„Es können die Unterdrückten sich nur selbst und gemeinsam befreien”

Leutkirch – Samstagabend, 31. Mai kurz nach 20.00 Uhr. Schauspielerinnen und Schauspieler des 21-köpfigen „Die Bauernoper”-Theaters gehen entlang des Festhallen-Wandlaufs in Leutkirch Richtung Bühne. Direkt vorbei am Publikum. Volles Haus – es werden noch Stühle reingebracht. Freundlich starker Applaus zu Beginn – fast Feststimmung. In der Pause geht das Bier aus.

2025. 500 Jahre „Bauernkrieg” von 1525. Was war da? Wie erhob sich die Landbevölkerung gegen Adel und Kirchenherren? Darüber berichten derzeit viele Ausstellungen und Vorträge. Heute, Ende Mai 2025 in der Festhalle Leutkirch, mal ganz anders: mit Gesang und Musik – ähnlich einer Revue. Geschichtsunterricht, der in die Ohren geht. Und ins Gemüt. Ganz ohne Spaßbremse und Notenstress.
An diesem Samstagabend tritt keine hauptberufliche Theater-Truppe auf die Bühne. Vielmehr sind die Darstellerinnen und Darsteller Teil einer 21-köpfigen Gruppe, die sich vor etwa einem Dreivierteljahr in Oberschwaben zusammentat. Freiwillig und ohne feste Honorare. Seither probten sie pro Monat ein Wochenende lang ihre „Bauernoper”. Also eine musikalische Revue zum Bauernkrieg 1524/1525. Erstmals veröffentlicht von hauptberuflichen Schauspieltrupps wie dem Landestheater Württemberg-Hohenzollern in Tübingen. Von diesem 1975 in die Festhalle Leutkirch gebracht.
Regie: Catriona Blanke
Heute, 50 Jahre später, am 31. Mai 2025, geht Regisseurin Catriona Blanke barfuß auf die Bühne. Freundlicher Empfangs-Applaus begrüßt die Musikerin und Theaterpädagogin. Sie lebt in Oberschwaben. Seit ihrem zehnten Lebensjahr träumte die heute 39-Jährige davon, einmal die Bauernoper in Szene setzen zu dürfen. Ihre Eltern waren mit den Verfassern der „Bauernoper“ von 1975 persönlich bekannt. Auch die kleine Catriona war den Theater-Schreibern damals begegnet.
Bevor das Schauspiel auf der Bühne beginnt, liest Catriona Blanke einen Brief von Yaak Karsunke vor. Von dem Berliner Schauspieler und Schriftsteller (* 1934) stammt sowohl der Text für die „Bauernoper” von 1975 als auch eine freundliche Antwort auf eine Post von Catriona Blanke. Die Regisseurin hatte ihn 2025 zur neu aufgeführten „Bauernoper” nach Oberschwaben eingeladen. Karsunke fühlte sich geehrt, wollte aber aus Altersgründen nicht mehr reisen. Am 13. Mai 2025 ist er gestorben. Respektvolles Seufzen im Publikum der Leutkircher-Festhalle am Samstagabend.
Zu den Liedern immer wieder Szenen. Und begleitend kurze Texte von Geschichts-Reporterinnen, die auf sich mit hohem (Wander-)Stab aufmerksam machen. So erfahren Besucherinnen und Besucher gleich zu Anfang, dass um 1525 rund zwölf Millionen Menschen in Deutschland lebten. Etwa 100.000 von ihnen kamen im Bauernkrieg um. Die meisten von ihnen jene aufständischen Landleute, die sich gegen schreiende Ungerechtigkeit erhoben hatten.
„Morgens die Wildsauen, mittags die Herren”
Und genau in solch eine Unterdrückungs-Szenerie führt der erste Aufzug auf der Bühne ein. Bäuerinnen und Bauern bringen mit harter Arbeit die Ernte ein. Mit knappen Erträgen. Schlimm, dass dabei auch noch ein Teil der Felder schon zertrampelt ist. Von der Jagd der adeligen Herrschaften. „Morgens die Wildsauen, mittags die Herren”, stöhnt einer der Bauern. Doch “wie das Korn wächst, wächst auch die Wut”.
