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Vor 50 Jahren starb Sepp Mahler

Oberschwabens Maler-Poet



Foto: Herbert Geiger, © Sepp Mahler Archiv
Sepp Mahler, Moorbauer, um 1940

Bad Wurzach – Im Kurhaus Bad Wurzach stand Sepp Mahler am 11. Oktober im Mittelpunkt. Es war sein 50. Todestag. Auf einem Symposium befassten sich Mahler-Kenner mit dem oberschwäbischen Expressionisten, der weit mehr war als nur „der Moor-Maler“. Nachstehend Ausführungen von Martin Wolf, dem Vorsitzenden des Sepp-Mahler-Förderkreises, die uns im Vorfeld zugangen waren, die aber zeitlose Gültigkeit haben.

Wer war Sepp Mahler? Der vielleicht bedeutendste oberschwäbische Expressionist des 20. Jahrhunderts war schon zu Lebzeiten nicht leicht zu fassen. Ein Vagabund, Dichter, Moormaler und Anwalt der Natur, naziverfolgt, wiewohl zu keiner Zeit politisch aktiv und kaltgestellt bis in die späten 40er-Jahre, als nach dem Krieg Mahlers Rehabilitierung erst allmählich begann. In Wurzach ist bekannt, dass der Mahler Sepp im Leprosenhaus zur Welt gekommen ist und dass er eben oft dieses Moor gemalt hat, das Wurzacher Ried, das größte zusammenhängende Hochmoor Mitteleuropas. Die Älteren haben ihn noch selbst gesehen, im Moos liegend, malend, sinnend.

Wer war Sepp Mahler? In den 20er-Jahren war er nicht ohne messianischen Geist und künstlerisch sah es eine Zeit so aus, als stehe er kurz vor dem Durchbruch, in Stuttgart, der Galerie Valentien, in Berlin, wo der legendäre Galerist des „Sturm“, Herwarth Walden, auf Mahler aufmerksam wird. Doch Mahler, der sich bald im Vagabunden-Milieu bewegt, will die Menschen in Liebe und gegenseitiger Achtung zueinanderführen, schreibt kleine „Rufertexte“ und verteilt sie, buchkünstlerische Kleinode, die auch heute noch das Herz jedes Grafikdesigners höherschlagen lassen. Die ersten 100 Besucher des Symposiums erhalten einen Bierdeckel mit diesem Motiv.

Die Spurensucher

Auf dem Symposium am 11. Oktober im Kurhaus Bad Wurzach möchten wir diese komplexe Erzählung Sepp Mahler in einen breiten inhaltlichen Kontext stellen.  Gefährten und Zeitzeugen, Experten und Akteure des Kunstbetriebs und der Wissenschaft, aber auch Vertreter der Kulturpolitik berichten von ihrer jeweiligen Spurensuche und werden ihre Sicht auf Sepp Mahler teilen. In vier Podiumsrunden wird an Mahlers reiches Leben erinnert, seine europaweiten Wanderjahre in den 1920er-Jahren, die ersten Ausstellungen in Stuttgart und Berlin, seine Ausgrenzung und vorübergehende Inhaftierung in der Zeit des Nationalsozialismus, sein Überleben und die allmähliche Rehabilitation im Nachkriegsdeutschland, als die Staatsgalerie Stuttgart bereits sehr früh auf ihn aufmerksam wurde.

Dr. Elke Allgaier von der Staatsgalerie Stuttgart wird diese Zeit auch in ihrer Bedeutung für die Staatsgalerie selbst anhand teilweise unveröffentlichter Dokumente anschaulich machen.

Einleiten wird das Symposium mit einer persönlichen Betrachtung Dr. Uwe Degreif, der vielleicht profilierteste kritische Geist im Kampf um die Deutungshoheit zur Bedeutung Sepp Mahlers: „Ein Mahler für alle Fälle?“

Eine Gesprächsrunde zum Thema Künstlernachlässe wird über die Bedeutung der Kunst im Selbstverständnis einer Region sprechen und danach fragen, welche kulturpolitischen Leitlinien hier Sinn machen. Silvia Köhler, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Künstlernachlässe, wird aus ihrer Arbeit berichten und die Situation in Bad Wurzach einordnen.

