In Memmingen fing alles an

Memmingen – Die Stadt hat sich herausgeputzt für das Gedenkjahr und auch ein vielseitiges Programm auf die Beine gestellt. Dreh- und Angelpunkt ist aber die Landesausstellung „Projekt Freiheit – Memmingen 1525“, zu deren Eröffnung extra der Bundespräsident anreiste.
Eine Ausstellung auf zwei Stationen
Die vom Haus der Bayerischen Geschichte eingerichtete Ausstellung teilt sich auf zwei Orte auf. Der erste Teil wird im Dietrich-Bonhoeffer-Haus beim Westertor gezeigt. Teil zwei bespielt die Kramerzunftstube, den Ort also, wo vor 500 Jahren die Abgesandten der verschiedene Bauernhaufen tagten und schließlich die berühmten „Zwölf Artikel“ verabschiedeten. Bundespräsident Steinmeier würdigte diese Programmschrift in seiner Rede als „Initialzündung des Bauernkrieges“ und als „bleibendes Zeugnis unserer Freiheitsgeschichte“. Er zog schließlich das Fazit „Im Anfang war das Wort, und das Wort kam aus Memmingen“.

Mitmachstation „Was zum Leben blieb“, Foto: Herbert Eichhorn
Spektakulärer Medienmix
Im Bonhoeffer-Haus gibt es nur ein einziges Ausstellungsstück, das aus der Zeit des Bauernkrieges stammt, nämlich einen frühen Druck der „Zwölf Artikel“. Darum herum haben die Profis vom Haus der Bayerischen Geschichte ihren gesamten Werkzeugkoffer an Medien zur Vermittlung ausgepackt. Mit einem spektakulären Medienmix gelingt es ihnen so tatsächlich, den Besuchern die historischen Verhältnisse und Ereignisse auf sehr anregende Weise näherzubringen. Unter anderem mit Projektionen, Filmen, KI-generierten Elementen, Comics und Mitmachstationen wird man über das Wesentliche gut informiert. Die Info-Tafeln wenden sich übrigens auch an Blinde und Sehbehinderte. Die wichtigsten Texte gibt es dort auch in der Blindenschrift Braille sowie wichtige Abbildungen als Reliefs zum Abtasten.

Die Figuren des Memminger Chorgestühls berichten, Foto: Herbert Eichhorn
Das Leben in Stadt und Land
In den ersten beiden Kapiteln „Auf dem Land…“ „…und in der Stadt“ thematisiert die Ausstellung bäuerliches und bürgerliches Leben vor 500 Jahren. Anschaulich werden die Sorgen und Nöte der Bauern geschildert und wo die Ursachen für deren Unzufriedenheit lagen, die schließlich zu den Aufständen führte. Eindrücklich wir zum Beispiel an der Mitmachstation „Was zum Leben blieb“ an unterschiedlichen Gewichten verdeutlicht, wie hoch die Abgabenlast für die Bauern war. Ein wenig weiter können die ungleichen Lebensverhältnisse in Stadt und Land buchstäblich begriffen werden. An der Station „Kleider machen Leute“ können Stoffproben typischer Kleidungsstücke berührt werden. In dieser Abteilung kommt auch Künstliche Intelligenz (KI) zu einem originellen Einsatz: Das prächtige spätgotische Chorgestühl der Memminger Martinskirche ist berühmt dafür, dass dort Bürger der Stadt dargestellt sind. Und diese lässt die KI nun gewissermaßen als Zeitzeugen über die damaligen Verhältnisse berichten.

Ein Comic zeigt die Entstehung des Baltringer Haufens, Foto: Herbert Eichhorn
In Memmingen tagte so etwas wie das erste deutsche Parlament
In einem wandfüllenden Comic wird nachgezeichnet, wie sich die Bauern aus dem nördlichen Oberschwaben zum sogenannten Baltringer Haufen zusammenfinden. In einem Film, der auf den Besucher reagiert, kommt dann der Feldschreiber der Baltringer, der Memminger Kürschner und Laienprediger Sebastian Lotzer, zu Wort. Neben dem Prädikanten Christoph Schappeler spielte er wohl die Schlüsselrolle bei der Formulierung der „Zwölf Artikel“. Er erläutert hier zum Beispiel, dass es für die Verbreitung der Forderungen der Bauern ausreichte, wenn in einem Dorf ein Einziger lesen und seinen Nachbarn die Flugschriften vorlesen konnte. Dann werden die Verhandlungen der Bauern in der Kramerzunftstube thematisiert. Dort wurden die verschiedensten Themen heiß diskutiert, unter anderem die Frage, ob bei den Auseinandersetzungen auch Gewalt eingesetzt werden darf. Die Diskussionen der Versammlung, die man auch schon als das erste deutsche Volksparlament bezeichnet hat, führten schließlich zur Formulierung der berühmten „Zwölf Artikel“. Diese grandiose Mischung aus Beschwerdeschrift, Reformprogramm und politischem Manifest wurde umgehend in Augsburg gedruckt und dann sofort überall im Reich nachgedruckt. Insgesamt erreichte sie eine Auflage von rund 25.000 Stück, was für die damalige Zeit außergewöhnlich war.
Die Bauern sind hoffnungslos unterlegen
„Kein zurück! Krieg!“ ist dann das nächste Kapitel betitelt. Auch hier konzentriert sich die Schau auf die Situation in der Region und stellt zum Beispiel die Frage, was konkret hier die gewaltsamen Auseinandersetzungen ausgelöst hat. In den folgenden Schlachten sind die Bauern dem von Georg Truchsess von Waldburg, dem „Bauernjörg“, angeführten professionellen Heer des Schwäbischen Bundes letzten Endes hoffnungslos unterlegen. Lapidar stellt die Ausstellung fest, dass viele der Schlachten eher einem Gemetzel glichen. Die Niederlage in der Schlacht bei Leubas bei Kempten im Juli 1525 beendet schließlich den Bauernkrieg im Allgäu. Insgesamt werden über 70.000 Bauern am Ende ihr Leben verloren haben. An dieser Stelle wird Albrecht Dürers berühmter Entwurf für ein Erinnerungsmal für den Bauernkrieg gezeigt. Auf einer Ehrensäule aus Gegenständen aus dem bäuerlichen Alltag hockt ein Bauer, dem ein Schwert durch den Rücken gestoßen wurde. Bis heute ist unklar, ob der berühmte Künstler hier seinen bösen Spott über die gescheiterten Bauern ausgießt – oder doch seine Solidarität und sein Mitleid zum Ausdruck bringt.

