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Berthold Büchele über Kräuterboschen

Wissen, Glaube oder Aberglaube?



Kräuterbüschel-Binden kurz vor dem 15. August 2003 in Aulendorf. Das Foto wurde Gerhard Reischmanns Buch „Menschenskinder – Notizen aus Oberschwaben“ entnommen. Gemacht hat es Gerlinde Keser. Das Buch “Menschenskinder” wurde bewusst durchgängig schwarz-weiß illustriert – ein grundsätzlich attraktives Stilmittel, das aber im Fall der Darstellung von Kräuterboschen vielleicht als Defizit empfunden werden mag. Das Buch ist vergriffen; in den Stadtbüchereien in Leutkirch, Bad Wurzach, Bad Waldsee und Ravensburg sowie in der Pfarrbücherei Aulendorf ist es ausleihbar.

Argenbühl – Wissen, Glaube und Aberglaube waren früher einem ständigen Wechsel unterworfen. In seinem Buch „Magisches Allgäu – Aberglaube und zauberhafte Mächte“ hat Heimatforscher Berthold Büchele diese Bereiche eingehend behandelt. Ein besonderes und aktuelles Beispiel dafür bietet der Kräuterboschen an Mariä Himmelfahrt (am 15. August).

Das „Umbinden von Kräutern” zum Schutz vor Krankheiten und dem Bösen war schon den Römern und später auch den Alamannen bekannt. Dabei handelte es sicherlich um desinfizierende Kräuter, also um Wissen um die Wirkungsweise von Pflanzen. Weil dieses Wissen aber heidnischen Ursprungs war, wurde es zunächst von der Kirche hart bekämpft und als Aberglaube bezeichnet. Da das Kräuterwissen aber nicht auszurotten war, brachte man manche Kräuter mit dem Namen Maria in Verbindung. Gregor von Tours (* 594) erwähnt die Überlieferung, dass man im leeren Grab von Maria nach deren Himmelfahrt Blumen und Kräuter gefunden habe. So entstand der Brauch, Kräuter der Mutter Gottes zu weihen und zu einem Krautwisch zu binden, den man – in Säckchen eingewickelt – ins Bett legte oder am Hals trug, um dadurch vor giftigen Insekten, Schlangen und vor bösen Mächten bewahrt zu werden. Die Kräuter wurden nun „Muttergottes-Bettstroh“ oder “gewisse Pflanzen von guten St. Marien“ genannt. Aus Aberglaube wurde also Glaube.

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Da der nichtchristliche Hintergrund trotzdem nicht beseitigt werden konnte, verbot der Hl. Bonifatius (672 – 754) auf der Leptinischen Synode von 742 das „Binden aus Kräutern zum Schutz”, das das „gutgläubige Volk” als alten Brauch ausübte. Aus Glaube wurde also wieder Aberglaube. Bonifatius war nicht nur Gegner von den „geweihten Bündeln“, er machte auch ein Aufsehen durch das Fällen der heiligen Donar-Eiche in Geismar und wurde schließlich von heidnischen Friesen erschlagen.

Seit 818

In der Folge wurde der Brauch nun endgültig zum anerkannten christlichen Brauch. Seit 818 werden die Kräuter offiziell und mit Erlaubnis der Kirchenoberen an Mariä Himmelfahrt in der Kirche geweiht. Interessant ist, dass auch in der christlichen Segensformel, die aus dem 10. Jahrhundert überliefert ist, der Schutz gegen „teuflische Machenschaften und Listen” enthalten ist.

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Der Brauch wurde nun viele Jahrhunderte lang ausgeübt, aber immer wieder scheint der abergläubische Zauberglaube durch: 1534 stellte Sebastian Franck in seinem „Weltbuch“ fest, dass „mit diesen Kräutern seer viel Zauberei“ ausgeübt werde.

Um 1800

Die Ambivalenz zeigt sich 1783 in einem Eintrag des Pfarrers von Vogt in das Verkündbuch, dass, „wer die geweyhten Kräuter entweder bey sich traget oder etwas darvon genießet, die Gesundheit des Leibes und der Seel erhalte; und diese Kräuter dienen nicht nur allein denen Menschen, sondern nuzet auch dem Vieh wider zerschidene böse Anfähl (Anfälle) und sonderheitlich, wenn es sogar mit Malefitz (Bösem) angesteckt wäre”. Ausdrücklich verbot der Pfarrer freilich, mit den Kräutern den Stall zu räuchern, ein Brauch, der demnach bisher ausgeübt worden war und einen negativen, abergläubischen Beigeschmack hatte. In der Aufklärung wurde dann der Kräuterboschen um 1800 endgültig und komplett als Aberglauben bezeichnet.

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Trotzdem war die Vorstellung, mit den „Himmelfahrtskräutern” das Böse zu vertreiben, weiter lebendig. Der Brauch war nicht auszurotten. In Uttenhofen nahm man um 1850 als Mittel gegen den „Flug” (eine Viehkrankheit)  Salweiden, ließ diese an Mariä Himmelfahrt weihen, dann dörren und zerrieb sie dann zu Pulver, vermischte dieses mit Dreikönigssalz und gab es dann an den „Vierfesten” dem Vieh morgens auf den nüchternen Magen löffelweise zu fressen. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts nannte man Thymian und Labkraut in Erinnerung an den alten Brauch „Muttergottesstroh”, das im „Kräuterboschen” nicht fehlen durfte. Damals empfahl man, das Band, mit dem der “Weihsang” (Kräuterbund) zusammengebunden war, Kindern umzubinden, wenn ihnen etwas fehlte.

Im 20. Jahrhundert fand dann der Kräuterboschen wieder offiziell Eingang ins religiöse Brauchtum. Nun schwört man auf sieben- oder neunerlei Kräuter, was mit magischen Zahlen zusammenhängt. Da in den letzten Jahrzehnten die Kräuterkunde wieder anerkannt und die Heilkraft von manchen Kräutern wissenschaftlich bewiesen ist, schließt sich der Kreis: Seit der Römerzeit gibt es einen ständigen Wechsel der Anschauungen zwischen Wissen, Glaube und Aberglaube, um in der Gegenwart wieder beim Wissen anzukommen.
Berthold Büchele

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