Partnerschaftsverein gedachte der verstorbenen Internierten und Kriegsgefangenen

Bad Wurzach – Am 28. April 1945 wurden die Internierten aus Jersey von französischen Truppen befreit. Das damalige Geschehen nahmen Partnerschaftsverein und Stadt zum Anlass, mit einer Gedenkfeier auf dem Friedhof der hier verstorbenen Internierten, Kriegsgefangenen und ehemaligen KZ-Insassen zu gedenken.
Die Feierstunde bei der Aussegnungshalle am Mahnmal für die in den beiden Weltkriegen gefallenen und vermissten Wurzacher eröffneten die Alphornbläser aus Albers mit einem Musikstück.

Ulrika Stützle, die Vorsitzende des Partnerschaftsvereines Bad Wurzach, erinnerte in ihrer Begrüßung auch daran, dass dieser 28. April 1945 nicht nur für die Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch für die Stadt selbst eine Befreiung war. „Hier sollen am heutigen Tag Menschen im Mittelpunkt des Gedenkens stehen, die ein trauriges Schicksal in den Kriegsjahren zu uns nach Wurzach geführt hat, Menschen aus unterschiedlichen Ländern, die ihre letzte Ruhestätte auf unserem Friedhof gefunden haben.“ Dies seien neben den Internierten, Zwangsarbeiter und während der Kriegswirren Verschleppte. „Das Gedenken an sie muss uns Verpflichtung und Aufgabe sein.“
Bürgermeisterin Alexandra Scherer setzte die Greuel des Zweiten Weltkrieges bis zum 8. Mai 1945 in einen gesamtpolitischen Kontext. Bei der unfassbaren, barbarischen Verfolgung durch die Nazis fand Zweidrittel aller europäischen Juden den Tod. Aber auch Deutschland habe viel gelitten, in fast jeder Familie gab es Gefallene, in Kriegsgefangenschaft Geratene und Vermisste. Der Krieg brachte Zerstörung zu fast der gesamten Menschheit. Deswegen sei der 28. April für die Stadt ein froher Tag für Wurzach, auch wenn der Einzug der französischen Truppen noch Tod und Zerstörung gebracht hatte. Diese Zeit hat die Stadt für immer geprägt. „Versöhnung ist und war nicht selbstverständlich.“ Sie sei entstanden aus Bekanntschaften und persönlichem Einsatz. Von Menschen, die sich kennengelernt hatten und sich schätzten.
Sechs Schüler der Realschulklasse 10c hatten gemeinsam mit ihrer Klassenlehrerin Julia Zieris und ihrem Geschichtelehrer Tobias Ernst Zitate aus der Eröffnungsrede von Victor Hugo beim Pariser Friedenskongress 1849 vorbereitet. Mara Koerver, Carolin Ross, Misa Nur Tastan, Franziska Tanner, Sudenaz Kurtulus und Yaruz Diz lasen Zitate (mit aktuellen Anmerkungen) aus der Rede des Schriftstellers und Politikers, der Romantik, und der fast 20 Jahre im Exil auf Jersey und Guernsey verbrachte. Sie ist gerade heute, 175 Jahre nachdem sie gehalten wurde, aktueller denn je. Die Zitate wurden an die aktuellen Gegebenheiten angepasst.
„Ein Tag wird kommen, an dem ein Krieg zwischen Paris und London, zwischen Moskau und Kiew, zwischen Israel und Palästina ebenso absurd schiene wie zwischen Berlin und München, zwischen Boston und Philadelphia.“ „Ein Tag wird kommen, an dem die Kugeln und Bomben durch Stimmzettel ersetzt werden, durch das allgemeine Wahlrecht der Völker, durch die Entscheidungen eines großen souveränen Parlamentes, das für Europa das sein wird, was der Bundestag für Deutschland und die Nationalversammlung für Frankreich ist.“
„Nehmen Sie also an, dass die Völker Europas, anstatt sich gegenseitig zu misstrauen, sich gegenseitig zu beneiden, sich zu hassen, sich geliebt hätten. Nehmen Sie an, sie hätten sich gesagt, dass bevor man Franzose oder Engländer oder Deutscher ist, man Mensch ist, und dass, wenn die Nationen Heimat bedeuten, die Menschheit eine Familie ist.“
Gisela Rothenhäusler, die sich seit vielen Jahren als Historikerin und als Vorsitzende des Jersey-Kommitee´s des Partnerschaftsvereines intensiv mit dem Thema Internierung und Kriegsende befasst, ließ in Ihrem Redebeitrag bei der Feierstunde verschiedene Zeitzeugen jener dramatischen Tage im April zu Wort kommen. Sie zitierte einen nicht namentlich Genannten aus dem Pfarrarchiv. Dieser nannte den Jahresbeginn „wenig hoffnungsvoll“. Kinder spielten im Wehrertüchtigungslager Soldat. Wurzach sei durch die Einberufung älterer Jahrgänge zum Volkssturm „Etappe“ geworden. Im April würden Bauern auf dem Felde von Flugzeugen aus bei der Feldarbeit angegriffen. Die eigene Armee befinde sich in Auflösung. Am Sonntag, den 22. April, tauchte Gauleiter Wilhelm Murr auf der Flucht in Wurzach auf.