Mit Erwin Köhler MdL kommt ein rising star der kulturpolitischen Szene Baden-Württembergs nach Bad Wurzach.

Mit dabei sein wird auch ein alter Freund der Familie Mahler: Der Galerist Ewald Schrade (Galerie Schloss Mochental, Begründer der art karlsruhe) hat Sepp Mahler mit Ausstellungen seit den 70er-Jahren einem breiten Publikum bekannt gemacht.

Uraufführung von Mahler-Vagabunden-Liedern

„Auf dem etwas speziellen dritten Podium werden wir unter Mitwirkung von Adelgund Mahler die Darbietungsformen mischen“, heißt es in der Einladung. Im Gespräch mit Roland Saurer von der Landesarmutskonferenz, deren Preis 2023 Sepp Mahler posthum erhalten hat, wird es auch um den Wandel der Erscheinungsformen am unteren Ende der Gesellschaft gehen. Hereingetrippelt kommen dann Vagabunden-Lieder, komponiert von Alois Lohmiller nach Texten von Sepp Mahler, als Uraufführung (Ernst und Werner Greinacher, Pedro Jiménez Laux).

Schließlich gesellt sich zum Wortgesang auch Sangeswort, von Walter Frei zum Schwingen gebracht („Farbe soll klingen, soll schwingen“, Sepp Mahler). Mahler hat in seinen letzten Jahren eigene Texte, etwa auf Vernissagen, in unnachahmlicher Weise rezitiert. Wir werden auch einige dieser Aufnahmen auf dem Symposium zu Gehör bringen.

Sepp Mahler und die Biosphäre

Die abschließende Gesprächsrunde erwarten wir mit besonderer Spannung. Hier fragen wir nach der Rolle von Kunst und Kultur für die Region und ein mögliches Biosphärengebiet. Mahler hat bereits in frühen Texten und später im bildnerischen Werk eine Haltung der Achtung und Rücksichtnahme gegenüber allem Lebenden zum Ausdruck gebracht. Der „Rufer Mahler“ wird also dabei sein, wenn wir mit dem Nestor der Landschaftsökologie, Prof. Dr. Werner Konold, Vertretern des Prozessteams Biosphärengebiet und des Naturschutzzentrums Bad Wurzach danach fragen, was eine Biosphäre der Zukunft lebenswert macht.

Infos zum Symposium unter diesem QR-Code (und auf der eigens eingerichteten Webseite: siehe roter Button am Ende dieses Artikels).

Spaziergang ins Sepp-Mahler-Haus

Das Sepp-Mahler-Haus, vom Tagungsort etwa 10 Minuten entfernt, ist sowohl in der Mittagspause als auch im Anschluss an das Symposium geöffnet. Haus und Garten können besichtigt werden. Die aktuelle Ausstellung zeigt Porträts und Familienbildnisse und wurde für den Tag des offenen Denkmals, an dem sich das Sepp-Mahler-Haus regelmäßig beteiligt, zusammengestellt.

Danksagung

Seitens des Förderkreises möchten wir einen herzlichen Dank aussprechen für die Unterstützung, die wir für dieses Symposium erhalten haben. Ein persönlicher Dank geht an Bernd Kaufmann von der Regionalförderung Württembergisches Allgäu und an Bürgermeisterin Alexandra Scherer, Bad Wurzach. Wir danken auch Herrn Maucher von der Kurhaus-Kulturschmiede, in der wir zu Gast sind. Dieses Vorhaben wird finanziert mit Mitteln der Europäischen Union (ELER) und des Landes Baden-Württemberg, unterstützt durch die LEADER-Aktionsgruppe Württembergisches Allgäu. Für Unterstützung danken wir auch der Stadt Bad Wurzach sowie dem Kurhaus Bad Wurzach.

Der Förderverein

Der Förderverein unterstützt die Besitzerin und Hüterin der Nachlässe Adelgund Mahler bei dem Vorhaben, das Kulturdenkmal Sepp-Mahler-Haus als Museum und Erlebnisort zukunftsfähig aufzustellen. Damit der Reichtum und vor allem der kulturelle Impuls, die Spur Sepp Mahlers, in der Region lesbar bleibt. Der Förderkreis um Martin Wolf (Vorsitzender) ist als eingetragener Verein gemeinnützig tätig.

