Immer auf der Seite der Frauen und der Schwächeren

Schloss Achberg – Im vergangenen Sommer zeigte Schloss Achberg bezaubernde Werke der Malerinnen des Schwäbischen Impressionismus. Von ihnen kannte man zuvor allerdings so gut wie niemanden. Nun sind dort die Arbeiten der wohl berühmtesten und populärsten deutschen Künstlerin des 20. Jahrhunderts zu sehen, von Käthe Kollwitz.
In der 30. Achberger Saison eine ganz besondere Ausstellung
Michael C. Maurer, dem Leiter von Schloss Achberg, und seinen Mitstreitern ist in der 30. Achberger Saison mit dieser Ausstellung ein echter Coup gelungen. Die rund 120 Arbeiten auf Papier und die Plastiken kommen alle aus der Privatsammlung der Kölnerin Ute Kahl und waren früher zum Beispiel auch schon etwa im Kunsthaus Zürich oder im Museum of Modern Art in New York ausgestellt. Und die Auswahl zeigt nicht nur die berühmten und häufig abgebildeten Serien und Plakate der Künstlerin, sondern eben auch Zeichnungen, später verworfene Entwürfe oder die Plakatmotive vor dem Eindruck des Textes. Also Rares und Spannendes ist zu entdecken. Die Zusammenstellung ermöglicht es tatsächlich, der Künstlerin bei der Arbeit, bei der Entwicklung ihrer Motive, gewissermaßen über die Schulter zu schauen.

Käthe Kollwitz, Selbstbildnis im Profil, 1938?, Sammlung Ute Kahl, Foto: Herbert Eichhorn
Ein ungewöhnlicher Lebensweg
Im ersten Raum erwartet den Besucher eine ausführliche bebilderte Biografie, die parallel auch die Zeitgeschichte im Blick hat. Das ist hilfreich bei einer Künstlerin, deren Werk ständig auf das politische und gesellschaftliche Geschehen reagiert. Man erfährt vom fortschrittlichen Elternhaus der 1867 im ostpreußischen Königsberg Geborenen, das sie auf ihrem Weg zur Künstlerin unterstützt. Dieser verläuft zunächst ganz typisch. Da Frauen in Deutschland erst in der Weimarer Republik zum Studium an den staatlichen Akademien zugelassen werden, besucht auch Käthe Kollwitz private bzw. von Vereinen getragene Kunstschulen, so in Berlin, in München und später auch in Paris. Ein Leben lang wird sie sich später für die Gleichberechtigung von Frauen im Ausbildungs- und Ausstellungsbetrieb starkmachen. Unterstützt von ihrem Ehemann Karl Kollwitz, Arzt und Sozialdemokrat, macht sie eine erstaunliche Karriere. 1919 wird sie als erste Frau überhaupt Mitglied der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Berlin und wird gleichzeitig zur Professorin berufen. In den Auseinandersetzungen der Zwanziger-Jahre, etwa auch um den Paragrafen 218, engagiert sie sich beständig auf der Seite der Frauen und Benachteiligten. Über ihren Weg und ihre Situation denkt sie dabei ständig nach, was auch in ihren vielen Selbstbildnissen zu spüren ist, von denen in Achberg die wichtigsten zu sehen sind.

Käthe Kollwitz, Mutter mit zwei Kindern, Modell 1932 bis 1936, Sammlung Ute Kahl, Foto: Schloss Achberg
Thema Mutter und Kind
Beim Presserundgang erzählt Ute Kahl von ihren Anfängen als Sammlerin vor 30 Jahren. Als junge Mutter, eben zum vierten Mal schwanger, fühlt sie sich besonders von den Darstellungen von Müttern mit Kindern angesprochen. Und tatsächlich sind Mutter und Kind ein wichtiges Thema im Schaffen von Käthe Kollwitz, das sicher viel zu ihrer Popularität beiträgt und nun auch in Schloss Achberg eine große Rolle spielt. Die Künstlerin, selbst Mutter von zwei Söhnen, sieht Mutterschaft als ganz grundlegende Erfahrung, sowohl in der zärtlichen Fürsorge der Mütter als auch in deren Sorgen und Ängsten. Aus dem Erleben der lebensbedrohlichen Diphterie-Erkrankung von Sohn Hans entstehen mit den Zeichnungen „Abschied“ die vielleicht eindrücklichsten Arbeiten der Ausstellung.