Dazu ein Bericht aus der Chronik des Gottesberges: Am Sonntag mittags 12 Uhr standen ein Leutnant der Wehrmacht und ein Offizier der SS vor der Pforte und beschlagnahmten einen Teil der Räume für den Gauführungsstab. Murr war jedoch bereits wieder abgereist, als sein Stab auf dem Gottesberg Quartier bezog. Während oben der Leitungsstab alles Material wie Stempel, Kartothek und Papiere vernichtet wurden, saß unten im Luftschutzkeller ein Teil der Wurzacher Bevölkerung teilweise Tag und Nacht. „Oft waren Hunderte von Leuten anwesend. Vom Kleinkind angefangen bis zu alten Leuten.“ Erst am nächsten Abend zog der Gauführerstab weiter.
Ein größeres Zitat von Rothenhäusler stammte aus einem Bericht, der anlässlich des ersten großen Besuchs aus Jersey im Jahre 1970 verfasst wurde. Zunächst befasste sich Der Verfasser mit dem Bau von Panzersperren in der Stadt und den Aktivitäten des Volkssturms, der sich ziemlich einig war, die Stadt nicht zu verteidigen. Einige dieser Männer reagierten, rasch, als sie feststellten, dass Mitglieder der Organisation Werwolf (und Wurzacher Bürger!) das Schloss mit den Internierten in die Luft jagen wollten.
Auf dem Bahnhof war viel Heeresgut gestrandet, „Holz, Wolle, Fleisch und Wurst in Dosen,“ das nicht weitertransportiert werden konnte. „Mit Genehmigung der Stadtverwaltung durften die Wurzacher die Sachen holen, um sie nicht dem Feind in die Hände fallen zu lassen. In dem Bericht kam auch ein „Todesmarsch politischer Gefangener“ zur Sprache. Einige Opfer dieses Todesmarsches seien auf dem Gemeindegebiet von Bad Wurzach nachweisbar. Auch diesen wurde im Rahmen der Gedenkfeier gedacht
Einer kleinen Gruppe von KZ-Häftlingen gelang am 23. April beim Schwarzen Kreuz die Flucht nach Ziegelbach, wo sie von der Bäckerfamilie Knecht im Heustock versteckt wurde. Pikant dabei: Tags darauf quartierte sich eine Abteilung der Waffen SS in eben diesem Haus der Knechts ein. Alle im Haus versetzte dies in Angst und Schrecken. Der Sohn eines dieser geflüchteten KZ-Häftlinge berichtete, wie sein Vater angesichts der anrückenden französischen Panzer rasch reagiert hatte: In seiner KZ-Uniform war er gemeinsam mit einem weiteren Häftling aus Belgien mit weißem Tuch hinausgetreten und hatte „Vive la France“ gerufen. Als ein Panzersoldat das hörte, rief er zurück: „Willst Du einen haben?“ „Von Was?“ „Vom Käse, Dummkopf!“ Da erst erkannte er, dass dort auf dem Panzer viel Käse lag. Als am 8. Mai der Krieg tatsächlich zu Ende war, war der Vater schon wieder in Luxemburg bei seiner Familie. Die Freundschaft zur Familie Knecht habe sein Leben lang gehalten.
Andreas Forderer hatte die dramatischen Ereignisse vor dem 28. April zwischen Haidgau und Ziegelbach aufgearbeitet. Als am 26. April das Kampfkommando CC1 der 1. Panzerdivision der französischen Armee beim Bahnhof Haidgau unter Beschuss geriet , zog es sich nach Waldsee zurück, wobei in Haidgau deutsche Soldaten gefangen wurden. Am folgenden Tag wiederholte sich der Angriff und durch den Beschuss wurden auf der Haid Höfe schwer beschädigt und auch Menschen kamen zu schaden. Am Bahnhof Haidgau wurden elf junge Soldaten und eine Wurzacherin, die bei ihrer Schwester zu Besuch war, erschossen. Aufgrund von weiterem Widerstand wurden auch in Ziegelbach viele Häuser per Panzerbeschuss beschädigt.
