„Die Gemeinde sieht derzeit kein Erfordernis an einem Biosphärengebiet”
Kißlegg – „Wir sollten heute die Türe nicht endgültig zuschlagen”. Denn: „Wir wissen nicht, was kommt.” So Bürgermeister Dieter Krattenmacher am Mittwochabend (12.3.) bei der Gemeinderatssitzung im Esther-Saal des Neuen Schlosses. Thema: das geplante „Biosphärengebiet”. Andererseits gelte es, die aktuellen Einschätzungen der anwesenden Ratsmitglieder zu äußern. Und diese folgten – bis auf eine Gegenstimme – alle dem Vorschlag der Rathausverwaltung: „Die Gemeinde sieht derzeit kein Erfordernis, an einem Biosphärengebiet nach § 25 BNAtSchG teilzunehmen.” (BNatSCHG = Bundesnaturschutzgesetz).
„Die CDU-Fraktion war von Anfang an skeptisch”, erklärte deren Vorsitzender Christoph Dürr. Den Ratsmitgliedern seien seit Jahren von Seiten der Biosphären-Verfechter Karten versprochen worden, wo was wie in Sachen Biosphärengebiet stattfinden soll. Diesem Versprechen „kommen Sie heute nach”, bestätigte Dürr den Bürgermeister. Vorschriften wie diejenigen, die er wegen eines Biosphärengebiets befürchte, würden die Ortspolitik “immer wieder Konflikten entgegen” bringen. Beispiel: Windkraft. Dürr: „Diesen zu erwartenden Einschränkungen wollen wir nicht ausgeliefert sein.”
Das bedeute nicht, das die die Unionsfraktion in Kißlegg grundsätzlich gegen ähnliche Gebiete eintrete. Zum Beispiel am Wattenmeer. Mit diesen sei das württembergische Allgäu aber nicht vergleichbar. Die Unionsleute im Rat würden deshalb dem Verwaltungsvorschlag folgen: „Derzeit kein Erfordernis”.
André Radke von den Freien Wählern bemerkte: „Alle Menschen sprechen von Bürokratieabbau.” Daher wundere er sich nicht, wenn er in der Bevölkerung überwiegend Ablehnung zum Biosphärenreservat spüre. Denn dieses Vorhaben biete „nicht das passende Modell für Kißlegg”. Insofern würden die Freien Wähler das „Biosphärengebiet” jetzt als “nicht zustimmungsfähig” betrachten.
“Weit mehr als Naturschutz”
Meike Sontheim (Grüne)hielt dagegen. Wo bleibe das Positive? „Wo ist die Sicht auf die Potenziale?”. Schließlich gehe es beim Biosphärengebiet um weit mehr als um Naturschutz. Gefördert werden sollten nämlich auch Wirtschaft und Tourismus. Sie fände es „sehr schade”, wenn diese Vorteile unbeachtet bleiben. Besser: Einen Biosphären-Praktiker aus dem Schwarzwald einladen. Der könne sehr nachvollziehbar schildern, was das Biosphärengebiet an Vorteilen bedeute. Diese Einladung bezeichnete Bürgermeister Krattenmacher als möglich.
Michael Fick (CDU) hielt dagegen. Der Waldburg-Zeil‘sche Förster fragte: „Wieso gibt es seit drei Jahren einen „Prozess'” zur Planung des Ganzen „und die Gemeinderäte werden nicht informiert.” Großes Lob spendete Fick dem Rathaus Kißlegg. Dieses habe mit seinem Vorlage-Text zur Sitzung am 12. März deutlich „die rechtlichen Grundlagen” erläutert. Und diese lägen im Bundesnaturschutzgesetz. Während der vielen Gespräche und Treffen für das Biosphärengebiet sei Fick aufgefallen: Etwa Regierungspräsident Klaus Tappeser sei sich nicht im Klaren darüber gewesen sei, dass eben das Bundesnaturschutzgesetz als Grundlage der Planungen diene. Die entsprechen Landkarten als Planungsgrundlagen jahrelang nicht zu veröffentlichen, „das stiftet kein Vertrauen”.
„Wir kommen unter Druck“
Fick betonte, seine „Allianz für Allgäu-Oberschwaben” sei in „allen Arbeitskreisen” zur Biosphären”Vorplanung dabei gewesen. Ergebnis: Alles, was dort angestrebt werde, „kann man ohne Biosphärengebiet machen.” Zum Beispiel eine „Klimaschutz-Musterrregion”. Fick: „Wir kommen freiwillig in einen Druck rein, den wir nicht brauchen”, wenn das „Biosphärengebiet” beschlossen werde. Das heiße dann konkret: „Die Kompetenzen gehen weg aus der Region”. Der “untere Naturschutz” werde dann nicht mehr im Landratsamt Ravensburg, sondern beim Regierungspräsidium Tübingen verwaltet. Für Michael Fick steht daher fest: „Der beste Weg ist: nicht das Biosphärengebiet”.
