Ein Bürgerhaus mit Vielfachnutzen

Der „Löwen”: der Mittelpunkt von Kißlegg. Nicht allein auf dem Ortsplan – derzeit auch in der Kommunalpolitik. Das historische Anwesen wird saniert. Das kostet Geld. Dazu bat die Bildschirmzeitung (DBSZ) „Der Kisslegger“ Bürgermeister Dieter Krattenmacher um noch genauere Informationen. Also um Sachangaben aus erster Quelle. Detalliert hat Herr Krattenmacher die Entwicklung des „Löwen“ im vergangenen Jahrzehnt und das projektierte Nutzungskonzept dargestellt. Die Fragen stellte DBSZ-Reporter Julian Aicher:
DBSZ: Herr Bürgermeister! In der letzten Gemeinderatssitzung am 14. Mai sagten Sie, für den „Löwen” sei heute so viel Aufwand zu betreiben, weil das „Löwen”-Areal während der vergangenen Jahrzehnte nicht richtig erhalten worden sei. Können Sie das für die Leserschaft der Bildschirmzeitung etwas genauer erläutern?
Bürgermeister Dieter Krattenmacher: Bis um das Jahr 2013 wurde der „Löwen” noch bewirtschaftet: Schwäbische Küche und viele Vereinsversammlungen. Als das Pächterehepaar dann Kißlegg verließ, wurden von einem neuen Pächter nur noch die Gästezimmer genutzt. Erst noch für Reisende/Urlauber und dann als Wohnheim für Angestellte. 2015 war dann Schluss. Der Eigentümer erkrankte schwer, Zahlungen aus seinem Einkommen und der Pacht blieben aus. Die aufgelaufenen Schulden führten schließlich zur Zwangsversteigerung. Der Gemeinderat beriet, was zu tun sei. Schließlich steht der “Löwen” an einer besonders präsenten Stelle im Ortszentrum. Zuerst wurden Investoren gesucht. Allerdings leider erfolglos.
Gründe für die erfolglose Suche waren fehlende Entwicklungsflächen, weil zuvor immer wieder Grundstücksteile wegverkauft worden sind, belastete Grundbücher und natürlich Risiken beim Sanierungsaufwand des denkmalgeschützten Gebäudes und Genehmigungsfragen.
DBSZ: Was entwickelte sich seither daraus?
Dieter Krattenmacher: Die damals anrollende Flüchtlingswelle und mehrere schlechte Erfahrungen mit Zwangsversteigerungen (Gemeinde erst überbieten, Haus an „schwieriges Klientel“ vermieten und verkommen lassen und schließlich wegen dem zunehmenden Unmut in der Bevölkerung überteuert der Gemeinde antragen / „doppelt Kasse machen“) haben dann dazu geführt, dass die Gemeinde mit den Gläubigern verhandelte, die Grundbücher bereinigte und schließlich das Gebäude zu einem symbolischen Preis erwarb. Klar war damals schon, dass das „Löwen”-Gebäude weder als Wohn- noch als Gaststättengebäude entwickelt werden kann. Die Gaststättenerlaubnis war durch den mehrjährigen Leerstand verfallen, eine Neugenehmigung schon aufgrund der fehlenden Parkplätze und zahlreicher anderer entgegenstehender Vorschriften aussichtslos. Die Idee einer sozialen Nutzung wurde 2015 geboren.
DBSZ: Von der Idee zum Tun. Von Wünschen zur Wirklichkeit. Was bedeutete damals, ab 2015, „soziale Nutzung“?
Krattenmacher: Eine Gruppe aktiver Ehrenamtlicher hat 2015 Räume für eine „Kleiderkammer“ gesucht. Dies sollte Geflüchteten, aber auch Bedürftigen dienen. Außerdem wurden Schulungsräume für Integrationskurse erforderlich. Die Idee einer ehrenamtlich geführten Kleiderkammer hatte übrigens bereits 2013/14 der damalige evangelische Pfarrer. Ein weiterer Punkt war, dass parallel zur beginnenden Flüchtlingskrise auch die Zahl obdachloser Menschen aus der Gemeinde stieg. Die ehemaligen und möblierten Gästezimmer boten sich hier mit integrierter Dusche und WC an und versprachen für eine begrenzte Zeit etwas mehr Komfort als die damals errichteten Wohncontainer. Außerdem waren beziehungsweise sind unter den Obdachlosen auch ältere Kißleggerinnen und Kißlegger.
DBSZ: Also ein Nutzungskonzept, das sich mit der Zeit bewährte.
Krattenmacher: Genau. Über die Jahre etablierten sich beide Nutzungen im Löwen. Aus der Kleiderkammer wurde der bis heute florierende und aus der sozialen Arbeit in Kißlegg nicht mehr wegzudenkende „Kleiderladen“ – heute im Radio Weiland. Und die ehemaligen Gästezimmer boten zunehmend auch geflüchteten Menschen mit guten Integrationserfolgen eine vorübergehende Heimat. Vor allem aber war der Beweis über die Jahre erbracht worden, dass ein soziales Konzept hier funktioniert.
DBSZ: Was hat sich seither geändert?