Aus der Rosengarten Chronik, den chronologischen Notizen von 1945 geht hervor, dass am 26. April die Schwestern das Krankenhaus im Spital evakuieren mussten und mit ihren Patienten ins Kloster umziehen mussten, sodass für eine Woche rund 180 Personen dort unterkamen. Sie vermelden auch, dass in diesen Tagen des Schreckens zwei Kinder geboren und getauft wurden und eine Schwester zu Grabe getragen wurde. Nachdem am 28. April die letzten deutschen Soldaten morgens die Stadt verließen und um die Mittagszeit die alliierten Panzer vor der Stadt standen, wurde die Stadt durch Hissen der weißen Flagge übergeben.
„Nach der Übergabe der Stadt zogen von Dietmanns und Ziegelbach her stundenlang unzählige Panzer und Lastwagen in die Stadt ein und zum Teil durch nach Leutkirch.“ Die Schwestern dankten Gott, dass sie im Anblick dieser feindlichen Übermacht so wunderbar vor Vernichtung und Flammen gerettet wurden.
Ein Internierter berichtete, wie er diese Stunden erlebte. „Amerikanische Panzer (mit französischer Besatzung) rumpelten durch die Stadt, begleitet von Infanteriesoldaten in Einerkolonnen auf den Gehwegen.“ Der Chronist bemerkte die große Anspannung der Kampftruppen. „Ich hatte den Eindruck, dass eine herunterfallende Geldmünze mit einem Kugelhagel beantwortet würde.“
Einer der „Schlossbewohner“, Irvin van Gelders, berichtete in seinen Erinnerungen, dass der Lagerkommandant der Internierten, Captain Ray, gemeinsam mit anderen Männern, den Union Jack in der Hand, den Befreiern entgegen ging. Denn diese hatten keine Ahnung, dass das Schloss von Internierten bewohnt wurde. Und das im Schlosshof aufgemalte PoW (Prisoner of War, Kriegsgefangene) hatte den marokkanischen Hilfstruppen nichts gesagt. Durch diese mutige Aktion des Captain Ray hat er sehr wahrscheinlich vielen Internierten das Leben gerettet. Denn die französischen Truppen hatten wohl den Befehl gehabt, beim geringsten Widerstand das größte Gebäude der Stadt, nämlich das Schloss zu beschießen…
Gisela Rothenhäusler zitierte während der Feierstunde auch aus dem Tagebuch der Joan Coles zu diesem 28. April: „Befreit! Befreit! Befreit! Der Anblick des ersten Panzer wird immer fest in meinem Gedächtnis verankert bleiben.“
Eine weitere dramatische Geschichte war, dass die Wachmannschaft des Lagers beim Rathaus erschossen hätte werden sollen, weil sie von den Soldaten für SS-Leute gehalten wurden. Erst herbeigeeilte Internierte konnten glaubhaft bestätigen, dass es sich um Polizisten handelte, die sie immer anständig behandelt hatten. Einer der französischen Soldaten hatte ein Marschtagebuch geführt: „Sie sind unsere Befreier“ hatte ein Geistlicher den Soldaten gegenüber geäussert, und damit die feindselige Eistellung der Zivilbevölkerung gegenüber der SS untermauert, die auch nach der Befreiung der Internierten bestätigt wurde.
Einige Aussagen von Wurzacherinnen und Wurzachern zur Einquartierung der Marokkaner forderten ein Schmunzeln bei den Gästen der Feierstunde heraus: Da musste das Geflügel dran Glauben. Immer wieder fiel ein Schuss und kurz darauf brutzelten schon die Hühner in der Pfanne. Oder: „So jetzt sieht man auch mal was vom Kindheit Jesu Verein.“ „Die braucht man nicht zu fürchten, die sehen ja aus wie unsere Krippenfiguren.“ Denn die Kinder wurden von den Schwarzen sehr geliebt und bekamen Südfrüchte, Schokolade und Bonbons von ihnen.
Es zeigte sich große Erleichterung über den gewaltlosen Einmarsch der französischen Truppen, aber auch das Bewusstsein, dass man dem ersten Stadtkommandanten, der zuvor stellvertretender Lagerleiter der Internierten gewesen war, es zu verdanken hatte, dass es wehr wenige Übergriffe der Besatzer gegenüber der Zivilbevölkerung gab. „Viele Jahre noch wurde von diese Zeit vom „Umsturz“ gesprochen, die Worte Niederlage oder Befreiung wurden lange nicht verwendet, berichtete Rothenhäusler weiter. „Bis heute gibt es Empfindlichkeiten , wenn es darum geht, sich einzugestehen dass Opa, Großonkel oder -tante in der NSDAP aktiv gewesen ist.“ Dabei wäre doch gerade jetzt die Gelegenheit groß, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen und Fragen zu stellen. Die meisten von uns, die nach 1945 geboren sind, seien dankbar, dass Deutschland damals von einem totalitären System befreit wurde und wir in Frieden und Freiheit leben dürften. „Ehemalige Kriegsgegner sind mittlerweile Freunde geworden, wie wir es mit unseren Partnerstädten erleben.“
In der Folge wurden die Grußworte der Bürgermeister der Partnerstädte verlesen.