Bernhard Klein (Die Grünen): Landwirtschaft wird einbezogen
Gegenrede. Ficks und Krattenmachers Angriffe auf die bisherigen Biosphären-Vorhaben wollte Gemeinderat Bernhard Klein (Grüne) „ein bißchen anders darstellen”. Wer etwa behaupte, die Landwirtschaft leide dann unter den Biosphären-Bestimmungen, solle doch bedenken, dass für die “Biosphäre” mehrere Fachleute arbeiten würden. Klein: „Da wird bestimmt jemand dabei sein, der sich um die Landwirtschaft kümmert.” So weise die Biosphären-Gegend im Schwarzwald 13 Planstellen aus, die auf der Schwäbischen Alb 23. Sprich: Die „Biosphäre” bringe “neue Arbeitsplätze”. Die Kosten der Gemeinden für die „Biosphäre” ließen sich durch Landes-Zuschüsse anfangs „auf Null stellen”. Bernhard Klein bezweifelte, ob künftig Wegebeleuchtungen im Arisrieder Moos verboten werden sollten. „Es ist immer eine Frage, wer was bestätigt”, gab der Grüne zu bedenken. So wirke die Sitzungsvorlage für die Ratssitzung (am 12.3.) aus der Verwaltung „ein bißchen überspitzt”. Bürgermeister Krattenmacher hielt dagegen: „Das ist die Karte genau so, wie sie die Gemeinde Kißlegg bekommen hat.” „Ein wichtiger Punkt ist die Frage der Zeit”, betonte Bernhard Klein. Die Biosphären-Befürworter „stehen kurz vor dem Abschluss”. Bis Ende März soll viel veröffentlicht werden. Unter den Befürwortern seien Leute wie Franz Hiemer. Der habe sich für die Wieder-Errichtung der Bahnstrecke Isny – Leutkirch stark gemacht.
„Da muss ich jetzt schon was sagen”, hakte Bürgermeister Krattenmacher erkennbar lauter ein: „Das Biosphärengebiet ist nicht die Wundertüte, die alle Probleme löst.” Als aktiver Bahn-Befürworter müsse er daran erinnern, dass Schienenausbauten nach dem Landesverkehrsgesetz geregelt seien. „Wo sollen denn aus dem Biosphärengebiet die Millionen kommen, die eine Bahnlinie zwischen Isny und Leutkirch ermöglichen?” Wenn es dafür ums Geld gehe, stehe „die Nacht der langen Messer” erst noch bevor. Anderes zu behaupten, sei „doch Augenwischerei”.
Sowohl Klein als auch Krattenmacher baten um Verständnis dafür, dass sie da „etwas emotional” geworden seien. Um 19.05 Uhr fand das belebte Streitgespräch der beiden sein einstweiliges Ende. Denn, so Klein: „Ich möchte um 19.05 Uhr den Zug erreichen.” Sagte es – und verließ eilend den Saal.
„Die Grundstückseigentümer stehen nicht allein“
Millionen für neue Bahnausbauten dank Biosphärengebiet”? „Es geht um 200.000 Euro” – pro Jahr. So bezifferte Biosphären-Kritiker Fick die Kassenlage für das Vorhaben „Biosphärengebiet”. Umso weniger wunderte sich Fick darüber, dass die Industrie- und Handelskammer (IHK) Oberschwaben sich im Oktober 2024 gegen die Biosphären-Pläne ausgesprochen habe. (https://www.ihk.de/blueprint/servlet/resource/blob/6287694/5694841bd283c5e1e67adbd38e70400e/ihk-analyse-bsg-ao-data.pdf) Dies „von der Presse nicht veröffentlicht”. Was nach Ficks Formulierung wirtschaftlich unsinnig sei, erweise sich bestenfalls als Ansammlung von „Trophäen für Politiker”. Mit Blick auf die IHK betonte Fick: „Da stehen die Grundeigentümer nicht alleine.”
„Ich sehe keinen Bedarf“
Landwirt und Ratsmitglied Albert Schwarz bestätigte seinen CDU-Fraktionskollegen Michael Fick: „Wenn man immer geknebelt wird, verliert man irgendwann die Lust auf seine Arbeit.” Wer die bäuerliche Welt nicht zerstören wolle, solle für „möglichst wenig Bürokratismus” sorgen. Zur „Biosphäre” meinte Schwarz: “Ich sehe keinen Bedarf.”
Da schien Schwarz die Einschätzung der Mehrheit im Gemeinderat auszudrücken. Bis auf eine Gegenstimme hoben alle die Hand zum “Ja” für die Zeilen aus der Verwaltung: Derzeit „kein Erfordernis” am „Biosphärengebiet” teilzunehmen. Stattdessen sei der „bewährte Naturschutz” in Kißlegg zu stärken. Auffällig kurz nach diesem Beschluss verließ Meike Sontheim (Grüne) den Saal. Sie hatte gegen den Beschluss gestimmt.
Julian Aicher
Unter Downloads finden Sie die Sitzungsvorlage – so wie sie im Bürgerinformationssystem hinterlegt ist (dort waren bis 13.3. keine Karten enthalten). Den Gemeinderäten wurde Karten vorgelegt (auf Seite 3 der Sitzungsvorlage heißt es: “Inzwischen sind die vom Regierungspräsidium Tübingen angefertigten Planentwürfe mit der Zonierung bei der Gemeinde eingegangen. Sie sind als Anlage beigefügt”.).