Schon ab 1493 kommt es zu Erhebungen der Landbevölkerung. Und zu Versammlungen. Etwa bei Ansprachen von Personen, die sich auf die Maria, Mutter Gottes, berufen. Oder der Arme Konrad. Er sagt, sein Name stamme daher, dass er “koin Rat mehr woiß”. Doch eine Botschaft hat: die Abgaben und Zwangsdienste, die das Bauernvolk für seine adeligen Herrschaften leisten müssen, sind ungerecht. Die Bibel verkünde stattdessen Gottes Gerechtigkeit.
An Heiligabend 1524 treffen sich in Baltringen (bei Laupheim) Bauern in einem Wirtshaus. Beginn des Baltringer Haufens. Also einer Truppe aufständischer Bauern. Sie wollen sich die Unterdrückung von oben nicht mehr gefallen lassen. Im Frühjahr 1525 Streik der Frondienst-leistenden Bauern auf der Kronburg-Baustelle. Am 20. März 1525 beschließen versammelte Bauern in Memmingen die Zwölf Artikel. Diese Forderungen gelten heute als Vorläufer von Verfassungen wie der US-Unabhängigkeitserklärung (1776) oder der Französischen Revolution (ab 1789) – auch des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (1949).
„Wir wollen nicht mehr leibeigen sein”, verkünden die Bauern dort. Und: Am Samstagabend auf der Festhallen-Bühne gesungen. Sie möchten künftig ihre Dorfpfarrer selbst wählen. All diese geschichtlichen Fakten erzählt die „Bauernoper” am 31. Mai in der Festhalle Leutkirch klar und deutlich. Und sie stellt dar: Die aufständischen Bauern, die sich zu Zehntausenden zusammentaten, zeigten sich verhandlungsbereit. Auf ihrer Gegenseite der Schwäbische Bund. Also ein Zusammenschluss aus Adeligen, Kirchenoberen und Reichsstädten. Sie setzen auf Zeit, ziehen Verhandlungen mit den Bauern in die Länge. Schiedsgerichte sollen erst später entscheiden. Wie ernst das gemeint ist, zeigt sich am 4. April 1525 in Leipheim bei Ulm. Da greift Georg Truchsess von Waldburg als Heerführer des Schwäbischen Bundes die versammelten Bauern an. „4000 sind erschlagen worden – oder in die Donau getrieben”, sagt einer laut auf der Bauernoper-Bühne. Das Ganze gesagt und geschildert in auffällig guter Tonqualität im Saal. Dabei nur wenige Musik-Instrumente – vom Klavier über (Bass-)Gitarre bis zu Trommeln und Flöten. Den Chor der Bauernoper leitete Elena Igel. Am Klavier saß Berthold Igel. Kontrabass und Gitarre: Thomas Lorenz. Die Musik stammt von Peter Janssens.
Der „Bauernjörg”, wie Truchseß Georg von Waldburg genannt wird, kommt in der „Bauernoper” am Samstagabend als blutrünstiger Schlächter vor. (Geschichtswissenschaftler bezeichneten ihn vor Jahren bei einer Veranstaltung im Bock-Saal Leutkirch als „Monster”.) Manchmal wirkt der adelige Heerführer aber auch als geschickter Taktiker. „Es soll kein Blut fließen, wenn sich’s vermeiden lässt”, sagt der „Bauernjörg”-Schauspieler während der „Bauernoper” zu jenem 17. April 1525. Da standen etwa 7000 Mann unter von Waldburgs Befehl etwa 21.000 Bauern vom Bodensee bis zum Oberland entgegen. Auf des Truchsessen Wunsch kommt es da zum „Weingartner Vertrag”. Dort, wo gewalttätige Bauersleute ihm nicht folgen, zeigt die „Bauernoper”, dass sie von hochnäsigen Adelsherrschaften dazu provoziert worden seien (etwa am 16. April 1525 beim Spießrutenlauf der Adeligen in Weinsberg) oder Gewalt im Auftrag der Herrschaften ausgesetzt gewesen seien. Das Muster bleibt freilich: Die Gegner der Bauern geben sich fälschlicherweise verhandlungsbereit – und greifen die Landleute dann unerwartet militärisch an. So die „Bauernoper”.