Simon Crowcroft, der Constable of St. Helier, erinnerte in seinem Grußwort an die Gedenkfeiern die anlässlich der Befreiung jeweils am 28. April im Erinnerungsgarten der Jersey War Tunnels zusammenkommen, um der Menschen zu gedenken die drei Jahre im Wurzacher Schloss interniert waren. Am diesjährigen Gedenktag sprachen einige ehemalige Internierte über diese Zeit und die Belastungen für ihre Eltern, die diese Zeit mit sich brachte. „Alle betonten die Notwendigkeit von Frieden und Versöhnung im heutigen Europa und die besondere Bedeutung der Partnerschaft, die sich zwischen unseren beiden Städten entwickelt hat.“ Crowcroft zeigte sich sehr dankbar, dass Bad Wurzach mit einer bewegenden Zeremonie auf dem Friedhof das Gedenken an diese Zeit pflegt.
Sybilla Stellmach, die Bürgermeisterin der polnischen Partnerstadt Popielów, schrieb in ihrem Grußwort, mit Trauer denke man an das, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist und dass es auch heute wieder Aufrüstung auf der einen und der anderen Seite gebe. „Wir wollen einen Mentalitätswandel und erkennen, was für ein schreckliches Übel der Krieg ist.“ Es brauche kleine Schritte des einfachen Volkes, um die Vorurteile der Geschichte oder aktuellen Politik zu überwinden. „Wenn einige in Waffen investieren, dann investieren wir in Dialog und Gebet.“ Denn auf Gott sei immer und überall Verlaß. „Beten wir für den Frieden in Europa und der Welt.“
Frédéric Burghard, der Bürgermeister von Luxeuil-les-Bains, schrieb in seinem Grußwort, dass an diesem Tag, an dem an des Kriegsendes und der Befreiung gedacht werde, die Gedanken mit großem Mitgefühl bei den Bewohnern von Jersey, die Opfer von Vertreibung und Gefangenschaft wurden. Es sollten aber auch nicht die Franzosen und Polen nicht vergessen werden, die im Krieg ihr Leben verloren hatten. „Möge die Erinnerung an sie alle in uns weiterleben, als Aufruf zum Frieden und zur Brüderlichkeit zwischen unseren Völkern, nach dem Vorbild der starken und aufrichtigen Freundschaften, die zwischen unseren beiden Städen Bad wurzach und Luxeuil -les-Bains geknüpft wurden.“
Bei den Gräbern verlasen die Mitglieder des Partnerschaftsvereines jeweils kleine Kurzviten der in Bad Wurzach begrabenen Internierten, Kriegsgefangenem und ehemaligen KZ-Häftlinge und legten danach jeweils eine Rose an den Gräbern nieder.
Es waren dies die Internierten: Adelinda Bowden (49 Jahre), Joan Hutton (46), Ruby Brint (35), Geraldine Barnes (6), Stephen Bull Lewis (40), Raymond Gould (10), Hugh Arbuckle (67), William Philip Todhunter (62), James lennox-Thomson (62), Lilian Harris (40), Revernd Cecil Atyeo (63).
Alfred Miranda (70) kam vom KZ Bergen-Belsen nach Wurzach. Die beiden Zwangsarbeiter aus Polen, Stefan Oruba und Michael Pisarczyk wurden im April 1945 von der Gestapo verhaftet und einige Wochen später erschossen im Ried aufgefunden. Constant Celeste (25) wurde 1942 nach offiziellen Angaben zu Folge „bei Widerstand und tätlichem Angriff“ erschossen. Sein Leichnam wurde 1947 nach Frankreich umgebettet. Dominique Murraciole (29) wurde 1941 als typischer Kriegsgefangener bei einem Fluchversuch „in der Notwehr erschossen“.
Die Gedenkfeier endete mit dem Segen von Diakon Bernt Rosenthal, der als Vertreter der Kirchen ebenfalls als Mitglied im Ausschuss des Partnerschaftsvereins ein gewisses Mitspracherecht hat.
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