Spendenkonten:
Kreissparkasse Ravensburg, IBAN: DE95 6505 0110 0101 1186 40
Volksbank Allgäu-Oberschwaben, IBAN: DE53 6509 1040 0093 6890 04

Das Sepp-Mahler-Haus

Das Sepp-Mahler-Haus in Bad Wurzach (Ravensburger Straße 21). ©Herbert Geiger

Das von Sepp Mahlers Vater, dem Torfmeister Josef Mahler, 1903 errichtete Anwesen im französischen Landhausstil beherbergt drei Nachlässe und wird als Museum geführt. Zusammen mit dem  außergewöhnlichen Naturgarten, einem denkmalgeschützten Tempelchen, das seine eigene Geschichte hat, und einer bereits in den 80er-Jahren installierten solarthermischen Anlage bildet dieses Ensemble ein einzigartiges Zeugnis kreativer Schaffenskraft, Vorausschau und Innovation über drei Generationen hinweg. Entwicklungen von der frühen Industriekultur des Torfabbaus um die Jahrhundertwende, von Vagabundentum und Wandervogelzeit in den 20er-Jahren bis zum Beginn der ökologischen Entwicklung in den 70er-Jahren finden hier ihren lokalen Niederschlag und sind mit Artefakten dokumentiert, die von Alltagsgegenständen über wissenschaftliche Instrumente bis hin zum künstlerischen Nachlass einem originalgetreu bewahrten und museumstauglich ausgestatteten Torfmeisterzimmer reicht. Das malerische Werk von Sepp Mahler ist bis heute eingebettet in diese gewachsene Struktur. Adelgund Mahler hat diese „Ausstellung“ mit zahlreichen biografischen und kunstwissenschaftlichen Hinweisen versehen, die sich in einen permanenten Teil und Bereiche mit wechselnden Themen auffächert.

Sepp Mahler (1901–1975)

Sepp Mahler am Maltisch, um 1948. © Sepp Mahler Archiv / Herbert Geiger

Sepp Mahler wurde im ehemaligen Leprosenhaus in Wurzach geboren. Sein Vater leitete bis 1914 als Torfmeister das „Fürstlich Waldburg-Wurzach’sche Torfwerk Oberried”. Seine Mutter führte die Kantine. In der heutigen Ravensburger Straße konnten die Mahlers 1903 ihr eigenes Haus bauen (seit 2013: Kulturdenkmal Sepp-Mahler-Haus). Während der Realschulzeit brannte der 14-jährige Mahler Sepp nach München durch. Er wollte Maler werden und absolvierte eine Lehre an der Dekorationsmalerschule von 1915 bis 1918. Nach der Rückkehr besuchte er 1921/22 die Staatliche Kunstgewerbeschule Stuttgart und erhielt am dortigen Kunstgewerbemuseum eine erste Ausstellung. Von 1922 bis 1923 studierte er an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Mahlers Durchbruch schien sich 1924 abzuzeichnen, als er Bleistiftzeichnungen („Schöpfungszyklus”) und Gedichte nach Berlin schickte (Herwarth Walden, Galerie „Der Sturm”) und seine Bilder neben Werken von Chagall, Klee, Feininger und Kokoschka ausgestellt wurden. Doch dann zog Mahler sechs Jahre lang als Vagabund durch Europa und Teile des Orients. Den Broterwerb erzielte er durch wechselnde Gelegenheitsarbeiten als Tagelöhner in den verschiedensten Berufen. Er fällte Bäume in den Wäldern Norwegens, fuhr auf Fischkuttern und Walschiffen, war Fremdenführer in Italien, Eseltreiber am Vesuv und Wasserverkäufer in Konstantinopel. Als Karawanenführer in Arabien scheiterte er am fehlenden Arabisch.

Auf Wunsch seiner Mutter kehrte er 1929 in die Heimat zurück. Er suchte Kontakt zu Gregor Gog und wurde ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift Der Vagabund. Erfolge erzielte Sepp Mahler noch Anfang der 1930er-Jahre mit seinen Bildern in Ausstellungen in Berlin und in Stuttgarter Galerien.

