„Vor allem die Zunahme von Adipositas bei Kindern bereitet mir Sorgen“

Ravensburg/Wangen – Dr. Franz Immler, Geschäftsführender Oberarzt am zertifizierten Adipositas-Zentrum der Oberschwabenklinik, hat an den Kliniken in Ravensburg und Wangen Vorträge zum Thema Übergewicht gehalten. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten im Interview.
Herr Dr. Immler, wie viele Menschen in Deutschland leiden an Adipositas?
Dr. Immler: Etwa jeder Vierte hat einen BMI (Body-Mass-Index) von über 30, hier beginnt der „Adipositas Grad I“, also die Fettleibigkeit. Übergewicht, also einen BMI von über 25, haben weitaus mehr Menschen – in Deutschland etwa 58 Prozent der Bevölkerung (67 Prozent der Männer, 52 Prozent der Frauen).
Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
Dr. Immler: Deutschland liegt mit 24 Prozent adipösen Menschen weltweit im Mittelfeld. Spitzenreiter sind kleine Pazifikinseln wie Amerikanisch-Samoa (75 Prozent), während asiatische Länder wie Vietnam (2 Prozent) am niedrigsten liegen. Dort ernährt man sich abwechslungsreicher, kalorienärmer. Viel Fisch, Gemüse, Obst, Vitamine, wenig tierische Fette.
Nimmt Adipositas weltweit weiter zu?
Dr. Immler: Ja. 2014 waren 1,9 Milliarden Menschen übergewichtig, 2022 bereits 2,6 Milliarden. Besonders besorgniserregend ist die steigende Zahl adipöser Kinder, die sich in 30 Jahren vervierfacht hat.
Warum fällt Abnehmen so schwer?
Dr. Immler: Der Mensch ist genetisch darauf programmiert, Energie in Form von Fettgewebe zu speichern. Millionen von Jahren lang war das ein großer Überlebensvorteil. Früher war zudem Bewegung notwendig, um Nahrung zu beschaffen. Heute sind Lebensmittel jederzeit verfügbar, während wir uns deutlich weniger bewegen. Studien zeigen: Zwischen 1975 und 2019 ist die tägliche Kalorienzufuhr der Menschen in Industrienationen von 2700 auf 3200 angestiegen bei gleichzeitig verringertem Verbrauch. Das hinterlässt Spuren.
Ist eine langfristige Gewichtsreduktion möglich?
Dr. Immler: Nur durch eine dauerhafte Ernährungsumstellung und dauerhaft mehr Bewegung. Kurzdiäten bringen nachhaltig nichts, nur Jojo-Effekte.
Wie helfen Operationen wie Schlauchmagen oder Bypass?
Dr. Immler: Stark adipöse Patienten haben ohne Operation kaum eine Chance auf nachhaltige Gewichtsreduktion. Die Eingriffe verringern das Hungergefühl, beschleunigen die Sättigung und führen zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von 40 bis 50 Kilogramm. Zudem verbessern sich Begleiterkrankungen deutlich.
Wie bewerten Sie die neuen Abnehmspritzen?
Dr. Immler: Momentan ist es noch zu früh, diese Medikamente in die Gesamtbehandlung der Adipositas richtig einzuordnen. Sie sind aber eine Option für Patienten, die noch nicht für eine Operation infrage kommen. Allerdings haben sie Nebenwirkungen, erfordern eine lebenslange Anwendung und sind teuer – die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht. Für schwer Adipöse bleibt die Operation die effektivste Lösung

Dr. Franz Immler