„Wir haben zu wenig Pulver gehabt”
„Wir haben zu wenig Pulver gehabt für die Geschütze” – und zu wenig Pferde. So einer der Bauern-Schauspieler auf der Bühne. Und zu wenige oder falsche Partner. Etwa so manche Freie Reichsstadt. „Der Rat dieser Stadt, er weiß sich selber kein’ Rat”, singen sie am Samstagabend. Dass einer der Schauspieler dann fordert: „Der Rat dieser Stadt sollte aufgehängt werden”, geht beinahe unter. Ganz anders als bei der ersten Aufführung der „Bauernoper” durch das Landestheater Tübingen 1975. Da brandete auf diesen Aufruf vor allem unter jüngeren Leuten in den hinteren Festhallen-Rängen johlende Begeisterung aus. Der so entstandene „Skandal”, an den sich jetzt am Samstagabend Ende Mai 2025 eine Besucherin von 1975 erinnert, bleibt 2025 in der Festhalle aus. Allerdings: Immer wieder unterbricht das Publikum Ende Mai in der Festhalle mit lautem Applaus das Sing-Schauspiel.
Minutenlanger Schlussbeifall
Eher Betretenheit dann gegen Schluss, als von der Bühne berichtet wird, dass rund 100.000 Personen im Bauernkrieg umkamen. Die meisten erschlagen von den Heeren und Henkern der Herrschaften – oder in den Hunger getrieben danach – so die „Bauernoper” am Samstagabend. Kannte diese Zeit auch Gewinner? In markiger Kriegskleidung steht der Darsteller, der den „Bauernjörg” mimt, gegen Schluss an den Bühenrand. Dazu die Information: Am 3. November 1525 belohnte der Kaiser in Wien seinen Truchsessen von Waldburg für sein Gemetzel gegen die Bauern mit dem Lehen der Herrschaft Zeil. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute”, meint der Schauspieler dazu verschmitzt lächelnd. Da scheint ihm lang anhaltender Applaus fast sicher. Umso mehr, als alle auf der Bühne zum Schluss laut verkünden: „Es können die Unterdrückten sich nur selbst und gemeinsam befreien.”
Standing ovations. Minutenlanger Beifall vom aufgestandenen Publikum im Saal. Den hatte die Stadtverwaltung Leutkirch für die Bauernoper 2025 mietfrei bereitgestellt, erwähnt Regisseurin Catriona Blanke herzlich dankend.
Am 6. Juni in Wolfegg
Weiter geht’s am 6. Juni in der Alten Pfarr in Wolfegg und am 7. Juni im Maximilian-Kolbe-Haus Memmingen. Es gibt noch Karten.
Text und Fotos: Julian Aicher
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In “Blix” ein Interview zum “Bauernjörg”
Georg III. Truchseß von Waldburg, genannt “Der Bauernjörg”, war eine komplexe Persönlichkeit, die zu erfassen sich Historiker und Literaten bemühten und bemühen. In der aktuellen Ausgabe des Oberschwaben-Magazins “Blix” (mit dem die Bildschirmzeitung zusammenarbeitet) ist ein Interview enthalten, das Blix-Chefredakteur Dr. Roland Reck mit Michael Tassilo Wild, dem Stadtarchivar von Bad Waldsee / Bad Wurzach, geführt hat (Juni-Ausgabe 2025, Seiten 42 / 43). Darin zeichnet Wild ein differenziertes Bild des Feldherrn, der durchaus auch verhandlungsorientiert gewesen sei. Zur Schlacht bei Wurzach am Karfreitag des Jahres 1525 sagt Wild in dem Interview: “Sieht man sich die Schlacht bei Wurzach an, so passiert etwas Bemerkenswertes: Nach anfänglichem Artilleriebeschuss flohen die Bauern und Georg III. hielt Infanterie und Reiterei zurück, er ließ die Fliehenden also nicht verfolgen.” Das Diktum von Martin Walser, der in “Seelenarbeit”, herausgekommen 1979, von Georg III. als der “Waldburger Blutsau” spricht, weist Wild als “unhistorisch” zurück. Weitere literarische Annäherungen an den “Bauernjörg” finden sich in Maria Müller-Göglers “Truchsessin” und Wilhelm Hauffs “Lichtenstein”. Grundlegende geschichtswissenschaftliche Darlegungen sind dem bedeutenden Regionalhistoriker Prof. Peter Blickle zu verdanken, der sich in seinem fast 600 Seiten umfassenden Werk “Der Bauernjörg – Feldherr im Bauernkrieg” intensiv mit der Person des Georg III. von Waldburg und seiner Zeit auseinandersetzt. (rei)