Albrecht Dürers Bauernkriegsdenkmal, Foto: Herbert Eichhorn
Im Ausgangsbereich der Schau werden schließlich die unterschiedlichsten Aspekte des Themas Freiheit angesprochen. Hier findet sich auch die Riechstation „Wie riecht Freiheit?“. Ein Duftdesigner hat im Auftrag der Ausstellungsmacher verschiedene Freiheitsdüfte kreiert. Hier kann der Besucher herausfinden, ob sein persönlicher Freiheitsduft vielleicht mit dabei ist.
Zweite Station in der Kramerzunft
Der zweite Teil der Landesausstellung, man könnte auch sagen: ein Nachklapp zu ihr, findet im Haus der Kramerzunft statt. Über 600 Jahre alt ist der imposante Bau und hat unzählige Umbauten hinter sich. Lange wohnte hier die berühmte Künstlerfamilie Strigel, bevor es die Zunft der Kramer erwarb und 1512 für sich eine aufwändige neue Zunftstube einbauen ließ. Und eben in dieser tagten vor 500 Jahren die Abordnungen der verschiedenen Bauernhaufen. Hier schlossen sie sich zur „Christlichen Vereinigung“ zusammen. Hier formulierten und verabschiedeten sie ihre „Zwölf Artikel“. Die prächtige spätgotische Holzdecke des Raumes ist das einzige Überbleibsel aus der Zeit – und das ist nun spektakulär in Szene gesetzt.

Die Decke der Zunftstube erzählt, Foto: Herbert Eichhorn
Eine Holzdecke als Zeitzeugin
Wenn der Besucher sich auf einen der im Raum verteilten Sitzsäcke hat fallen lassen, tastet ein Scheinwerfer die Decke ab. Und dann beginnt sie, ein bisschen geschwätzig, aber sehr stolz zu erzählen, von der Geschichte des Hauses und des Raumes und von dem, was sich hier im März 1525 abspielte. Ob nun tatsächlich Sebastian Lotzer federführend war bei der Formulierung der „Zwölf Artikel“, verrät sie nicht. O-Ton: „Wir Holzdecken sind ja keine Plaudertaschen!“ Wenn einem die Stimme übrigens bekannt vorkommen sollte, ist das nicht verwunderlich. Sie gehört der Schauspielerin Karin Ackermann, im Tatort aus Hannover und im echten Leben Mutter von Maria Furtwängler. Nach zehn Minuten verlässt man gut gelaunt die Kramerzunft und fühlt sich überhaupt durch die originelle Landesausstellung – und das bei freiem Eintritt – solide informiert über das, was vor 500 Jahren in Memmingen geschah.
Ereignisse von historischer Bedeutung
Und das hat enorme historische Bedeutung. Bundespräsident Steinmeier stellt es in seiner Rede zur Eröffnung in einen großen Rahmen. Er vergleicht den Anspruch der oberdeutschen Bauern, für „alle Bauernschaft“ zu sprechen, mit dem berühmten, zweieinhalb Jahrhunderte später formulierten Anfang der Verfassung der USA, „We, the people“ (Wir, das Volk). Das führt ihn zu der Forderung: „500 Jahre danach ist es höchste Zeit, Sebastian Lotzer, Christoph Schappeler und die Bauern, die hier in Memmingen Freiheitsgeschichte schrieben, auf die Landkarte unserer nationalen Erinnerung zu setzen. Sie bereiteten den Boden, sie legten die ersten Körner jener Saat, aus der viel später unsere freiheitliche Demokratie wachsen konnte.“
Herbert Eichhorn
In der Bildergalerie weitere Impressionen aus der Ausstellung.
Die Ausstellung kompakt
Zur Ausstellung ist zum Preis von zehn Euro ein Magazin mit kurzen, aber informativen Beiträgen von verschiedenen Fachwissenschaftlern erschienen.
„Projekt Freiheit – Memmingen 1525“
16. März – 19. Oktober 2025
Dietrich-Bonhoeffer-Haus, Buxacher Straße 2

Kramerzunfthaus, Am Weinmarkt 15
Dienstag bis Sonntag, 9.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei
Informationen unter www.hdbg.de.
Informationen zum umfangreichen Programm der Stadt Memmingen unter www.stadt-der-freiheitsrechte.de