Krattenmacher: In den letzten Jahren kamen noch drei weitere Entwicklungen – nicht nur in Kißlegg – dazu:
I. Der demographische Wandel (Alterung) mit all seinen gesellschaftlichen Folgen, die immer mehr spürbar werden
II. Die Konzentration der beiden Kißlegger Hospitäler auf die Altenpflege. Zugleich ging die Fürsorgearbeit für ältere und/oder ärmere Menschen der Gemeinde, die dort früher oft noch eine Heimat fanden, zurück. 2019 schloss dann noch Bärenweiler seine Pforten …
III. Die veränderte Kommunikation (digitale Medien) und der Verlust von Treffpunkten und Corona, der zunehmend zur Vereinsamung von Menschen führt.
DBSZ: Das soziale Konzept für das „Löwen”-Anwesen bewährte sich also schon mal. Welche Gründe sind dafür maßgeblich? Wie erweiterte sich die Idee zum „Löwen” als soziales Zentrum von Kißlegg?
Krattenmacher: Der „Löwen“ steht an einem sehr zentralen Ort der Gemeinde. Er hält die Kißlegger nicht auf Distanz wie das Neue Schloss, sondern hier gingen Generationen selbstverständlich ein und aus. Der gegebene rechtliche Rahmen ist eng und lässt wenige Nutzungsformen zu. Und: das eingesetzte viele Geld für die Rettung kann eigentlich nur in einer Nutzung für möglichst viele Menschen der Gemeinde seine Rechtfertigung finden.
DBSZ: Wie sieht das Konzept im „Bürgerhaus Löwen“ aus?
Krattenmacher: Unser Konzept hat mehrere Aspekte:
a) Das Gebäude soll seine positive stadtbildprägende, ja dominierende Funktion wieder erhalten. Abends soll dort wieder Licht brennen und Leben sein, was bei vielen anderen Häusern in unserer zentralen Herrenstraße leider nicht mehr der Fall ist.
b) Im Erdgeschoss wird der gemütliche und praktische Gaststättenraum für vielerlei Veranstaltungen zentral zur Verfügung stehen.
c) Im Erdgeschoss werden auch die Büros für die vom Verein „Bürger für Bürger“ getragene Nachbarschaftshilfe und die „Herz und Gemüt-Bedienstete“ eingerichtet. Zudem ist angedacht, den Verein „Bürger für Bürger“ beim ehrenamtlichen Betrieb der Gemeinschaftsräume einzubinden. Es soll also „der zentrale Anlaufpunkt“ für viele soziale Angebote und Beratungen in der Gemeinde werden.
d) Die Toiletten im Erdgeschoss dienen nicht nur den Nutzungen dort, sondern sind auch von außen zugänglich. So kann die Toilettensituation für Veranstaltungen rund um den Marktplatz und das Schloss verbessert werden.
e) Im 1. Obergeschoss werden sechs Appartements eingebaut. Hier kann die Gemeinde bedürftigen Bürgerinnen und Bürgern eine bescheidene, aber würdige Unterkunft geben. Vorgesehen ist zudem, dass die künftigen Bewohner für Aufgaben im Haus oder der Gemeinde eingebunden werden, halt soweit es die Gesundheit und die Kräfte zulassen. Gerade das Thema „Würde“ umfasst auch das „Eingebunden bleiben in die Gemeinde“.
f) Das Dachgeschoss bekommt keine weitergehenden Nutzungen und bleibt ein sichtbares Zeichen handwerklichen Könnens in der Barockzeit und heute.
DBSZ: Der Gemeinderat besuchte vergangen Mittwoch, 21. Mai, die „Löwen”-Baustelle. Dabei erklärte Architekt Wolff Christian Stottele aus Ravensburg, die Schäden am Fachwerk lägen auffällig stark an Spritzwasser von durchfahrenden LKWs. Könnte es sein, dass der LKW-Verkehr in Kißlegg irgendwann die nächsten Jahre abnimmt?
Krattenmacher: Dazu folgende Aussichten: Der „Löwen“ wurde in der Schloss- und Herrenstraße von zwei Seiten in die Zange des Verkehrs genommen. Unser Ziel ist es, die Südseite (Herrenstraße) verkehrlich zu beruhigen. Hierfür bedarf es des Baus der Südspange, so dass zwischen Bürgerhaus „Löwen“ und dem „Adler“ (und Alten Schloss) kein Schwerverkehr mehr fahren muss und die Autos langsamer fahren müssen. Aber das ist eine andere Geschichte und wird ihre Wirkung erst entfalten, wenn’s beim „Adler“ eine Lösung gibt.
DBSZ: Wer Ihnen zuhört und liest, was Sie zum „Löwen” sagen, merkt bald: Da steckt viel Herzblut und Kraft von Ihnen drin. Was wäre heute Ihr letzter Hinweis dazu hier?
Krattenmacher: Mein ganz persönliches Ziel ist es, nicht nur den „Löwen”, sondern auch die Herrenstraße wieder Meter für Meter für Fußgänger und Radfahrer zurückzuholen und den ältesten und historisch gesehen zentralsten Teil des Fleckens wieder erlebbarer zu machen.
Herr Bürgermeister, wir bedanken uns für Ihre ausführliche Schilderung.
Die Fragen stellte der Gemeinderatsberichterstatter der Bildschirmzeitung Julian Aicher.