Käthe Kollwitz, Losbruch, Blatt 5 aus dem Zyklus Bauernkrieg, 1902 bis 1903, Foto: Schloss Achberg
Berühmt wurde Käthe Kollwitz in ihrer Zeit zunächst durch ihre auch technisch ausgereiften druckgrafischen Serien. Den Durchbruch brachte 1898 der Zyklus „Ein Weberaufstand“, auch wenn Kaiser Wilhelm II. ihr dafür die ihr eigentlich zugesprochene Medaille verweigerte. Ihn störte natürlich die klare Parteinahme der Künstlerin für die Entrechteten.
Die Grafikfolge zum Bauernkrieg
Ihre nächste Serie darf in Schloss Achberg in diesem Erinnerungsjahr selbstverständlich nicht fehlen, ihre sieben großen Radierungen zum Bauernkrieg. Es sind dabei wieder die Frauen, auf die sich der Blick der Künstlerin richtet. Sie zeigt sie als aktive Teilnehmerinnen am Aufstand der Bauern, aber auch als Opfer und Leidtragende. Blatt 2 ist vielleicht das ungewöhnlichste. Es zeigt eine Bauersfrau, die nach einer Vergewaltigung in ihrem Garten liegen gelassen wurde. Im Hintergrund links entdeckt man ihr Töchterlein, das wohl das Verbrechen beobachtet hat. Die drastische Darstellung lässt den Betrachter noch heute erschauern. Zu seiner Entstehungszeit sorgte ein solches Motiv, zumal geschaffen von einer Frau, natürlich für Skandal.

Käthe Kollwitz, Vergewaltigt, Blatt 2 aus dem Zyklus Bauernkrieg, 1902 bis 1903, Sammlung Ute Kahl, Foto: Schloss Achberg
Käthe Kollwitz wird zur engagierten Pazifistin
Im Oktober 1918 fällt in Flandern Peter, der jüngere Sohn der Künstlerin, der sich gegen den Widerstand der Eltern als Freiwilliger gemeldet hatte. Dieser tragische Verlust wird für Käthe Kollwitz zum Wendepunkt. Sie wird in der Folgezeit noch stärker politisch aktiv. Sie wird zur engagierten Pazifistin. Direktes Ergebnis ihrer nun gemachten Erfahrung wird ihre letzte große Grafikfolge „Krieg“. Auch hier zeigt sie nicht irgendwelche Haupt- und Staatsaktionen, sondern thematisiert den Krieg vor allem aus der Sicht der Eltern und Witwen. Für diesen Zyklus verwendet sie die Technik des Holzschnitts in Schwarzweiß, die in dieser Zeit bei den Künstlern allgemein äußerst beliebt ist. Das buchstäblich „Holzschnitthafte“ der Technik, die Härte und die scharfen Kanten der Formen, die sie erzwingt, und die tiefschwarzen Flächen, die sie ermöglicht: Das alles scheint ihr das am besten geeignete Medium für ihr erschütterndes Klage-Projekt.

Käthe Kollwitz, Die Freiwilligen, Blatt 2 aus dem Zyklus Krieg, 1921 bis 1922, Sammlung Ute Kahl, Foto: Herbert Eichhorn
Die berühmten Plakate der Künstlerin
Das politische Engagement der Künstlerin führt dazu, dass sie in den 1920er-Jahren dann von verschiedensten fortschrittlichen oder sozialen Organisationen darum gebeten wird, Plakate für sie zu gestalten. Diesen Bitten kommt sie auch eifrig nach. Ihre ursprünglich in hohen Auflagen verbreiteten Plakate, aber auch ihre Serien, lassen sie natürlich auch ins Visier der Nationalsozialisten geraten, die ihr bald Leben und Arbeiten schwermachen. Die zum Beispiel für die Sozialistische Arbeiterjugend oder den internationalen Gewerkschaftsbund geschaffenen Plakate sind heute sicher die bekanntesten Werke von Käthe Kollwitz. Wer kennt nicht „Deutschlands Kinder hungern“ oder „Nie wieder Krieg!“, das dann in der frühen Bundesrepublik zu einem Schlüsselmotiv für die Initiativen gegen die Wiederbewaffnung werden sollte. Unzählige Male wurden und werden diese Motive der wenige Tage vor Kriegsende verstorbenen Künstlerin in unseren Geschichts- und Lesebüchern abgebildet.

Käthe Kollwitz, Nie wieder Krieg, 1924, Sammlung Ute Kahl, Foto: Schloss Achberg
Aber, wie schon erwähnt, die auch in ihrer Farbgestaltung gelungene Ausstellung in Schloss Achberg beleuchtet die unterschiedlichsten Facetten im Schaffen von Käthe Kollwitz. Sie ist daher unbedingt einen Besuch wert. Aber aufgepasst: Die Schau läuft nicht den ganzen Sommer, sondern nur bis Ende Juni.
Herbert Eichhorn
In der Bildergalerie weitere Impressionen aus der Ausstellung.
Zur Ausstellung ist ein informativer und auch gestalterisch attraktiver Katalog zum Preis von 28 Euro erschienen.
Bis 29. Juni
Ausstellung „Käthe Kollwitz. MUT!“
12. April bis 29. Juni 2025
Schloss Achberg
Freitag 14.00 bis 18.00 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertag 11.00 bis 18.00 Uhr
Schloss Achberg bietet auch zu dieser Ausstellung ein breites Begleitprogramm an.
Informationen dazu unter www.schloss-achberg.de