Doch dann begann für ihn eine schwere Zeit. Im Nationalsozialismus galt Mahlers Kunst als entartet. In Leutkirch wurde er 1933 für 46 Tage in Schutzhaft genommen. Kurz darauf starb seine Mutter. 1935 erhielt er Ausstellungsverbot. Mahler zog sich ins elterliche Haus zurück. Er wurde 1941 zur Wehrmacht eingezogen, aber schon 1942 wegen Krankheit als dienstuntauglich entlassen. Im Jahre 1943 heiratete er Gertrud Knausenberger, die den schwerkranken Künstler wieder gesund pflegte. Ein Jahr später wurde Tochter Adelgund geboren. Mahler lebte damals unter ärmlichen Verhältnissen und bezahlte die anfallenden kommunalen Steuern mit seinen Bildern.

In den 50er-Jahren beginnt seine politische Rehabilitation und in den 1960er- und 1970er-Jahren wird seine Kunst (wieder) entdeckt. Seine Bilder finden sich in der Staatsgalerie Stuttgart, bei namhaften Privatsammlern und in zahlreichen Kunstausstellungen im In- und Ausland. Mahler war Mitglied der Sezession Oberschwaben-Bodensee (SOB).

Der Galerist Ewald Schrade hat Mahler noch kennengelernt und ihn in dieser Phase einem breiten Publikum bekannt gemacht. Aus der Sicht von Uwe Degreif ist Mahler unter den oberschwäbischen Künstlern seiner Generation eine Ausnahme, insofern er in den 20er-Jahren tatsächlich formal experimentiert und stilistisch Neuland betreten hat. Mahlers Nähe zum Kubismus der Zwanziger Jahre, auch zur Malweise eines van Gogh oder zu Klees Traumbildern wandelt sich aber nach 1945, den avantgardistischen Gestus scheinbar hinter sich lassend und doch oft subtil integrierend in jenen sehr eigenen expressiv-farbigen Realismus, für den Mahler heute überwiegend bekannt ist. Darunter auch die auf den ersten Blick abstrakt anmutenden Farbraumbilder, in die er mit spitzer Tuschefeder kleine Figurationen einzeichnet, Häuschen, Bäume, Vögel, Elemente einer Notenschrift für den Tanz der Dinge, im Auge aufmerksamer Betrachter zum Klingen gebracht.

Sepp Mahler starb am 11. Oktober 1975 an inneren Verletzungen, die er sich bei einer Wanderung in den Bergen zugezogen hatte. Nach Mahlers Tod wurden seine Bilder in über 50 Ausstellungen weit über den württembergischen Raum hinaus gezeigt, zum Beispiel bei der Berliner Wanderausstellung „Wohnsitz nirgendwo“ 1982 und bei der literarischen Ausstellung Schwabenspiegel-Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1800–1950, die 2008 durch ganz Baden-Württemberg wanderte. 2005 gelangten Bilder von ihm in eine Ausstellung in Saint Helier auf der Kanalinsel Jersey. 

Sepp Mahler, Vagabund mit Schaf, um 1925, Foto: Herbert Geiger, © Sepp Mahler Archiv

Sepp-Mahler, Bäuerlein im Ried (1973), Foto: Geiger, © Sepp Mahler

Mahlers literarisches Werk 

Ab 1919 schrieb Sepp Mahler Gedichte und Prosa. Darunter sind Mahlers „Rufer-Texte”, selbstgestaltete fadengeheftete Traktate, mit denen er seine Mitmenschen aufrütteln wollte, die er im Selbstverlag herstellte. Nach 1945 wurde Mahlers literarische Tätigkeit lange kaum wahrgenommen, obwohl er bei Ausstellungseröffnungen immer wieder eigene Lyrik vortrug. Irgendwann war es dann Martin Walser, der auf die sehr eigene Poesie Mahlers aufmerksam wurde. Auf Walsers Betreiben beauftragte die Stiftung Literaturarchiv Oberschwaben den Schriftsteller Manfred Bosch, den literarischen Nachlass aufzunehmen und Texte herauszugeben. „Ich der Lump – Philosoph der Straße” nähert sich wie vielleicht keine andere Publikation dem Klang, den Mahlers Ohren in dieser Welt vernommen haben, dieses „Vagabunden der Seele”, wie Bosch ihn so treffend charakterisiert hat.



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