus, zünd ’s andere an.“
Der Kirchengemeinderat von Diepoldshofen steht nun vor einer wichtigen Grundsatzentscheidung, deren Wirkung weit über das kirchliche Leben in der Gemeinde hinausreicht und mitbestimmend über das friedliche Zusammenleben werden kann.
Hans-Joachim Schodlok, Bad Wurzach-Dietmanns
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