Auf den Spuren des „Bauernjörgs“

Bad Waldsee – Am 25. Juni bot Stadtarchivar Tassilo Wild eine besondere Führung an: Auf den Spuren von Georg III. Truchseß von Waldburg, besser bekannt als „Bauernjörg“.

Gut und gerne 30 bis 40 Personen hatten sich bei glühender Hitze und strahlender Sonne am 12.30 Uhr am Rathaus eingefunden, um dieser ganz besonderen Stadtführung zu folgen. Nach einer kurzen Begrüßung unter den Rathausarkaden (Biild) folgte das Häuflein der Getreuen einem bestens gelaunten Michael Wild zum eigentlichen Ausgangspunkt des Weges, zum Gut-Betha-Platz.
Mit seinen beiden Mitarbeiterinnen Mirjam Hedrich und Elisa Pepe hatte er schon am Tag zuvor die Wege des Bauernjörgs in der Stadt mit weißen Fußabdrücken nachgezeichnet.

Das alte Waldsee hatte vier Tore: nach Ravensburg, nach Biberach, nach Wurzach und zum Schloss. Wenn der „Bauernjörg“ in der Stadt zu tun hatte, und das hatte er wahrscheinlich oft, dann nahm er sicher den Weg durch das Schlosstor und über den Gut-Betha-Platz.
Das Augustiner-Chorherrenstift
Die Truchsessen von Waldburg hatten die Vogtei des Augustiner-Chorherrenstiftes inne. Das war eine Menge Arbeit: Weltliche Gerichtsbarkeit gegenüber Untertanen, nicht dem Klerus, Verwaltung der Güter, Einhebung von Abgaben, Vertretung des Klosters in politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen und Verteidigung gegen Feinde. An der Stelle des Hauses Albrecht stand um die Zeit des Bauernjörgs das Vogteigebäude.
Das Augustinerstift war eine große Sache. Da lebten nicht nur ein paar Mönche, sondern mit ihnen jede Menge Bedienstete, Knechte, Mägde. Da das Stift weltoffen war, konnten zum Beispiel adlige Zweit- und Drittsöhne bis zu einer anderen Verwendung dort „geparkt“ werden. Fiel zum Beispiel der designierte Erbe eines Adelshauses aus, so konnte der Zweite in der Rangfolge von seinen Gelübden gelöst werden und wieder ein weltliches Leben führen. Da im Stift viele Adelssprösslinge lebten, war das Stift sehr begütert. Deshalb auch die riesigen Ausmaße im Vergleich zur Stadt. Zum Stift gehörten alle Gebäude, die heute den Klosterhof ausmachen, die Apotheke, das Gemeindehaus sowie die ganze Häuserzeile vom Beerdigungsinstitut Wirth über die VHS bis hinunter an den See. So ein Stift war auch eine wirtschaftliche Größe, so dass die Vogtei sicher auch eine einträgliche Sache für den „Bauernjörg“ war.
Nächste Station unseres virtuellen „Jörgs“: die Probstei. Wo heute die Beckersche Apotheke steht, war zu Jörgs Zeiten das Haus des Probstes, wie der Vorstand des Stiftes genannt wurde. Die Waldburger hatten ja nicht nur die Vogtei über das Kloster inne, sondern bedachten es auch mit Schenkungen und hatten in der Stiftskirche ihre Grablege.
Das Kornhaus
Die nächste Station könnte das Kornhaus gewesen sein. Das war laut Tassilo Wild beleibe nicht nur eine Kornschütte. Hier schlug das wirtschaftliche Herz der Stadt. Der Waldseer Kornmarkt strahlte von Ulm bis in die Schweiz. Das Kornhaus war eine Warenterminbörse. Hier wurde gehandelt, wurden Kontrakte abgeschlossen. Die Bauern der Umgebung mussten ihr Korn hier abliefern. Das Tor ist heute noch groß genug, dass so ein mittelalterlicher Kornwagen, gezogen von ein paar Ochsen, problemlos ins Kornhaus einfahren konnte. Der Kornmeister bewertete die Qualität. Gut, mittel, schlecht. Nach der Qualität wurde entlohnt. Truchsess Georg konnte sein Korn wahrscheinlich frei verkaufen, aber die besseren Geschäfte machte er wohl mit der Kaufmannschaft.
Das Rathaus
Nur ein paar Schritte weiter zu einem Besuch beim Magistrat. Zu Jörgs Zeiten war das Verhältnis zwischen Schloss und Bürgerschaft entspannt. Deshalb nahmen auch die Waldseer Bürger die Familie des Truchsessen in ihren Mauern auf, als die Bauern das Schloss bestürmten. So fand er seine Frau und seine Kinder nicht tot, wie befürchtet, sondern bei bester Gesundheit. Und als Dank dafür erließ er der Stadt den „Bösen Brief“ von 1415, der gut 100 Jahre zuvor die Stadt beschwert hatte.

Das Spital
Das Spital, eine wirtschaftliche Größe in der Stadt, könnte die nächste Station gewesen sein. Wild zeichnete eine eindrucksvolle mittelalterliche Patrizier-Karriere auf: Rat, Bürgermeister, Spitalmeister. Das Spital arbeitete wie ein Fonds für die Stadt und erwirtschaftete beträchtliche Gewinne, die an die Anteilsgeber in unterschiedlicher Form ausgeschüttet wurden. Da waren nicht nur ein paar Arme und Sieche und ein Teller Muß für die Bettler.
Weiter führt uns der Weg des Truchsessen zum Wurzacher Tor. Hoch zu Roß, begleitet von ein paar Knechten und Reisigen können wir uns vorstellen, wie er den Weg nach Wurzach nahm. Wurzach war „seine“ Stadt. Im Gegensatz zu Waldsee, das ja dem Kaiser gehörte. In Wurzach wohnte auch seine Mutter. Und so sprengte er mit seiner Mannschaft aus Waldsee hinaus, über Stock und Stein, um seine Mutter zu treffen. Für sie errichtete er das Kloster Maria Rosengarten.

Das Wurzacher Tor, das letzte noch stehende Tor aus dem Mittelalter. Einst hatte die ummauerte Stadt vier Tore mit unterschiedlich hohen Türmen.
Michael Tassilo Wild verstand es, bei seinem Spaziergang durch die Stadt die Zeit des Bauernjörgs, sein Handeln, seine Motivation vor den Augen seiner Begleiter lebendig werden zu lassen. Fundiert, mit Energie und sichtlich mit Spaß führte er seine Truppe durch die Straßen und über die Plätze, die sich seit Jörgs Zeiten nicht verändert haben. Seinen Dank richtet er zum Abschluss auch an seine Mitarbeiterinnen Mirjam Hedrich und Elisa Pepe, die ihn bei den Vorbereitungen und beim Sprühen der Fußabdrücke tatkräftig unterstützten.
Text und Fotos: Erwin Linder